Dr. Frieda Stürmer
über Männertrug und Zrauenrache
Vorbemerkung. Um der Subjektivität der
nachfolgenden Sätze gerecht zu werden, wolle man
sich der Kampfstimmung erinnern, in welche
unsere liebenswürdige Kollegin durch die Schriften
der Herren Möbius und Meininger versetzt war.
Ich habe versucht, dies in der Erzählung „Untreu
oder treulos?" in Nr. 34 der „Jugend" darzu-
legen. Vermuthlich hat vr. Frieda Stürmer,
seitdem sie einem Knaben das Leben geschenkt,
wesentlich andere Saiten auf ihrer Lyra ange-
schlagen. Vielleicht wird darüber bald zn berichten
sein; wie ich höre, hat sie bereits begonnen, ihre
„Gedanken beim Stillen eines Männchens" zu
Papier zu bringen. G. H.
»Ter ganze moderne Zank über die beiden Ge-
schlechter krankt an der Dummheit, daß immer von
„der" Frauenfrage schlechtweg.gesprochen wird. In
Wirklichkeit gibt es so viele Frauensragen, als es
unter den Weibern Temperamente gibt. Was
dem heißblütigen Manne recht ist, das ist der heiß-
blürigen Frau nur billig: die Kalten, Trägen,
Schwachen — mögen sie Weiblein oder Männlein
sein — kommen eigentlich bei einer Kultursrage gar
nicht in Betracht.»
»Nachdem er ihrer unerfahrenen Liebe unter süßen
Verheißungen das Hymen abgeschwindclt, ja halb
enwissen hatte, ward sie von ihm Mutter. Als aber
die schimpflich Verlassene in Thränen gebadet für ihr
Töchterchen von der reichen Familie des Wortbrüch-
igen wenigstens das Wort lein .Vater'erbat, sagte
man ihr: .Nein, einen Vater und väterliche Ver-
wandte gibt es nach dem Gesetze für Deinen Wechsel-
balg picht, — nur wenn die Kleine mal groß und
hübsch wird, muß sie sich hüten, von ihrem Erzeuger
oder einem seiner Herren Söhne sich verführen zu
lassen, sonst kommt das arme Ding ins Zuchthaus.
Das gebietet die Sittlichkeit.' — Da schwur die Ver-
lassene, ihre Tochter zu einer Geißel dieser romanti-
schen Gesetzgeber zu erziehen.»
»Oh heiliger Möbius, wo und — wie magst Du
Deine intimen Fraucnstudien gemacht haben! Ja,
freilich, schwach sind die meisten unter uns gegen
männliche Anmaßung, und sinnig noch da, wo die
Romantik schon längst Unsinn ist. Das kommt von
unserer überlegenen Phantasie, die in Schule und
Haus mit der perversen Vorstellung vollgepfropft
ward, daß der Mann ein höheres Wesen sei.»
»Möbius und Brantöme — deutsche und
sranzössiche Kennerschaft! Dort oberflächliche, haß-
erfüllte Verallgemeinerung eines prätentiösen Dog-
mas, hier liebevolle, man könnte fast sagen wissen-
schaftliche Auszählung tausend verschiedener Fälle,
aus denen hcrvorgeht, daß man den zahlreichen
Frauentypen durch ,das' Weib Gewalt anthut.
Von dem Typus der Geist- und Temperamentvollen
hat Herr Möbius.keinen Dunst, nicht einmal einen
pathologischen. Und doch war der göttliche BrantSme
kein Professor, sondern nur ein Kavalier, und noch dazu
ein ultramontaner. Auch Paul Bourget, der
feinste unter den neuftanzösischen Frauenkennern, ist
ja mehr kirchlich als profan. Seine Physiologie de
l’amoor moderne strömt Weihrauchdüste aus. Die
letzte Zuflucht auch des Mannes ist bei ihm — der
Betschemel.»
»„Normal" — wie unendlich viele Mißver-
ständnisse und Ungerechtigkeiten hat dieses moderne
Wort verschuldet! Die Anästhetischen halten die
Kälte für normal, die Heißblüsigen die Sinnlichkeit.
Aus dem Jammergeschrei der Sittlichkeitsapostel und
ihrer Damen (es sind nicht immer ihre Frauen!)
schließe ich, daß diese Herrschaften in Bezug aus ge-
schlechtliche Gefühle sehr traurig ausgestattet sind,
da sie in dem Irrwahn leben, mit ihren Predigten
und Ermahnungen die Natur der reicher Ausge-
statteten ändern zu können. Sie vergessen, daß es
zu allen Zeiten die Heißblütigen waren, die nicht
nur durch ihre geschlechtliche Energie, sondern aych
durch ihre Körperkraft, durch Geist und Muth sich
vor den anderen ausgezeichnet haben. Die Sinn-
lichkeit ist das „normale" Attribut aller Starken, der
Vollmenschen, der Eroberer, Bahnbrecher und Er-
halter.»
