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E'

PauJ Höcker (Oberlangenau)

Der Seminarist

von Josef Raisler

Maria, Maienkönigin ...

Auf dem Heimwege vom Gymnasium zum
Konvikt hatte mir der alte Kanzleirat, der meine
Freude an Blumen kannte, Flieder geschenkt.
Zwei reiche, vollblühende Zweige weißen Flieders.
Vielleicht nur, weil ich gar zu unverschämt in
das über und über blühende Boigärtchcn gestarrt
hatte! Ach waS — der alte Herr gab's gerne! Und
wie fein die Zweige auf meinem Studierpult im
Museum aussehen würden. Und wie daS duftete!

Das Museum, der weite Studierraum mit
den vierzig Pulten, dessen einzigen Schmuck daS
Kruzifix über der Türe und die physikalischen Lehr-

tafeln an den Wänden bildeten, war leer und voll
grauer Kälte. Mich fror nach dem Hellen Wege
in der Frühlingssonne. Ich baute meine Bücher
schön auf und setzte daS GlaS mit den Zweigen
in die Mitte. Die weißen Blüten leuchteten. Nun
würden sie wieder alle auf meine Freundschaft
mit dem Kanzleirat neidisch sein! Schade, daß
keiner da war. Alle beim Spiel im Garten, oder
sie naschten im Schlafsaal aus der „Kiste" von
Daheim. Ich war so allein I

Bon einem der Fenster des langen Korridors
sah man zwischen den schattendunklen Mauern
der Wirtschaftsgebäude auf die letzten Gärten
deS OrteS, die darüber ansteigenden Felder und
den Wald. Junges, drängendes Grün überall,
weiß und rosa blühende Bäume, wie festliche
Sträuße, und am feuchtblauen Himmel schwammen

lichte Wolken so weit. In mir war's so seltsam
heiß und bang. Ich hätte die Hände sehnsüchtig
nach etwas Unbekanntem ausstrecken mögen. Aber
ich schämte mich. Und traurig war mir. Warum
gab'S niemand, der mich lieb hatte? Oder
wenigstens jemand, dem ich gen, etwas LiebeS
tun wollte? Warum war meine Mutter tot.-?
— Ich wollte in die Kapelle gehen zum Maialtar
und auf ihm meine Blumen opfern. Ich holte
meinen Flieder vom Pult.

Wie eine Blüteninsel leuchtete der Marieualtar
durch de» feierlichen Ernst deS hohen, stillen Raumes.
Stolz und mit der heimlich glücklichen Erwartung
einer Liebkosung, wie wenn ich meiner Mutter
ein Lob aus der Schule heimbrachte, steckte ich die
Zweige in eine der reichen Vasen. Und kniete
hin. Wie lieb und traurig, als sähe sie in die
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