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JUGEND 1905

Schwarzes Epitaphium auf Ludwig Hnzengruber

Hon Kassian Kluibenscbäde), Tulleiemaler

wir vereinigten Schwarzen Aujuste, Pharisäer, Keuschheitsverwalter und Nuditätenrichter
Sind von jehero nicht sonderlich gut zu sprechen auf das lockere Volk der Dichter.

Dieweilen Unsereins maustot ist, wenn man ihn begräbt, steigen aus den morschen Trüchlein
Des Poetengelichters immerfort empor allerlei gefährliche Sentenzen und Sprüchlein.

Auch dieser Ludwig Anzengruber war ein höchst verdächtiger Patron und schwärmte unbändig
Für alle möglichen Freiheitsideale, so zu einem gottgefälligen Leben gar nicht sind nothwendig I
Außerdem besaß er die ungeheuerliche Vermessenheit, in dramatischen Bildern
Linen zum Mindesten sehr zweifelhaften Hochwürdigen Amtsbruder dein verehrlichen publiko abzuschildern!
was brauchen wir überhaupt deutsche Literaturheroen? Haben wir doch die

lateinischen Kirchenväter!

wir brauchen kein Volk der Dichter und Denker, sondern eine Herde treuer Schäflein

und frommer Beter!

Ls ist ewig schade, daß wir keinen kräftigen Exorzismus besitzen, um zu bannen

Lines solchen Skribifaxen Geist, sobald er zog aus dem irdischen Iammerthal von dannen!

So spukt auch dieser österreichische Mostschädel und ketzerische volksdichter

Schon so manches Jahr frech auf der Welt herum zur heiligen Entrüstung sämmtlicher Kirchenlichter!
Trotz Leichenreden und Lxequien gelingt es leider nur, die Rörxer zu

verscharren unterm Rasen,

Indessen uns die freien Geister höhnisch drehen eine lange Nasen!

Nr. 22

Der Anfang zur Umkehr

Leutnant: „Oberst hat heute Rede jegen
Ueberhandnahme des Luxus im Offizierkorps je-
halten und Sitten der alten Spartaner zu Lektüre
empfohlen. Lesen wir also, was die alten Helden-
onkels jetrieben. — Friedrich, rück' mir mal den
Fauteuil her und stell' ne Pulle Sekt kalt!"

paderewski

padercwski spielt famos!
paderewski kanns!
paderewski ist der Stern
Höchster Eleganz!

paderewski spielt so toll;
wenn ein schönes Lind
paderewski sieht und hört, —

Geht sie hin und spinnt.

paderewski wirft so stolz
Seinen Lopf zurück,
paderewski brach dabei
Sich sogar 's Genick!

paderewski machte noch
Schnell ein Lomplimcnt.
paderewski war dann todt —

Alles war zu End'.

Paderewski kommt nicht mchrl
Oder doch? O je?
padercwski segelt schon
Heimwärts auf der See.

padcrewski ist kuriert
wieder, gottseidankl
paderewski war ja wohl
Nur am Schwindel krank?

A. I»

Wahres Geschichtchen

Hänschen und Fritzchen spielen Soldaten. Häns-
chen ist der Gemeine, Fritzchen thront als „Oberst"
hoch zu Schaukelpferd. Plötzlich ruft er: „Soldat,
halte er mal das Pferd, der Oberst muß auf den
Topf!"

Kkiirde in -er Megesakkee

Mit untenstehender Zeichnung)

Zöglinge der Berliner königl. Blindenschule zogen,
so erzählt der „Lokal-Anzeiger", unter Führung ihrer
Lehrer von einer Gruppe der Siegesallee zur anderen,
um die Standbilder, soweit dies den unglücklichen
Kindern möglich war, kennen zu lernen. Ueber die äst-
hetische Berechtigung dieser sonderbaren Veranstalt-
ung läßt sich ja streiten, doch hat uns dieser seltsame
Vorgang auf einen Gedanken gebracht: wie wäre
es, wenn man mit den Künstlern, die die Allee
mit unsterblichen Standbildern geschmückt, fol-
gendes ähnliche Experiment machen würde?
Die Herren Begas, Lberlein, pfretzschner u. s. w.
werden in corpore nach dem Thiergarten geführt
und zwar nach einer denkmalslosen Stelle, die
keinen Ueberblick ermöglicht. Dort werden den
Künstlern die Augen verbunden, und jeder ein-
zelne erhält nun den Befehl, das von ihm ge-
meißelte Werk aus der Masse der übrigen heraus-
zufinden. wir sind überzeugt, daß sich die spaß-
haftesten Irrthümer ergeben würden. So könnte
z. B. leicht das Wagner - Denkmal mit der
Saujagd, Otto der Faule mit dem Roland
verwechselt werden, u. s. w. Und dann erst der
Wirrwarr mit den übrigen MarkgrafeilI Nicht
auszudenken!

Jung- G o ci alismus

Die Aufforderung vr. Brauns zur Organi-
sation der Kinder gegen die Tyrannei der
Schule und der Eltern hat bereits einen be-
deutenden Erfolg zu verzeichnen. Aus Säuglings'
kreisen erhalten wir nämlich folgenden Aufruf zu-
gesandt, der demnächst in zwei Millionen Exemplaren,
auf Leinwand gedruckt, unter den deutschen Lutsch-
genossen verbreitet werden soll:

Genossen! I Sangbrüder! Saugschwestern I

Der einzige Stand, der noch auf einer geradezu
himmelschreienden Stufe der Entwicklung
zurückgeblieben ist, sind wir Säuglinge! Der
Willkür jedes Gewaltmenschen unterworfen, in
unsrer Freizügigkeit (an der Milchflasche) beschränkt,
ohne Selbstbestimmungsrecht, ohne gesetzmäßige
Festlegung eines Maximal-Arbeitstages — sind
wir die Parias der menschlichen Gesellschaft! Unsre
Lage ist die denkbar niedrigste! Genossen! Es
ist daher hohe Zeit, daß auch für uns die Windel
der Freiheit aufgeht. Säuglinge aller deutschen
Länder, vereinigt Euch I Gründet sofort Säug-
lingsverbände, Heulgenossenschaften, Milchconsum-
Vereine, Bebö-Gewerkschaften! „Los von der
Mutterbrust!" sei unser Wahlspruch! Stram-
pelfreiheit! FreieMilchwahl! FreieBauch-
weh-Kassen! Ein großes deutsches Scyrei-
p arl am ent! Allgemeines Fistelstimmrecht! l

Und dann tretet Alle ein — (sobald Ihr
trockengelegt seid! Vorher Vorsicht!) — tretet Alle
ein wie Ein Säugling für unfern großen Durchfall-
Candidaten vr. Heinrich Braun!

Er versteht uns! Er ist ein Kind wie wir,
harmlos, weich und entwicklungsfähig! Er wird
uns anführen I Alle für Einen! Einer für Alle —
soll unsre Losung sein. A. « w.

Blinde in der Siegesatlee

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Index
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
A. D. N.: Paderewski
Max Brinkmann: Blinde in der Siegesallee
A. D. N.: Jung-Socialismus
Monogrammist Frosch: Der Anfang zur Umkehr
Kassian Kluibenschädl: Schwarzes Epitaphium auf Ludwig Anzengruber
Monogrammist Frosch: Blinde in der Siegesallee
 
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