»Es ist schrecklich, daß wir für das am reichsten
disierenzierte Gebiet unseres Gejühlslebens nur das
eine Wort „Liebe" haben. Diese Armuth der Sprache
ist die Quelle vieler Leiden. So ist in den aller-
meisten Füllen die rein sexuelle Untreue gar kein
Verrath jener Liebe, die das Ausgehen unserer
ganzen Lebenserwartung in einem anderen Herzen
bedeutet.»
»Da nun der Mann mit seiner roh überlegenen
Physis (nicht Sinnigkeit) das Weib brutalisieren
durste, so konnte er ihr auch eine besondere Moral
vorschreiben, die er durch Bibel, Religion, Gesetz
und Sitte geheiligt hat. „Du sollst als Hörige nur
eines Mannes Sache sein, dann halten wir Dich
zwar für dumm, aber für anständig, ja Du kannst
sogar Ehefrau werden; willst Du mehreren an-
gehören, so ist uns das zwar sehr angenehm, aber
wir brandmarken Dich als Dirne. Wir kommen dann
wohl gern zu Dir, nicht obschon, sondern weil D»
unsittlich bist, während die „anständige" daheim in
ihrer Dummheit sittlich schmoren kann." So spricht
der brave Mann.»
» Der Mann, der seine Frau nicht aus Egois-
mus. sondern um ihrer willen liebt, — freilich,
wie wenige vermögen das! — wird auch vor ihrem
Temperament und ihren rassigen Sensationen einen
gewissen weitherzigen, vielleicht sogar wohlwollenden
Respekt haben. Ich meine, daß grade von gläubigen
Katholiken, denen aus religiösen Gründen die Er-
haltung der Ehe als oberstes Prinzip gilt, häufiger
solche Rücksichten aus die Eigenart der geliebten Frau
genommen werden, als von Protestanten, Juden
und Unkirchlichen. In gewissem Sinne „hat es" die
temperamentvolle Frau in der katholischen Kirche
„besser", als im Schooße irgend einer anderen Kirche,
vorausgesetzt, daß sie (auch dem Beichtvater gegen-
über) Haare aus den Zähnen und einen Gatten hat,
in dessen Armen zu ruhen ihr keine Pein verursacht.»
»Die Untreue des Mannes ist ein Ucberflüßiges,
eine Lächerlichkeit, ein uninteressanter Schnörkel der
Natur; sie kann daher nie ohne Weiteres Gegen-
stand der Poesie oder gar der Tragödie werden.
Wie ganz anders sieht sich die Untreue des Weibes
an! Schon bei dem bloßen Gedanken kriegt der
Mann seine nattirliche Gänsehaut.»
»Was ich dem Unhold „Mann" als allergrößten
Schimpf anrechne, das ist die Roheit und Scham-
losigkeit, mit der er sich über das von Natur zwar
inniger, aber auch seiner und edler empfindende
Weib, man kann wohl sagen „hcrmacht", umseine
ungeordneten, unkünstlerischen Sperlingsbedurfnisse
zu befriedigen. Auch in der Ehe! Fast immer ist
es der besoffene Kerl, der durch seine viehische Art
die Frau degradiert und die Gesundheit der Nach-
kommen in Frage stellt. Schon aus Achtung vor
der viel werthvolleren Hingabe der Frau sollte der
Mann die folgenschwerste Handlung zum Gegen-
stände eines heiligen Kultus machen. So wenig
man eine Beethovensche Symphonie im Schweine-
stall ausführt, so wenig sollte der Mann sich der
Frau — mag es nun die „seine" oder eine andere
sein — im Alkoholrausch und ohne Ehrerbietung
nähern. Selbst die an denAuswurf der Männer-
welt gewöhnte Prostituierte wird für den feinen
Mann eine aus tiefster Seele kommende Dankbar-
keit haben.»
»Die Misogynie (d. h. die physiologische und
daher immer auch psychologische Unfähigkeit, das
Weibliche zu verknusen), ist eine der Hauptquellen
des bei geschwächten Männern trassierender Pessi-
mus, Weltschmerzes und Generalkatzenjainmers.
Anstatt aber nun einzusehen, daß es sich hier um
einen angeborenen oder erworbenen Defekt handelt,
setzen sich die Herren auf's hohe Roß und reiten
eine köstliche Attaque in die Gefilde des Blödsinns.
