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1905

Nr. 41

JUGEND

Liebe Jugend!

So oft davon die Rede ist, wie angesichts von
nackter Kunst ein Moment des Unreinen meist erst
durch die unreinen Augen des Beschauers herbei-
gebracht wird, dem Reinen aber das Schöne im-
mer rein ist, fällt mir ein Erlebnis; aus meiner
Kinderzeit ein. Damals — lang, lang ist's her! —
waren im Handel die verkleinerten Nachbildungen
zweier französischer Bildwerke sehr beliebt, die, als
Gegenstücke gedacht, wenn ich nicht irre, „Abend-
und Morgenstern" hießen: schwebende nackte Frauen-
gestalten, sternengekrönt, von Putten geleitet, Auch
zu uns in unser niederbayrisches Gutshaus waren
ein paar der gipsernen Göttinnen verschlagen
worden und eines schönen Tages wurden sie, ver-
muthlich weil die Fliegen sie etwas zu stark ver-
unziert hatten, wieder- ausrangiert. Unser Dorf-
krämer kam dazu, ein Original mit dem Sinn
fürs Höhere, Er hielt ein Blättchen, trug eine
Brille, hielt viele Reden und sprach gerne ein ge-
wähltes Hochdeutsch, Wenn wir gelegentlich mit
unserm Fräulein vorsprachen, um einen Groschen
in Leckereien anzulegen, sagte er: „Ah — Sie
wünschen gewiß — Kinderpopo!" Es sollte „Bon-
bons" heißen. Also, der gute Mann kam dazu,
als die Gipsfigurcn eben fortgeworfen werden
sollten, fand, es wäre Schade um sie, bat sie sich
aus und trug sie beglückt nach Kmse. Ein paar
Jahre nachher lag er auf seinem letzten Kranken-
bett, und als unser alter Pfarrer geholt wurde,
war dieser nicht wenig entrüstet: Rechts und links
von einem Bilde des Gekreuzigten sah er zwei
nackte Damen aus Gips auf dem Stachttischchen
des kranken Krämers stehen. Er konnte seine
Entrüstung, so tolerant er sonst war, nicht ver-
bergen und fragte, was die zwei Weibsbilder da

neben dem Heiland sollten? Hub von dein er-
staunten alten Mann bekam er die Antwort:
„Aber das ist ja — die Hiurmelfahrt Mariä
und die Unbefleckte Empfängnißl"

Daß die zwei Figuren nackt waren, hatte der
naive Mensch offenbar nie bemerkt, obwohl sie
jahrelang sein Schlafzimmer geziert hatten!

läse IS.

Rinder der Zeit

Ein kluggesunder Moralist
Ist diesen Christen tiefverhaßt;

Denn wer ein rechter Sündcnchrist
AUHier zu werden fähig ist:

Der fastet sinnlos oder — praßt, 4927

(Einem sadistischen Prügelpädagogen)

Bei edler Jugend brauchst Du stets den Stock,

Zu feig und schwach, ein Schandgelüst zu ziigeln?
Dir sollt' man einmal heben auf den Rock,

Du Dreckgeburt, Dich blond und blau zu prügeln!

Was frommt es, daß ihr dumpf zum Himmel blickt
Und seufzend ruft: „Er hat das Leid geschickt!" —
Nein! Euer Unverstand hat es erzeugt
Und euer Leichtsinn blöd es großgesäugt,

(Die Urphanomene)

In allen letzten Fragen bringt
Kein Großer es zu höchster Klarheit,

Und dem Philister nur gelingt
Es stets, zu finden volle Wahrheit,

Maltber Vielbaber

Die besten Soldaten

Der Kaplan wiltz sprach im Burlacher Jüng-
lingsverein den Satz aus:

„wer ist es, der am Besten dem Kaiser
Dienst leistet? <Ls ist der christliche Soldat, es
ist der katholische Soldat!"

