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€in üßfich durch die Aofake^ne dforf Earafon (Sundborn)

dürftige Habe versteigert wurde. Ich erstand auf
°er Auktion ein Buch, in dem ich folgenden Brief
fand:

„Mein Besterl

Ich kenne Dich nicht, der Du diesen Brief liest,
und werde auch schwerlich jemals Deine Bekannt-
fchaft machen, da ich das Vergnügen habe, tot
iu sein. Aber Du wirst mich kennen, Du wirst
Ulich sogar vielleicht auf der Bühne bewundert
baben, und deshalb will ich Dir erzählen, wie ich
°>>f den komischen Einfall gekommen bin, mich
ivtzuschießen. Denn ein Selbstmord ist immer
ktwas Komisches, wenigstens kommt es mir so
aor, der ich mich so oft auf den Brettern abgemurkst
habe. Als ich Pierrotdarsteller wurde, verstand
'ch die Kunst der Mimik ebensowenig wie Du,
wein Bester. (Ich nehme an, Du bist nicht zu-
wlligerweise gleichfalls Pierrot, sonst gilt dieser
^atz — xrst recht.) Ich hatte mir einige Dutzend
Unmassen vor dem Spiegel einstudiert, übertriebene
3errgesichter, die dem Publikum gefielen, mir aber
auf die Dauer langweilig wurden. Künstler
wurde ich erst, als ich die Kleiderhäudlerpantomime
wunen lernte. Die Rolle interessierte mich. Ich
lebte mich in diese Rolle hinein, wie der Fach-
ausdruck lautet. Unwillkürlich fand ich überzeugende
Gesichtsausdrücke, eindringliche Gesten. Ich fühlte
die Borgänge des Stückes so tiefinnerlich, das?
wein Spiel geradezu aus Reflexbewegungen
bestand, Bewegungen, die mir selbst garnicht zum
Bewußtsein kamen. Ich wußte garnicht, wie das
Gesicht aussah, das ich an dieser oder jener Stelle
der Pantomime schnitt. Der Beifall des Publikums
machte mich erst auf mich selbst aufmerksam. Nun
begann ich, mich selbst zu beobachten, merkte mir

das Spiel meiner Muskeln, und wiederholte zu
Hause vor dem Spiegel mechanisch, was ich auf
der Bühne unter einem unbewußten Drange ge-
tan hatte.

Ich bekam auf diese Weise mein Gesicht in
eine ungeahnte Gewalt. Bald war mein Gesicht,
ja mein ganzer Körper nur noch ein Instrument
für mich, auf dem ich spielen konnte, wie Paganini
auf seiner Geige, lustige und ernste, heitere und
traurige Weisen. Damals stand ich auf dem
Gipfel meines Könnens, ich wußte, ich war Meister
iu meinem Fach, in meiner Kunst unerreichbar.
Das war um die Zeit der hundertundfünfzigsten
Aufführung. Da geschah eine verhängnisvolle
Umwandlung. Eine gräßliche Macht ergriff von
mir Besitz, die mich dem Wahnsinn nahe brachte.
Bisher war mein Wille Herr meines Gesichtes
gewesen, nun wurde plötzlich mein Gesicht Herr
meines Willens. Nicht als ob ich mein Muskel-
spiel nicht mehr in der Gewalt gehabt hätte! Nein,
mein Gesicht gehorchte noch immer meinen Nerven,
aber es zwang mich, jede Verzerrung mitzuempfin-
den, mitzucrleben. Schnitt ich ein lachendes ®e-
sicht, so wurde ich im selben Moment von einer
unbändigen Heiterkeit ergriffen, gab ich ihm den
Ausdruck des Entsetzens, so packte mich eine furcht-
bare Angst, mir war, als ob mir zwei knochige
Hände die Kehle zuschnürten, eine unbegreifliche
Feigheit lähinte meine Widerstandskraft. Ich litt
unbeschreibliche Qualen. Jeden Abend erlebte ich
die grauenhafte Kleiderhändlerkomödie am eignen
Leibe. Das Erscheinen des Gespenstes trieb mir
die Haare zu Berge; das war nicht mehr mein
Kollege, mit dem ich eine halbe Stunde zuvor
am Buffet geplaudert hatte, das war das wahr-

hafte Gespenst des Kleiderhändlers, den ich mit
diesen, meinen Händen ermordet hatte. Wenn ich
ihn umarmte, lief es mir eiskalt über den Rücken,
der Angstschweiß trat mir auf die Stirne, das
Herz drohte mir still zu stehen. Ich fürchtete mich
jeden Abend, die Bühne zu betreten, ich nahm mir
jeden Abend vor, diesmal stark zu sein — und
ich war jeden Abend beim Fallen des Vorhangs
dem Irrenhaus einen Schritt näher-

Anfangs beschränkte sich dieser Zustand auf
die Stunde, die ich auf der Bühne zubrachte.
Doch bald verfolgte mich die dämonische Macht
auf Schritt und Tritt. Ich begann auf der Straße
Grimassen zu schneiden, ich bekam grauenvolle
Angstanfälle, lief wie ein Toller durch die Stadt.
Eines Tags wies man mich aus dem Cafö Riche,
weil ich plötzlich augefangen hatte zu schreien und
mit den Armen um mich zu schlagen. Ich zer-
schlug die Spiegel in meiner Wohnung und war
von einer sinnlosen Wut erfaßt, alle Spiegel
und Schaufenster, in die mein Blick fiel, zu zer-
trümmern.

Bei der zweihundertsten Wiederholung der
Pantomime würgte ich den Kleiderhändler so
heftig, daß er eine Viertelstunde lang besinnungs-
los lag.

Die Natur hat sich an mir gerächt. Ich kann
nicht mehr weiter leben, ein Narr meines Ge-
sichtes, ein Spielzeug meiner Muskeln. Ich will
es ertragen, solange ich es vermag, aber ich fühle,
daß der Augenblick nicht mehr fern ist, wo meine
Kraft zu Ende geht, und wenn Du, mein Bester,
diesen Brief in Händen hältst, ist das Unaus-
bleibliche geschehen. — Lebe wohl!

Pierrot."
Register
Carl Larsson: Ein Blick durch die Sofalehne
 
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