Ich kann den Rittern von der traurigen Gestalt
Abend im Thal
Otto Bauriedl (München)
749
über Männertrug und Zrauenrache
Vorbemerkung. Um der Subjektivität der
nachfolgenden Sätze gerecht zu werden, wolle man
sich der Kampfstimmung erinnern, in welche
unsere liebenswürdige Kollegin durch die Schriften
der Herren Möbius und Meininger versetzt war.
Ich habe versucht, dies in der Erzählung „Untreu
oder treulos?" in Nr. 34 der „Jugend" darzu-
legen. Vermuthlich hat vr. Frieda Stürmer,
seitdem sie einem Knaben das Leben geschenkt,
wesentlich andere Saiten auf ihrer Lyra ange-
schlagen. Vielleicht wird darüber bald zn berichten
sein; wie ich höre, hat sie bereits begonnen, ihre
„Gedanken beim Stillen eines Männchens" zu
Papier zu bringen. G. H.
»Ter ganze moderne Zank über die beiden Ge-
schlechter krankt an der Dummheit, daß immer von
„der" Frauenfrage schlechtweg.gesprochen wird. In
Wirklichkeit gibt es so viele Frauensragen, als es
unter den Weibern Temperamente gibt. Was
dem heißblütigen Manne recht ist, das ist der heiß-
blürigen Frau nur billig: die Kalten, Trägen,
Schwachen — mögen sie Weiblein oder Männlein
sein — kommen eigentlich bei einer Kultursrage gar
nicht in Betracht.»
»Nachdem er ihrer unerfahrenen Liebe unter süßen
Verheißungen das Hymen abgeschwindclt, ja halb
enwissen hatte, ward sie von ihm Mutter. Als aber
die schimpflich Verlassene in Thränen gebadet für ihr
Töchterchen von der reichen Familie des Wortbrüch-
igen wenigstens das Wort lein .Vater'erbat, sagte
man ihr: .Nein, einen Vater und väterliche Ver-
wandte gibt es nach dem Gesetze für Deinen Wechsel-
balg picht, — nur wenn die Kleine mal groß und
hübsch wird, muß sie sich hüten, von ihrem Erzeuger
oder einem seiner Herren Söhne sich verführen zu
lassen, sonst kommt das arme Ding ins Zuchthaus.
Das gebietet die Sittlichkeit.' — Da schwur die Ver-
lassene, ihre Tochter zu einer Geißel dieser romanti-
schen Gesetzgeber zu erziehen.»
»Oh heiliger Möbius, wo und — wie magst Du
Deine intimen Fraucnstudien gemacht haben! Ja,
freilich, schwach sind die meisten unter uns gegen
männliche Anmaßung, und sinnig noch da, wo die
Romantik schon längst Unsinn ist. Das kommt von
unserer überlegenen Phantasie, die in Schule und
Haus mit der perversen Vorstellung vollgepfropft
ward, daß der Mann ein höheres Wesen sei.»
»Möbius und Brantöme — deutsche und
sranzössiche Kennerschaft! Dort oberflächliche, haß-
erfüllte Verallgemeinerung eines prätentiösen Dog-
mas, hier liebevolle, man könnte fast sagen wissen-
schaftliche Auszählung tausend verschiedener Fälle,
aus denen hcrvorgeht, daß man den zahlreichen
Frauentypen durch ,das' Weib Gewalt anthut.
Von dem Typus der Geist- und Temperamentvollen
hat Herr Möbius.keinen Dunst, nicht einmal einen
pathologischen. Und doch war der göttliche BrantSme
kein Professor, sondern nur ein Kavalier, und noch dazu
ein ultramontaner. Auch Paul Bourget, der
feinste unter den neuftanzösischen Frauenkennern, ist
ja mehr kirchlich als profan. Seine Physiologie de
l’amoor moderne strömt Weihrauchdüste aus. Die
letzte Zuflucht auch des Mannes ist bei ihm — der
Betschemel.»
»„Normal" — wie unendlich viele Mißver-
ständnisse und Ungerechtigkeiten hat dieses moderne
Wort verschuldet! Die Anästhetischen halten die
Kälte für normal, die Heißblüsigen die Sinnlichkeit.
Aus dem Jammergeschrei der Sittlichkeitsapostel und
ihrer Damen (es sind nicht immer ihre Frauen!)
schließe ich, daß diese Herrschaften in Bezug aus ge-
schlechtliche Gefühle sehr traurig ausgestattet sind,
da sie in dem Irrwahn leben, mit ihren Predigten
und Ermahnungen die Natur der reicher Ausge-
statteten ändern zu können. Sie vergessen, daß es
zu allen Zeiten die Heißblütigen waren, die nicht
nur durch ihre geschlechtliche Energie, sondern aych
durch ihre Körperkraft, durch Geist und Muth sich
vor den anderen ausgezeichnet haben. Die Sinn-
lichkeit ist das „normale" Attribut aller Starken, der
Vollmenschen, der Eroberer, Bahnbrecher und Er-
halter.»
