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Nr. 50

JUGEND

1907

Ein Eiedlein zu der Männer Schande

Meine grüne Wiese lag

Noch in Tan nnd Träumen-

Sprach ich: Lieber Liebster, trag'

Mich zu unserin Erdbcerschlag
An den Ahornbäuincn!

Ach, ich weiß, ich bin nicht leicht,

Doch du bist ein Riese-

Auch ist schnell ein Lohn erreicht,

Wenn man so als Zweie schleicht
Durch die Morgenwiesc. . .

Also bat ich, ziemlich fein,

Doch es wollt' nicht nützen-

Sollt' mir nicht bcschieden sein,

Hoch im jungen Tagesschein
Königlich zu sitzen.

Denn der sehr Geliebte klagt,

Ich sei unbescheiden,

Er hätt' sich genug geplagt,

Und auf süßen Lohn die Jagd
Möcht er lieber meiden....

Schließlich sei der Mann kein Vieh,

Und der stärkste Riese
Hätte wohl genug der Müh',

Wenn er bis zur Morgenfrüh'

Sich galant erwiese....

Schwestern, flehen wir zu Pan,

Daß er uns beschere,

Was uns stets erfreuen kann
Und in Fülle jedem Mann
Recht zn wünschen wäre!

Margarete Beutler

Das gEhEimE Fach

*Wer alte Theobald Hey IN war gestorben und
alle die herrlichen Dinge, die er in seinem
langen, kunstfreudigen Leben gesammelt hatte,
zerstreuten sich in Museen und Verwandten-
häuser. Und seiner Nichte Anny, die er be-
sonders geliebt hatte, vermachte er den ent-
zückenden Rosenholz-Schreibtisch der unglück-
lichen Prinzessin Lamballe.

Tr hatte ihn vor vielen Jahren bei einer
Auktion entdeckt . . .

Der Schreibtisch stand nun im Zimmer des
jungen Mädchens. Vier Karyatidenweibchen
mit spitzen Brüsten und lächelnden Gesichtern
trugen die eingelegte Platte mit dein Wappen
der Lamballes; auf den Porzellanschildchen der
Schlüsselöffnunger: umgaben rosige Amoretten
die gekrönten Initialen. Und als Anny eine
der genau schliefzenden, kleinen Schubladen
herauszog, strömte ihr ein feiner, gespenstiger
Laoendelduft entgegen, ein grüßender Hauch
jener zärtlichen und galanten Zeit, deren
Schönheit und Genußfrende die Menschen von
heute kaum mehr ahnen.

Die englischen geradlinigen Möbel des Zim-
mers wurden fortgeschafft und andere kamen,
allmählich, zu Weihnachten und Namens-
tagen. Ucber dem Tisch hing eines Tages ein
Stich in geschnörkeltem Goldrahmen. Ts war
die Prinzessin Lamballe, die mit etwas hoch-
mütigein Lächeln Anny's Zimmer betrachtete,

’ das sich in ein Boudoir aus ihren (1-agen ver-
wandelt hatte; die zarten Parfüms imd leicht-
sinnigen Madrigale waren verschlungen wor-
den von: Blutrauch und dem Tosen der Tar-

magnole. Nur das Bild lächelte, als sei das
alles ein böser Traum gewesen und alle Stunden
flötete die Sevresuhr ein zierliches Menuett.

Das blonde Mädchen erfaßte mit dem wunder-
baren, fast seherhafteir Gefühl der Frauen völlig
beit Geist einer untergegangcnen, zertrümmerten
Welt und lebte ein geheimes Leben im Lamballe-
zimmer. Mit ihrem weißen Teint, den ein rosiger
perlmutterschimmer belebte, den schwarzen feinen
Brauen unter dein hochaufgesteckten Blondhaar
glich sie vollkommen den schönen Frauen des acht-
zehnten Jahrhunderts. Man fand es auch nicht
lächerlich, daß sie sich Ieanne nannte.

Einmal machte ihr der geliebte Schreibtisch
ein köstliches Geschenk. Sie war iin Begriff, auf
Louis XVI.-Briefpapier, das mit Silhouetten
nnd graziösen Schleifen verziert war, ein paar
Gratulationen zu beantworten, hatte die oberste
Lade ganz heransgenommen und sah nun plötz-
lich, daß diese kürzer war als die andern. Ueber-
rascht blickte sie in das leere Fach ... in der
Rückwand war ein winziger Porzellanknopf, der
kaum sichtbar aus dem Halbdunkel hervorglänzte.
. . . Als sie ihn berührte, fiel klappernd ein Brett-
chen . . . Hastig griff sie in das geheiine Fach urrd
zog hervor, was ihre Hand erfaßte . . .

Tin winziges Taschentuch mit handbreitem
Spitzensaum ... durchtränkt von schwarzroten Blut-
fleckeil . . . und die spannenlange Spitze eines zise-
lierten Galanteriedegens .. . Ihr Herz flatterte
wie ein kleiner Nogel. . . .

Sie sprach mit keinem Menschen voil ihrem
Fund, dessen wehmütige Symbolik ihr die Tränen
ins Auge trieb. Nur Abends, weiin sie ganz
allein war, holte sie Tüchleiil und Klinge hervor
und verdank in Träumereien.

.. . Stets erschien ihr dasselbe Bild . . . ver-
blaßt uild schemenhaft. . . Tin junger Herr in
seidenem Rock. . . weiß im Gesicht, wie sein ge-
pudertes bmar. . . lag im Boskett und helles Blut
quoll aus feiner Brust. Neben ihm kniete schluch-
zend die schöne Prinzessin und versuchte verzweifelt,
mit dem kleiner: Stück Bat!ist den roten Strom
zu hemmen. . . Der verwundete schien etwas zu
flüstern . . . mit wohlerzogenem Lächeln, das der
Schmerz ein bißcher: vei zerrte... und küßte mühsam
die Hand, die das Blut zu stillen suchte. . . Tine
riesige, graue Urne aus Sandstein hob sich zwischen
dunkler: Taxushecker: vorr: orarrgcroten Hirrrrrrel.. .
wie eine traurige Mahnung. . .

