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Mit feinen Kreaturen kann man ein
volles Haus machen — aber kein großes.

Mancher hält Dich für arm, weil Du
ihm nicht heimzahlen kannst in seiner Münze.

Autorität und Schablone sind Götzen,
denen noch heute blutige Menschenopfer fallen.

Für Deine verlorene Ehre gibt es nur
einen ehrlichen Finder — Dich selbst.

Das Leben und die Menschen von der
häßlichsten, erbärmlichsten Seite kennen zu
lernen, hat der Reichtum mehr Gelegenheit
als die Armut.

Noblesse ist ebenso oft eine Forderung
der Klugheit und sogar der Selbsterhaltung
— als wie inneres Bedürfnis.

Es gibt keine Kleinigkeit für
den — Könner!

Wo der Verstand, das Ver-
ständnis aufhört, sängt bei dem
einen die Gottheit, beim andern der
Ziveifel an und beim dritten der
Unsinn.

Mancher, der Deine Saat mit
Füßen getreten, kniet andächtig
nieder vor Deiner Ernte.

Der Dame, die ans den ersten
Blick uns zwingt, ihre unantastbare
Reinheit zu fühlen und anznerkeu-
nen, begegnen wir unter den Zi- '5^1
geunern so gut wie im Hause der Vs®
Patrizier.

Alle, die Larven heiraten, müssen
darauf gefaßt sein, daß daraus
Schmetterlinge sich entwickeln oder
Ungeziefer.

Die Springbrunnen im Park waren abgeitcllt.
die Fenster des Schlosses verhängt. Auf dem Dach
saß ein Lakai und wartete auf das Signal, die
Flagge auf Halbmast zu hissen.

In seinem Schlafgemach ruhte Serenissimus LVI.
Er hatte mehrere Stunden regiert d. h. geschlafen
und fühlte sich den Umständen nach wohl. Tenn
Serenissimus war nicht kränker, als er sein Lebtag
gewesen war: die Gicht hatte er seit dem zwan-
zigsten Lebensjahr, mit dreißig war die Alters-
schwäche dazugekommen, an der er nun vierund-
vierzig Jahre litt. Serenissimus wußte, daß er
sterben mußte. „Aeh — fühle das!" hatte er
gestern noch gesagt. „Tod — äh — macht
keinen Unterschied zwischen intelligent — äh —
und bürgerlich I Hauptsache — äh — daß man
ehik stirbt!"

Auf das Chik-Sterben legte Serenissimus
großen Wert. Seit zwei Wochen waren sämtliche
Gelehrte des Großherzogtums damit beschäftigt,
nach würdigen „letzten Worten" für Serenissimus
zu suchen. Die einen hatten vorgeschlagen „Mir
wird so leicht!" oder „Ich habe mein Volk glück-
lich gemacht" oder „Mein Leben galt der Gerechtig-
keit"; andere halten philosophische Betrachtungen
für passender gehalten: „Das Leben ist ein Todes-
kampf" oder „Regieren ist die Kunst, zu gehorchen."
Aber alle diese Weisheiten hatten Serenissimi
Beifall nicht gefunden: „Selber — äh — groß-
artigen Einfall gehabt — äh — Worte, die noch
nie dagewesen — äh — werde sagen: Mehr
Licht! — Was sagen Sie dazu, Kindermann?"
Und Kindermann hatte schluchzend die allerhöchste
Hand geküßt.

Um das Bett Serenissimi knieten Serenissima,
der Erbprinz, Kindermann und das Gefolge. Am
Fußende standen der Hofarzt und der Hofprediger,
der damit beschäftigt war, sich den Sermon, den
er am Grabe des hpchseligen Vaters gehalten hatte,
wieder ins Gedächtnis zurückzurufen.

Endlich kam die Stunde des Abschiednehmens.
Zuerst sprach die Hoheit Ihre allerhöchste Gemahlin
an: „Adieu — äh — liebe Klotilde — äh —
geborene von Schneckenburg l Immer — äh —
treue Gattin gewesen! — äh — habe wenigstens
nichts Gegenteiliges bemerkt! — Verheirate Dich

Otto

nur wieder — äh — wenn Dich noch Jemand
nimmt — aber, bitte, standesgemäß!"

