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1905

JUGEND

Nr. 49

Wunschzettel

Sine Hdventepistel

Ein Wunschzettelchen also, liebes Schätzchen,
Soll ich Dir geschwinde, so schreibst Du,

schreiben.

Daß beim Weihnachtsmanne Dn was

recht Liebes

Hübsch bei Zeiten mir zu bestellen wissest?
Freilich, leider, Deine klugen Augen,

Die so helle mir sonst entgegenblanten,
Können in die meinigen heut nicht schauen,
Um den Wunsch vom Auge mir abzulesen,
Wie sie's oft gethan in schöneren Stunden:
Aber schickt es sich auch für einen Bräut'gam,
Der auf Viertelskost drei lauge Monde
In der Liebe für seine Sünden gesetzt ward,
Anderes sich zu wünschen im lieben Herzen
Als das Eine: Am Busen der Braut zu ruhen?

Nein! ruf' ich, und alle Verliebten mit mir!
Schön ists, mit des Schätzchens zierlich

gebranntem

Farbigen Wandspruch sich sein Heim zu

schmücken,

Schön das Sophakissen, das stolzgeschwolleu
Dem Besucher die Kunst der Braut verkündet,
Schön auch, in der Börse, die sie gestickt hat,
Seines Mammons traurigen Rest zu bergen.
Schön nicht minder, über wie unterm Herzen,
Um den Hals geschlungen in goldner Kapsel,
Der Geliebten sonniges Bild zu tragen:

Doch das Alles lege dem Einsamfernen
Zu des nordischen Waldes schönster Tanne,
Und genüber stell' ihm ein Kiesernbäumchen,
Klein und krüppelästig, aus märk'scher Heide,
Und Dich selber dazu, das schlankste

Bäumchen:

Und ich gebe die Werke Deiner Hände, -
Bretter, Kissen, Börsen, ja selbst Dein Bildnis;
Gerne für einen Druck der Hände selber,
Gern für ein einzig Stündchen, das ich müßig,
Von Dir selber innig umhalst, verschwende!
Kann ich Dir nicht mit Küssen Dein

Kissen lohnen,

Kopf gelehnt am Köpfchen, und würdig weihen,
Thun die Finger mir leid, die drum

sich niühten,

Und die Blicke, die Du daran verloren,
Statt für niich sie weislich aufzusparen.

Sich, mein Herz, das wären so etwa meine
Weihnachtsfestbescherungswunschgedanken!
Soll es, Schätzchen, durchaus jedoch

gewünscht sein,

Irgend ein Gegenstand oder Gegenständchen:
Ei so schenk mir, Kind, 'neu wucht'gen Bohrer,
Der die Bretter vorm Schädel meiner Buben
Mir durchbohre, die dreifach sie umpanzern,
Packe daneben ein Fläschchen Sehnsuchtsserum,
Oder besser: Stifte mir eine kräft'ge
Schlanke Peitsche, eine haudlichgedrehte,
Ueber Schwager Kronos klapprigem Klepper
Spornend sie mit scharfem Schlage zu

schwingen,

Daß die alte Kalesche mit uns in Bälde
Vor des eigenen Heims verheißungsvoller
Pforte halte: Sie schleicht mir viel zu träge!

frit; Erctner

Aus den „Fefes galantes“

des Paul Verlaine
Die Unerfahrenen (Des ingdnus)

Es wollten tid) — wir lah'n's — im Cüind

die Kleider

niit den zu hohen Stöckeln nicht vertragen,
Da mochten wir den Strumpf, den weihen,

leider

llur allzuoft mit heißem Dlidi erjagen.

lind kitzelnd manchmal ftach die fühen Damen
Ei» lüfternes Infekt: da galt's zu zupfen
Um llackentuch, fodah beim schnellen Lupfen
Wir schauernd plötzlich Schnee zu fchau'n

bekamen.

Der Rbend fank, ein herbftlich fahles Dämmern,
Die Schönen hingen träumend uns im Rrme
Und sagten leife Worte fo voll starme,

Dah heute noch die sterzen jäh uns hämmern.

Richard Scharckal
Splitter

Die Feinde haben wenigstens einen
grossen Vorzug vor den Freunden; sie ver-
schonen uns meist mit ihrem guten Rath,
und wenn sie ihn uns geben, so ist er ganz
ehrlich zu unserem Nachtheil gemeint.

