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Nr. 35

1905

Ulas Cante Röschen nicht leiden
kann —

Ls nw auf dem Laude. Die Abendluft
war schwer von Linden- und Wickenduft
Und unten fas; auf der Veranda
Bei Tante Röschen Cousine wanda.

Die Letztere hat — die Erster? nicht > —
(Ein liebes, süßes Mädelgesicht,

Rosig, mit goldigen Ringelhäkchen,
lvie eine Prinzessin aus dem Märchen,
Und hörte, als glaubte sie wirklich dran,
Der Tante Röschen Belehrungen an,

Die ich, ihr Sorgenkind und Neveu,
Belauschte von meines Balkones pöh'

Und aufnotierte mit teuflischem Lachen,
Um schlechte Witze drüber zu machen.

Die Tante behandelte — ziemlich schroff l —
Mal wieder gerat»’ ihren Lieblingsstoff.
Das ist: die Verderbtheit der

Jugend von heute
Mit Einschluß diverser älterer

Leute.

Sie hatte sich soeben mit scharfem Diskant
Der weiblichen Kleidung zugewandt:

„Noch weniger fast, als die Modefexen,
Mag ich die verrückten NeformkleiderhexenZ
Diese verrannten und überspannten
Präraphaclitischen dürren Tanten,

Die sich sczessionistisch kleiden,

Die kann ich aber schon gar nicht leiden I
Solch eine Wursthaut, eine pralle,

Zeigt ja doch alle Formen — alle! —
Den Männcrbliekcn indiskret.. .

Und meistens tragen sic kein Torsett
Gder blos ein ganz kurzes, das Nichts

verschweigt.

Sondern erst recht Alles deutlich zeigt.
Ueberhaupts" — sprach seufzend die

Taute wieder —

„Ueberhaupts, ein ehrbares, christliches

Mieder

Reicht vorne herauf bis zum Schlüsselbein —
Deines könnte auch etwas höher sein!"
Und weiter eiferte Taute Röschen:

„Da tragen sie zierliche Unterhöschen,
Ganz kurze, rundgeschnitten aui Knie,

Mit Spitzen und Schleifchcn —

o fi donc, fll

Ein sittsames Beinkleid ist schlicht und

gerade,

Am Besten aus weiß und rothem Flanell,
Mit blauen Festons noch eventuell,

Und reiche herab bis zur halben Wade.
Und gar die pemden vom dünnsten, feinen,
Spinnwebdurchsichtigen leichtesten Leinen
Mit gar keinen Aermeln und bis zum Magen
Tiefausgeschuitte», die sie jetzt tragen!

Ja, Manche haben — ich weiß es

bestimmt I — *

Sie hob die Stimme, sittlich ergrimmt,
„Zuweilen selbst seidene pemden und Posen,
Diese Weibsbilder, diese sittenlosen,

Und solche ans luftigeni bunten Battist,
lvas einfach ehrlos und scheußlich ist —
Die spekulieren mit Deutlichke»t
Ja blos auf die männliche Lüsternheit l" —
„wieso?" fragt wanda, erstaunten

Gesichts —

„Die Männer sehen davon doch Nichts?!" -
„Du dumme Gans!" sprach Tante Röscheti,
Nahm eine Lakritze aus ihrem Döscheti,
Und fuhr in der lieblichen Totiart weiter:
„Ueberhaupts, jetzt werdet» die Unterkleider
Stets weniger, wie ich schmerzlich entdecke!
Zn »»eitler Zeit trug man, wohlgemerkt,
Noch mindestens zwei »veiße Uuterröckc,
Mit gauffrierten Volants und steif gestärkt.
Darunter, aus rother ivolle gehäkelt,

Ein Anstandsröckchen und in der pöh’
Noch einen Staatsuntcrrock ans Moirü!
Jetzt schwanden voll de»» weiblichen Beinen
Schon sämmtliche Röcke bis auf einen!
wovor mir aber besotidcrs ekelt," —

So fuhr sie fort in ihrem Geschimpfe —
„Das sind die schwarzen modernen Strümpfe,
womöglich durchbrochen, damit die paut
Recht schautlos weiß durch die

Maschen schaut!
Die kann ich nun schon aber gar nicht leiben!
lvie trug man früher so nett mit» bescheiden
Schneeweiße Strümpfe, die man geschickt
Im Kaffeekränzchen sich selbst gestrickt —
Das gehörte zum guten alten Ton —
Auch wurden die Beine nicht schwarz davon!
Und Strumpfhalter hat man aus Atlas

und Spitzen

An jedem Strumpfe gleich Zweie sitzen,
Damit nur derfelbige recht pikant
Sich über Knie und Waden spannt.

Zu meilier Zeit, ja, da banden sie
Den Strumpf noch mit Bändchen und

unterm Ktiie,

Das paßte für eitle christliche Frau!

Aber da war man halt nicht so verrottet
Ueberhaupts noch und so vcrkokottet!

Da trage»» sie Schühlein, weiß, oder grau
Gder gelb oder roth oder solche aus Lack
vom rechten Demimondänengeschmack!
wie hat inan zu meiner Zeit, der alten,
Auf gutes Kalblcder noch gehalten —

Da hörte man Line doch richtig trappen!
Und »in Sommer gab’s Zengschuh'

mit Lederkappen!

Aber das Schlimmste, was sie erdacht
Und »vo mir der Anblick schon Krämpfe macht
Und was ich nicht leiden kann in den Tod
Und was mir beiveist, lvie die lvelt verroht
Und »vo ich mich wundern muß überhaupt,
Daß die Polizei so was erlaubt,

Das sah ich neulich als lutest fashion
In einem Laden: Die Eombination —
Ein dünnes Trikot statt Pose und pemdl
Ist ihnen denn alle Scham jetzt fremd,
Sind sie denn schon ganz verlumpt

und vertrackt,

Daß sich geradezu pudelnackt

Die Weiber von heut' in die Kleider stecken

Und kaum Überhaupts mehr die Blöße

decken?!

Mich macht der Gedanke erröthen — o! —
Daß mich in einem solchen Trikot
Ein Mann erblickte — pfui der Daus!"
„wieso?" sprach »vicder erstaunt die .

wanda —

„wenn man sich anzieht, oder aus,
Geliebie Tante, ist doch keil»

Mann da?"
Darauf hat die grimmige Tante jetzt
Ihr abermals eine „Gaus" versetzt;
Dann fährt sic »veitcr so fort, zu tadeln,
Mit viel Beredsamkeit und pärte:
Das Temiisspielen, Auteln und

Radeln,

Die vielen Theater und vielen

Toncerte,

Die püte, wie Wagenräder groß,
Die laugen geraden Paletots,

Die wuschelfrisuren und

Iungfernscheitel,

Die silbernen Börsen und Taschen
und Beutel,

Die laugen Muff- und Binokel kette»»,
Die theuercn Breitschwanz- und

Nörzjaketten,

Das gräßliche Rauchen von

Eigarretten,

Den Secessionsschmuck und

derlei Plunder —
Und da sei es weiter natürlich

kein Wunder,

Wenns wimmelt jetzo von

solchen Frauen,
Die gar nicht auf ihren

paushalt schauen
Und nichts besorgen in ihren Küchen
vor lauter Ehe- und

Knochcn-Brüchen

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Register
Karl Soffel: Zierleiste
Fritz Frh. v. Ostini: Was Tante Röschen nicht leiden kann
 
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