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14 Seelen und ein Gedanke
.Mein niLN nick die <3lasscbeibe wäre...!'

H. Zille (Charlottenburg)

verbrecherische Dummheit
deutscher Mer und Grossväter

„Die menschliche Dummheit ist deshalb
so viel gefährlicher als die Dummheit des Thieres,
weit selbst der dümmste Mensch immer »och über
einigen Verstand disponiert, den er dazn verwenden
kann, um sich noch dümmer anzustellen, als das
nur über seinen Instinkt verfügende, aber auch
nie unter seinen Instinkt herabsinkende Thier.
Die absichtliche, gegenseitige Verdummung
ist ein Reservatrecht des Menschen. Darum werden
auch die grössten Viechereien stets und überall nur
von Menschen, nicht von Thieren begangen."

Als ich die vorstehende Binsenwahrheit nieder-
schrieb — abgedruckt in meinen „Wegen zur Liebe"
Seite 636 — dachte ich zunächst nur an die
Dummheit als Privatsport, sozusagen die
unverantwortliche Dummheit, mit der ein
Jeder sich selber schadet, ohne direkt seine Mit-
menschen zu belästigen. Es gibt aber auch eine
verbrecherische Dummheit, nämlich wenn der
sich absichtlich Verdummende durch seine Hand-
lungsweise seine Familie, seine Mitbürger, den
Staat in Mitleidenschaft zieht. Einen Versuch
zu solchem Verbrechen haben wir ant 13. Dezember
dieses Jahres 1906 int deutschen Reichstage erlebt.

Von der allgemein-politischen Seite des Schau-
spiels will ich ganz absehen. Wir sind im Lande
der Denker an politische Facheieleien derart ge-
wöhnt, daß uns hier selbst das Tollste nicht wunder-

nehmcn karm. Große Parteien besteigen in ge-
schlossener Phalanx das Nnrrenseit und plumpsen
in geschlossener Phalanx in den gut wattierten
Zuschauerraum, ohne sich wehe zir thun oder and)
nur Aufsehen zu erregen. Das Unerhörte finde
ich vielmehr in der verbrecherisch-dummen Ver-
bummelung des Selbsterhaltungstrie-
bes, in der gedankenlosen Preisgabe wichtigster
Lebensinteressen der eigenen Kinder, Enkel und
Urenkel.

Unser Vaterland steht — Gottlob! — im
Zeichen der Liebe und des Kindersegens, einer m;t
Elementargewalt fortschreitenden Nebervölker-
nng. Es ist schön und äußerst deutsch, das geliebte
Weib an's Herz zu drücken und sich an den Früchten
der Hingebung zu erfreuen. Aber hinter bicfcit
Seligkeiten hockt das Gespenst der Versorgung.
Von hundert Familienvätern und Müttern blicken
neunundneunzig mit Angst und Bangen in die
Zukunst der lieben Kleinen. Und nun sehen wir,
daß grade die kinderreichsten Parteien eine
den Deutschen „durch Gottes Fügung" erstandene
Massenversorgung embryonenmörderisch zu ver-
nichten bereit sind I

In keinem Lande der Welt wird nämlich voll
der katholischen Kirche so streng ans den ZengnngS-
zweck des geschlechtlichen Verkehrs gesehen, wie in
Deutschland, und in keinem Lande ist der Fa-
miliensinn der Richtbesitzenden so stark entwickelt
wie bei uns. Daß nun gerade die Reichsboten
dieser Volkskreise sich wie Besessene gegen die
Aufforstung deutscher ZnknnftSstaaten barzen, das

verstehe, ivcr dnzrt den — Beistand hat! Denn
mag man über den augenblicklichen Werth
unserer Kolonien noch so skeptisch denken, — daß
Gebiete mit dem doppelten Umfang des Rei-
ches bei einsichtsvoller Behaüdlüng dereinst un-
gezählten Millionen junger Deutscher Besitz und
Fortkommen gewähren müssen, das ist doch wohl
selbstverständlich.

Ja, deutsche Volksgenossen, lieben wir doch
das Land im heißen Erdtheil, das unserem Fleisch
und Blut vielleicht nach Jahrhunderten, wenn es
in deni greisenhaften Europa recht kalt geworden,
eine willkommene neue Heimath bietet. Lieben
wir dieses ehr.ich und friedlich erworbene und mit
so viel blutigen Opfern behatiptete Land, das letzte,
was uns die Engländer übrig gelassen haben.
„Halte fest, wilder Mann; was Du hast, laß nit
gähn!"

Nicht zwar an die egoistischen Junggesellen
und kinderlosen Doktrinäre der Ultramonianen und
Sozialdemokraten, sondern an die Fa m ili eit u ci t er
und Mütter dieser Parteien richte ich daher als
alter Kämpfer für Freiheit und Völkswohlfahrt
den Weckruf:

„Gedenket Eurer Rinder und Enkel und
aller konimcndcn Geschlechter aus der Saat
Eurer Liebe und wendet Euch von einer ver-
brecherisch dummen Rechthaberei ab, deren
Sieg noch in Jahrhunderten mit dem Fluche
Eurer darbenden Nachkommenschaft belegt
werden müßte I"

Georg lksirtb

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Heinrich Zille: 14 Seelen und ein Gedanke
Georg Hirth: Verbrecherische Dummheit deutscher Väter und Grossväter
 
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