Craumweise H- Welsgerber (manchen)
Ls war der letzte Tag meines Urlaubes; ein-
sam stand ich in der kleinen Bahnstation, den Zug
erwartend, der mich wieder dem alten grauen
Einerlei der werkeltage entgegenführen sollte. Lin
schwerer ljeugeruch wehte, vom winde getragen,
herüber und ein feiner naßkalter Regen rieselte
hernieder; der Mond, von einem dichten Wolken-
fior verdeckt, blinzelte nur hie und da zur trau-
rigen, herbstlichen Erde herab, als wollte er fein
vcrständniß mit ihren Leiden kund thun. Im
nahen Dorfe wurde eine Hochzeit gefeiert. Die
Musikanten spielten und die Hochzeitsgäste johlten
und sangen. Die Klänge der Fiedeln drangen zn
mir herüber und übertöntcn das Gesumme und
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Pi Ul- X
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Pt': . . rr rr 1
4__ .
Gebrause der Stimmen. Ich horchte auf. Lang-
gezogen und zitternd hauchten die Saiten ihre
jubelnden Seufzer in die Nacht und sangen die
jauchzende und klagende Melodie eines Walzers.
Und wie ich den Tönen lauschte, da ward es mir
weich ums Herz: ich sah mich als jungen Burschen
bei einem fröhlichen waldfeste tanzen. Der gleiche
Walzer erklang, und im Arme hielt ich den him-
mel meiner einzigen Liebe: Lharlotte. Dann
übereilte die Erinnerung lange Jahre; ich erblickte
mich im steifen, schwarzen Festkleide, den hell er-
leuchteten Ballsaal durchfliegend, im Arme dieselbe
Lharlotte, aber sie hatte inzwischen einen andern
zum Gatten erwählt, und als der Tanz zu Ende
war, da trennten wir uns so kalt und höflich und
steif, als hätten unsere Lippen sich nie berührt.
Und dann schwirrten unzählige Mädchen- und
Frauengestalten an mir vorbei; mit ihnen allen
hatte ich getanzt, den Walzer getanzt, der eben
erklang.-Die Töne wurden reiner und klarer,
sie wurden stärker und mahnender, sie prickelten
und lockten, und eh' ich mich's versah, tanzte ich
mutterseelenallein vor der kleinen Station nach den
fernen Klängen der Geigen. Als ich stille stand,
gewahrte ich den Bahnbeamten in der Thür seiner
Kanzlei lehnen. Er mochte wohl wunder was
gedacht haben, da er den Graukopf mit dem lange»
Bergstöcke in der Hand im Regen Herumwalzen
sah. Als der Zug einfuhr, bcnierkte ich, wie er
mich der besonderen Aufmerksamkeit des Schaffners
empfahl, weil es bei mir — wie ich aus seinen
Gesten entnahm — im Kopfe nicht ganz richtig
sein müsse.
Norbert Lpnkke
Ls war der letzte Tag meines Urlaubes; ein-
sam stand ich in der kleinen Bahnstation, den Zug
erwartend, der mich wieder dem alten grauen
Einerlei der werkeltage entgegenführen sollte. Lin
schwerer ljeugeruch wehte, vom winde getragen,
herüber und ein feiner naßkalter Regen rieselte
hernieder; der Mond, von einem dichten Wolken-
fior verdeckt, blinzelte nur hie und da zur trau-
rigen, herbstlichen Erde herab, als wollte er fein
vcrständniß mit ihren Leiden kund thun. Im
nahen Dorfe wurde eine Hochzeit gefeiert. Die
Musikanten spielten und die Hochzeitsgäste johlten
und sangen. Die Klänge der Fiedeln drangen zn
mir herüber und übertöntcn das Gesumme und
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Gebrause der Stimmen. Ich horchte auf. Lang-
gezogen und zitternd hauchten die Saiten ihre
jubelnden Seufzer in die Nacht und sangen die
jauchzende und klagende Melodie eines Walzers.
Und wie ich den Tönen lauschte, da ward es mir
weich ums Herz: ich sah mich als jungen Burschen
bei einem fröhlichen waldfeste tanzen. Der gleiche
Walzer erklang, und im Arme hielt ich den him-
mel meiner einzigen Liebe: Lharlotte. Dann
übereilte die Erinnerung lange Jahre; ich erblickte
mich im steifen, schwarzen Festkleide, den hell er-
leuchteten Ballsaal durchfliegend, im Arme dieselbe
Lharlotte, aber sie hatte inzwischen einen andern
zum Gatten erwählt, und als der Tanz zu Ende
war, da trennten wir uns so kalt und höflich und
steif, als hätten unsere Lippen sich nie berührt.
Und dann schwirrten unzählige Mädchen- und
Frauengestalten an mir vorbei; mit ihnen allen
hatte ich getanzt, den Walzer getanzt, der eben
erklang.-Die Töne wurden reiner und klarer,
sie wurden stärker und mahnender, sie prickelten
und lockten, und eh' ich mich's versah, tanzte ich
mutterseelenallein vor der kleinen Station nach den
fernen Klängen der Geigen. Als ich stille stand,
gewahrte ich den Bahnbeamten in der Thür seiner
Kanzlei lehnen. Er mochte wohl wunder was
gedacht haben, da er den Graukopf mit dem lange»
Bergstöcke in der Hand im Regen Herumwalzen
sah. Als der Zug einfuhr, bcnierkte ich, wie er
mich der besonderen Aufmerksamkeit des Schaffners
empfahl, weil es bei mir — wie ich aus seinen
Gesten entnahm — im Kopfe nicht ganz richtig
sein müsse.
Norbert Lpnkke