»Es ist schrecklich, daß wir für das am reichsten
disierenzierte Gebiet unseres Gejühlslebens nur das
eine Wort „Liebe" haben. Diese Armuth der Sprache
ist die Quelle vieler Leiden. So ist in den aller-
meisten Füllen die rein sexuelle Untreue gar kein
Verrath jener Liebe, die das Ausgehen unserer
ganzen Lebenserwartung in einem anderen Herzen
bedeutet.»
»Da nun der Mann mit seiner roh überlegenen
Physis (nicht Sinnigkeit) das Weib brutalisieren
durste, so konnte er ihr auch eine besondere Moral
vorschreiben, die er durch Bibel, Religion, Gesetz
und Sitte geheiligt hat. „Du sollst als Hörige nur
eines Mannes Sache sein, dann halten wir Dich
zwar für dumm, aber für anständig, ja Du kannst
sogar Ehefrau werden; willst Du mehreren an-
gehören, so ist uns das zwar sehr angenehm, aber
wir brandmarken Dich als Dirne. Wir kommen dann
wohl gern zu Dir, nicht obschon, sondern weil D»
unsittlich bist, während die „anständige" daheim in
ihrer Dummheit sittlich schmoren kann." So spricht
der brave Mann.»
» Der Mann, der seine Frau nicht aus Egois-
mus. sondern um ihrer willen liebt, — freilich,
wie wenige vermögen das! — wird auch vor ihrem
Temperament und ihren rassigen Sensationen einen
gewissen weitherzigen, vielleicht sogar wohlwollenden
Respekt haben. Ich meine, daß grade von gläubigen
Katholiken, denen aus religiösen Gründen die Er-
haltung der Ehe als oberstes Prinzip gilt, häufiger
solche Rücksichten aus die Eigenart der geliebten Frau
genommen werden, als von Protestanten, Juden
und Unkirchlichen. In gewissem Sinne „hat es" die
temperamentvolle Frau in der katholischen Kirche
„besser", als im Schooße irgend einer anderen Kirche,
vorausgesetzt, daß sie (auch dem Beichtvater gegen-
über) Haare aus den Zähnen und einen Gatten hat,
in dessen Armen zu ruhen ihr keine Pein verursacht.»
»Die Untreue des Mannes ist ein Ucberflüßiges,
eine Lächerlichkeit, ein uninteressanter Schnörkel der
Natur; sie kann daher nie ohne Weiteres Gegen-
stand der Poesie oder gar der Tragödie werden.
Wie ganz anders sieht sich die Untreue des Weibes
an! Schon bei dem bloßen Gedanken kriegt der
Mann seine nattirliche Gänsehaut.»
»Was ich dem Unhold „Mann" als allergrößten
Schimpf anrechne, das ist die Roheit und Scham-
losigkeit, mit der er sich über das von Natur zwar
inniger, aber auch seiner und edler empfindende
Weib, man kann wohl sagen „hcrmacht", umseine
ungeordneten, unkünstlerischen Sperlingsbedurfnisse
zu befriedigen. Auch in der Ehe! Fast immer ist
es der besoffene Kerl, der durch seine viehische Art
die Frau degradiert und die Gesundheit der Nach-
kommen in Frage stellt. Schon aus Achtung vor
der viel werthvolleren Hingabe der Frau sollte der
Mann die folgenschwerste Handlung zum Gegen-
stände eines heiligen Kultus machen. So wenig
man eine Beethovensche Symphonie im Schweine-
stall ausführt, so wenig sollte der Mann sich der
Frau — mag es nun die „seine" oder eine andere
sein — im Alkoholrausch und ohne Ehrerbietung
nähern. Selbst die an denAuswurf der Männer-
welt gewöhnte Prostituierte wird für den feinen
Mann eine aus tiefster Seele kommende Dankbar-
keit haben.»
»Die Misogynie (d. h. die physiologische und
daher immer auch psychologische Unfähigkeit, das
Weibliche zu verknusen), ist eine der Hauptquellen
des bei geschwächten Männern trassierender Pessi-
mus, Weltschmerzes und Generalkatzenjainmers.
Anstatt aber nun einzusehen, daß es sich hier um
einen angeborenen oder erworbenen Defekt handelt,
setzen sich die Herren auf's hohe Roß und reiten
eine köstliche Attaque in die Gefilde des Blödsinns.
Ich kann den Rittern von der traurigen Gestalt
Abend im Thal
Otto Bauriedl (München)
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