Und das Bild über derr: Tisch schier: sich zu
beleben . . . wie in verhalterrem Weiner: zuckten
die Mundwinkel der Larrrballe. . .

Eines Tages kam die Gegenwart und klopfte
an ihre Türe. Lin blonder Jüngling mit goldenem
Zwicker, etwas beleibt und kurzbeinig, "war im
Hause erschiene,:. Sein Vater,' der Fabrikant
Häschen, hatte ihr: geschickt. Papa und Mama
warer: äußerst freundlich mit Siegfried Häschen-
bei Tisch saß er neben Ieanne, aß nnd traut mit
gesundem Appetit, sprach gesittet und vernünftig
und erzählte beirr: Dessert^einige ganz neue Witze
Tr blieb gleich eir: paar (Lage da nnd fuhr dann
als Ieanrres Bräutigam nach Hause. Tr war
sehr reich und schier: eir: guter Kerl zu sein ...
ur:d Ieanne hatte ohne großes Ueber'legen, mit
der Mädchensehnsucht nach einiger Freiheit und
Bedeutung ihr „Ja" gesprochen.^

Die Prinzessin Lamballe sah an diesem Abend
Zwar sehr höhnisch urrd unnahbar aus urrd im
alter: Schreibtisch krrackte urrd knisterte es ver-
nehrnlich; Ieanne wcirrte auch eir: bißcher: vor
den: Tir:schlafen. Aber das girrg alles vorüber...

Sie hieß nun Iearrr:e Häschen, hatte Ver-
wandtenbesuche, Hochzeitsreise, Ucbersicdlurrg und
Tinrichturrg hinter sich und träurnte nicht mehr.
Ihr Zimmer hatte sie gerettet, aber die Prinzessin
war ihr frernd geworden, obschor: sie ar: ihrem
alter: Platze hir:g und feir:dselig ins Leere blickte.
Ts hatte einer: kleinen Kampf gekostet, denn 5ie§-
fried war für „Renäffangse" ur:d fand ihre Fragö-
rrards „eir:fach frivol". . . Sor:st ging alles ganz
gut. Häscber: saß tagsüber irr: Bureau urrd lecite
Geld auf Geld, kam Aberrds zum Tffei: und
schalt über die „faulen Konjunkturen," kaute mit
voller: Backen rrrrd erzählte zum Dessert wohl auch
Witze, die ihm seine Reisender: mitbrachten.

Ieanne war weder glücklich noch unglücklich;
sie hatte sich ja keine Illusioner: gemacht.. .

Im Herbst ihres zweiten Thejahres brachte
Siegfried einer: jungen Herrn mit, den künftigen
Erben der großer: Seidenwebereien vor: Meillac
et fils in Lyon. Der Frerrrde hieß nicht Meillac.
Tr starrrrnte vor: der: Tourrouge's, die \7<)2 emi-
griert waren. Meillac war nur ein Bnkcl von
ihm, der Peine Kinder hatte und ihr: als Erben
betrachtete. Tr war es, der Guy als volontair
zu Häscher: schickte, ir: desser: modernern Betrieb
viel zu lerner: war. — Als Ieanne ihm ins Ge-
sicht sah, ging eir: jäher, fast süßer Schreck durch
ihr Herz . . . Das war er . . . der ur:ter der 5and-
steirrurne verblutend lag.... der Geliebte der
Prinzessin.

Als sie spät Abends ihr Zimmer betrat und
das Licht aufdrehte, ruckte ihr die schöne Larrrballe
freundlich zu . . zrrrn erstenmal seit ihrer Mädchen-
zeit. Sie sah es ganz deutlich.

Guy de Tourrouge kam nun öfters, um
deutsch zu lerner: und feine Abende in
guter Gesellschaft zu verbrirrgen. Sein
hübsches, bartloses Gesicht errötete jedes-
mal vor Freude, werrr: er Ieanrre allein
traf. Zwischer: der: Beider: entstand von:
ersten Tage ar: eine große Freundschaft,
eine jener unmöglichen Freundschaften, die
auf bewußter Selbsttäuschurrg beruhen uiil>
die eir: einziger Funke in lodernder Glut
aufflackern läßt. Sic wagterr es nur nicht,
gefährliche Worte auszusprechei: ... ?lber
Tourrouge war der einzige Mensch aus
Trderr, der Ieannes Träume kannte... &
durfte das kostbare Blut berühren und das
Degenstück.... Und Ieanne übcrlrefen
heiße Schauer, wein: er seinen welchen
Murrd allzulange auf ihre Vaud druckte
Ir: der: Nächten riefen sie einander uni)
cuchter: sich ir: der: Gärten des (traumes . -
Siegfried Mischen sah von alledem nichts.
Tr freute sich, wein: der Franzose kam um
die langweiliger: Aberrde eines Ehepaares,
das sich nichts mehr zu sagen hat, beleb i.
Tr sah nicht, wie rote Flammen herüber
und hinüber zuckteil . und in den: Kamps,
der: Ieanne kämpfte, ließ er sie allein.

Ar: ei nein dieser Abende karr: er gegeii
feine Gewohnheit nach dem Bureau n
Iearnres Boudoir. Tr hatte eigentlich

r

und da:
Register
Karl Arnold: Anna
Paul Busson: Das geheime Fach
Margarete Beutler: Ein Liedlein zu der Männer Schande
 
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