Die stille Blume
Richard Piefzsch (München)
Verdammtes Nestl Diese paar elenden G
schöpfe, die Abend für Abend, immer in den gleiche
geputzten Kleidern, immer in gleicher Zudringlichkc
scheu um ihren Lohn schlichen, das sind die einzige
Weiber, die küssen wollten! Wen es vor d
käuflichen Zärtlichkeit dieser Wesen ekelte, dem bli
nichts übrig, als zu heirathen, Er lachte. He
rathen! Auf solche verrückte Einfälle kann mc
eben auch nur in dieser Kleinstadt kommen! Hä!
man ihm vor drei Monaten, als er noch in Züri
an der Klinik war, vorausgesagt, daß es hi
so aussehen würde, er hätte sich gehütet, hieher ;
gehen. WeißderTeufel, man istdoch auch jung! Wo
er wenigstens Zeit hätte, wieder einmal in i
Großstadt zu fahren. Aber jetzt, da eben seine Prax
ein wenig in Zug kam, jetzt konnte er doch nii
wieder fort. Nein, jetzt hieß es die Zähne
zusammenbeißen und ausharren.
Er warf die Cigarre fort, setzte den Hut auf
und ging, seinen Schritt beschleunigend, die See-
straße hinab nach seiner Wohnung. Als er auf-
schloß und die Treppe in den ersten L-tock hinan-
stieg, öffnete die alte Dienerin vor ihm die Flur-
thüre.
„Gott sei Dank, daß Sie kommen, Herr Doktor!
EineDame wartet seit halb neun auf Sie. Ich habe
sie ins Wartezimmer geführt, da ich meinte, Sie
kämen früher. Nun ist es schon viertel nach zehn,"
„Was ist's Clara? Kennen Sie sie?"
„Nein, Dem ganzenWesennachist's eineFremde.
Sie scheint sehr krank zu sein," erwidert die Dienerin
und nimmt dem Arzt Hut und Stock ab.
„Brauchen Sie mich noch, Herr Doktor?"
„Nein, Clara, Sie können gehen."
Die Alte nahm eilig ihren Korb und grüßte.
„Wohl zu ruhen, Herr Doktor, morgen um
sieben. Gute Nacht!"
„Gute Nacht I" Unten fiel eine Thüre ins Schloß,
als der Arzt ins Ordinationszimmer eintrat. Eine
Fremde? Jetzt um diese Stunde? Was konnte ihr
fehlen? Er drehte das elektrische Licht auf und zog
die Portiere zum Wartezimmer zurück: „Ich bitte!"
Am Divan, mehr in liegender, denn in sitzender
Stellung, ruhte müde und erschöpft eine junge
Frau. Auf den ersten Blick sah der Arzt, daß er
eine Dame aus besseren Kreisen vor sich hatte.
Sie trug ei» braunes Reisekostüm, einfach elegant
gearbeitet, und eine lichte Toque, Aber in dem
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Richard Piefzsch (München)
Verdammtes Nestl Diese paar elenden G
schöpfe, die Abend für Abend, immer in den gleiche
geputzten Kleidern, immer in gleicher Zudringlichkc
scheu um ihren Lohn schlichen, das sind die einzige
Weiber, die küssen wollten! Wen es vor d
käuflichen Zärtlichkeit dieser Wesen ekelte, dem bli
nichts übrig, als zu heirathen, Er lachte. He
rathen! Auf solche verrückte Einfälle kann mc
eben auch nur in dieser Kleinstadt kommen! Hä!
man ihm vor drei Monaten, als er noch in Züri
an der Klinik war, vorausgesagt, daß es hi
so aussehen würde, er hätte sich gehütet, hieher ;
gehen. WeißderTeufel, man istdoch auch jung! Wo
er wenigstens Zeit hätte, wieder einmal in i
Großstadt zu fahren. Aber jetzt, da eben seine Prax
ein wenig in Zug kam, jetzt konnte er doch nii
wieder fort. Nein, jetzt hieß es die Zähne
zusammenbeißen und ausharren.
Er warf die Cigarre fort, setzte den Hut auf
und ging, seinen Schritt beschleunigend, die See-
straße hinab nach seiner Wohnung. Als er auf-
schloß und die Treppe in den ersten L-tock hinan-
stieg, öffnete die alte Dienerin vor ihm die Flur-
thüre.
„Gott sei Dank, daß Sie kommen, Herr Doktor!
EineDame wartet seit halb neun auf Sie. Ich habe
sie ins Wartezimmer geführt, da ich meinte, Sie
kämen früher. Nun ist es schon viertel nach zehn,"
„Was ist's Clara? Kennen Sie sie?"
„Nein, Dem ganzenWesennachist's eineFremde.
Sie scheint sehr krank zu sein," erwidert die Dienerin
und nimmt dem Arzt Hut und Stock ab.
„Brauchen Sie mich noch, Herr Doktor?"
„Nein, Clara, Sie können gehen."
Die Alte nahm eilig ihren Korb und grüßte.
„Wohl zu ruhen, Herr Doktor, morgen um
sieben. Gute Nacht!"
„Gute Nacht I" Unten fiel eine Thüre ins Schloß,
als der Arzt ins Ordinationszimmer eintrat. Eine
Fremde? Jetzt um diese Stunde? Was konnte ihr
fehlen? Er drehte das elektrische Licht auf und zog
die Portiere zum Wartezimmer zurück: „Ich bitte!"
Am Divan, mehr in liegender, denn in sitzender
Stellung, ruhte müde und erschöpft eine junge
Frau. Auf den ersten Blick sah der Arzt, daß er
eine Dame aus besseren Kreisen vor sich hatte.
Sie trug ei» braunes Reisekostüm, einfach elegant
gearbeitet, und eine lichte Toque, Aber in dem
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