Bach dieser Entdeckung wird man wohl bald
hören, daß das Lentrum auf Abschaffung der
Simultan-Truppen dringt, allwo der bessere
Soldat, der katholische Soldat, durch den Kontakt
mit dem Soldaten II, Klasse, den protestantischen
Auchsoldaten, nicht blos an seinem Seelenheil,
sondern auch an seiner militärischen Tüchtigkeit
Schaden leidet. —» —

»

Klassisches Zeugniß

Dame: Also die Nacktheit beleidigt Sie nicht?

Julie: Ich wüßte nicht, wie mich das Schönste
beleidigen sollte, was das Auge sehen kann; und
überdies ist mir der Gegenstand nicht fremd, ich
habe ihn von Jugend auf gesehen.

Dame: Ich kann die Erzieher nicht loben, die
solche Gegenstände nicht vor Ihren Augen ver-
heimlichten,

Julie: Um Vergebung! wie hätten sie das
sollen und wie hätten sie's gekonnt? Man lehrte
mich die Naturgeschichte, man zeigte mir die Vögel
in ihren Federn, die Thiere in ihren Fellen, man
erließ mir die Schuppen der Fische nicht; und man
hätte mir sollen ein Geheimniß aus der Gestalt
des Menschen machen, wohin Alles weist, deutet
und drängt!

Goethe (Der Sammler und die Seimgen, 7, Brief,
XXXVI, S, 50 f.).

Das

gefährliche Kölner Plakat

Leser, strenge bitte an
Dein verehrtes Sehorgan,

Nicht' es voll und Kerzengrad
Jetzt auf dieses KunstplaKat!

Hast Du es genau befehn?

Ja? — Ganz deutlich? —

Danke schön!

Nun, geliebter Leser, sprich:

Findest Du es ärgerlich?

Findest Du, daß diese Dame
Irgend eine tugendsame
Seele ruinieren kann,

Sei sie weiblich oder Nlann?

- Nein! D Leser!

Du sprichst: nein,
wer das findet, der muß ein

— weißt Du, was ich

meine? — fein!
Doch Herr Bachem, der gerade
Die Gesellschaft, die Plakate
In dem heil'gen Köln verbreitet.
Sittenstreng als Vorstand leitet.
Dieser gute Bachem-Robert
Hat es glücklich ausbaldowert.
Daß dies Bildwerk

höchstgefährlich.
Weil es an Bekleidung spärlich;
Daß die Kinder, die es sehen.
Unfehlbar zu Grunde gehen,

Und, wenn sie auch sonst

gesund.

Plakat von Hanns Deiters (Düsseldorf)
für den Kunstsalon Richard Lenobel (Köln)

Fahren in den Höllenschlund!
Darum hat er abgelehnt,
Daß dies Bild die Stadt

verschönt!

Strengstens that

er untersagen,
Deffentlich es anzuschlagen,
Sintemal und alldieweil
Ls bedroht das Seelenheil.

D, wie find die Zeiten schön,
Denen wir entgegengehn:
Allenthalben macht sich breit
Fromme Pseudo-Sittlichkeit,

Die bei jedem Bild, das nackt,
Furor sexualis packt!

Und dies kümmerliche Lorps
Schreibt den deutschen

Künstlern vor,

was sie gnädigst dürfen malen,
Denn von diesen Kunstvandalen,
wird, wer ihnen nicht pariert.
Boykottiert und denunziert!

— Doch, wie stets und überall,
Ltwas Gutes hat der Fall.
Nämlich, daß er jedem Kind,
Zeigt, wie weit wir

glücklich sind.
Und wohin die Reise

führt.

wenn dte schw arze Ha n d

regiert!

-.Jugend''
Register
Walther Vielhaber: Kinder der Zeit
[nicht signierter Beitrag]: Klassisches Zeugniß
Redaktioneller Beitrag: Das gefährliche Kölner Plakat
-n-: Die besten Soldaten
Lise B.: Liebe Jugend!
Hanns Deiters: Plakat
 
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