Paul Garin

John Jack Vrieslander (Mönchen)

Dieser arme Vogel kommt aus Frankreich;
dort wurde er alt und schwach. Möge er in
Deutschland einen angenehmen Lebensabend
haben!

Das

doppelte Gestellt des Herrn Lucanus

(£in Zukunftsbild)

Der Chef des Civilcabinets, Geheimrath von
Lucanns, saß im Schlafrock, den Rücken der
Zimmerthür zugekehrt, beim Frühstück und wollte
eben nach alter Väter Weise das Bisquit in die
Kaffeetasse tauchen- Da hörte er plötzlich, ohne
daß vorher geklopft wurde, die Thür gehen. Un-
willig wandte er sich um, um den flegelhaften
Störenfried zur Rede zu stellen, aber kaum hatte
er den Kopf gedreht, so blieb ihm das Wort im
Munde stecken, und die spärlichen Haare auf seinem
gelichteten Schädel standen steif und starr wie ein
Garderegiment auf der Parade. Denn dort in der
Thür stand er selbst. Er selbst leibhaftig. Rur
nicht im Schlafrock, sondern in Gesellschaftstoilette,
das rechte Bein in zierlichem stumpfem Winkel an
das linke gepreßt, den Claque unterm Arm, das
Bändchen im Knopfloch und das verbindliche
Lächeln auf den Lippen. Der Chef des Civil-
kabinets wußte nicht, wie ihm geschah. Er hätte
den Kerl dort am liebsten zur Thür hinausgeworfen,
aber er fühlte, daß ihm der Arm gelähmt sei.
So machte er denn, ohne zu wissen, was er that,
eine Verbeugung nach der Thür hin und lud mit
einer höflichen Handbewegung den Anderen zum
Sitzen ein. Der hatte es offenbar auch nicht anders
erwartet. Denn er lächelte wieder so verbindlich,
daß dem Chef des Civilkabinets da? Blut zu Kopfe
stieg. Dann fing er an zu reden. O diese nieder-
trächtig freundliche Stimme! Wo hatte der Herr
Geheimrath die nur schon einmal gehört? Richtig!
Jetzt besann er sich. An jenem denkwürdigen
Morgen, da er bei Bismarck war. llnd dann ein
andermal im Empfangszimmer von Caprivi. llnd
dann wieder. . . Aber Herr Gott! Das war ja
seine eigene Stimme! Genau so häßlich und ge-
schäftsmäßig zu gleicher Zeit. Wie ein Hausbrot
in Vanilleusauce! llnd jetzt redete der Kerl da
drüben gar von geschäftlicher Ueberbürdung und
von der schweren Last der Jahre und von der
angegriffenen Gesundheit.. . Zum Teufel! Das
wußte er ja längst auswendig. Warum sagte er
es ihm denn? Er fühlte sich ja pudelwohl. Ja,
warum sagte er es gerade ihm? Da fühlte er,
wie ihm das Blut in die Augen schoß. Er sah
nichts mehr als dunkelrothe Flecke, die im Zimmer
herumtauzten. Seine Hand krallte sich um etwas
Weiche?, das fürchterlich schnaubte. Ein Stoß..
ein Gepolter wie von stolpernden Tritten... die
Thür fiel krachend ins Schloß und er in den
nächsten Stuhl. Da saß er lange, lange, und sann
und sann. Was hatte er nur gethan? Es mußte
was Fürchterliches sein, daß er fich nicht darauf
besinnen konnte. Etwas Fürchterliches! Ja, das
war's. Es kam näher und näher. . . Der Angst-
schweiß perlte auf der Stirn. . . Jetzt wußte er
es . .. E r h a t t e s i ch selbst zur Thür hin -
ausgeworfen I

Er trat ans Fenster und schaute auf die Straße-
Eben trat ein Mann unten aus der Hausthür.
Er lächelte hinauf und grüßte. Herr Gott! Das
war ja wieder er selbst. Und die Mappe, die der
Kerl unter dem Arm trug... die Mappe! Der
Herr Geheimrath setzte sich an den Schreibtisch
und schrieb einen langen Brief.. . den letzten als
Chef des Civilkabinets.

Crl-Cri

Aus dem fi. pvcufjtfcß. Hosi-l?ertkon
Bismarck (siehe unter Bismarckhäring)

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Register
Paul Garin: Splitter
Cri-Cri: Das doppelte Gesicht des Herrn Lucanus
Fritz Erdner: Wunschzettel
John Jack Vrieslander: Ein armer Vogel
 
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