„Nicht so viel reden!" mahnte der Hofarzt.

„Danke, lieber Schmidt, aber — äh — muß
reden!! Alte Angewohnheit von mir! — Wo
war ich doch stehen geblieben? — Ja, äh, Klotilde,
also: Vergiß nicht, daß Du fortan auf den Hof-
bällen — äh — in Halbmast erscheinen mußt

— äh — nur halb dekolletiert, meine ich" —

Serenissima brach in Tränen aus und schluchzte:

„O mein Gemahl!"

„Danke, danke — äh, nicht der Rede wert! —
Nicht weinen, — nicht weinen — verstößt gegen
Hofzeremoniell I"

Nun wandte sich Serenissimus an den Erb-
prinzen: „Sterbe beruhigt — mein lieber Junge,

— äh — weiß, Du wirst Volk glücklich machen —
bloß — äh — noch besser Piguet spielen lernen I —
Und daran denken: Amnestie! — Aber, äh, nicht
übertreiben! — Ainnestieleiuchen, sozusagen! —
Sonst, äh, Alles beim Alten lassen! — Volk liebt

keine Neuerungen!-äh, machen auch nur

unnütze Arbeit!-Kenne das-"

Der Erbprinz hob die Hand wie zum Schwur
und murmelte etwas, das wie das Volks-
gemurinel hinter der Szene klang: Rhabarber,
Rhabarber ....

.. „Wo ist denn mein lieber Kammerdiener? —
Ah, da ist er ja — äh — Johann — Muster
von Bediententreue — äh, lassen Sie sich — äh

— wenn ich tot bin — äh — zehn Laib Gnaden-
brot geben! — Und — äh — lebenslange Pen-
sion ! — Aber, äh, nicht zu lang leben! —
Und dann: Knochen auf mein Grab legen —
damit Lieblingshund hinfindet I"

Immer leiser und schwächer klangen die aller-
höchsten „Aeh's". Es entstand eine Panse, während
derer der Hofarzt seine Uhr neu aufzog. Dann
winkte die sterbende Durchlaucht seinem Adjutanten.
Kindermann rutschte auf den Knieen ganz dicht
an's Sterbebett.

„Mein lieber Kindermann — danke Ihnen
für Alles — äh — bloß einen Fehler gehabt:
wollten immer gescheiter sein, als ich — äh — na,

menschlich!-äh — Und, äh, wenn Denkmal

voll mir enthüllt wird, lassen Sie drauf meißeln:
„der Große" — — äh — — Und keine
Memoiren schreiben, lieber Kindermann — keine

Memoiren schreiben I-"

Serenissimus ließ sich in die Kissen
zurücksinken. Abermals entstand eine
Pause, doch diesmal eine peinliche, be-
klemmende Pause, ähnlich der Ver-
legenheit, wenn ein Schauspieler auf
offener Bühne stecken bleibt. Plötzlich
ging das Lächeln über des Sterbenden
Züge, das der Staatsanzeiger als geist-
voll zu bezeichnen pflegte. Aber auch
nur der Staatsanzeiger.

„Bitte — äh — Kindermann, werfen
Sie — äh — ein Bild von der Wand!"

Kindermann erhob sich gehorsam,
nahm „die Schlacht bei Heuberg" von
der Wand und stellte sie auf de» Boden.

„Merkwürdig!" sagte Serenissimus
befriedigt, „merkwürdig — äh — Jedes-
mal, wenn Jemand stirbt, — äh —
fällt ein Ahnenbild herunterI — —"
Wieder Stille. Serenissimi Atem-
züge gingen leiser und leiser. Und
immer heftiger schluchzten die Knieen-
den. Am heftigsten Serenissima, der
die Kniee schon beträchtlich weh taten.
Durch die Jalousien schimmerten die
Strahlen der untergehenden Sonne-
Noch ein letztes Mal richtete sich
der Fürst auf, erhob den Zeigefinger
der rechten Hand und hauchte, kaum
hörbar: „Mehr — äh — Beleuch-
k°pp tung!"
Register
Alexander Frh. v. Bernus: Segnung
Otto Kopp: Zeichnung ohne Titel
Dr. Baer: Gedanken
Karl Ettlinger: Serenissimi Tod
 
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