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Hbessiniscbe Kultur

Abessinien nimmt immer
mehr europäische Kultur an.

Der Kaiser Menelik hat durch
Dekret vom 29. Oktober ein
aus zwölf Mitgliedern be-
stehendes Ministerium gebil-
det, in dem sich ein Schatz-
meister und außerdem ein
Finanzminister befindet. Der
Schatzmeister hat die Ein-
nah m e n zu verwalten, der
Finanzminister hat dafür zu
sorgen, daß soviel Anleihen
ausgenommen werden, wie
es sich für einen zivilsierten
Staat schickt. Eine Volks-
vertretung ist vorläufig noch
nicht geschaffen; allein der
Kaiser läßt auf Staatskosten
eine Reihe kräftiger Männer
imPultdeckelschmeißen unter-
ri hten, so daß binnen kurzem
Kräfte iu genügender Anzahl
zur Verfügung stehen wer-
den, die sich zu Abgeordneten
qualifizieren.

Auch sonst macht die Kul-
tur iu Abessinien erfreuliche
Fortschritte. Es zeigen sich
schon die Anfänge von Skan-
dalprozessen, die mit dem 8 175 des St. G. B.
Zusammenhängen. Auch eine Preßfreiheit exi-
stiert bereits, denn der Drucker der einzigen abes-
sinischen Zeitung, der neulich nicht verraten
wollte, woher er für die Redaktion den Schnaps
bezieht, wurde nicht, wie früher, hingerichtet,
sondern nur mit glühenden Zangen gezwickt;
man nennt dies in der abessinischen Sprache
Zeugniszwang. Uebrigens hat der Ministerpcüsi-
deut neulich den Behörden eine Milderung dieses
Zeuguiszwangs empfohlen: die Zangen, mit denen
die Preßleute gezwickt werden, sollen nicht über
45° Maumur heiß sein!

Frido

VTocb ist polen nicht verloren!

Die Warschauer „Gazeta Codzienna“ ju-
belt darüber, daß die Polen zu gleicher Zeit in
drei Parlamenten moralischeSiege erfochten haben,
in Berlin, Wien und Petersburg. Polen steht
im Mittelpunkt des Weltinteresses. Noch wehren
sich die drei Staaten, die einst Polen teilten, gegen
ihre Niederlage; aber all ihr Widerstand nutzt
nichts. Gut mang de la Pologne, en meurt;
die Polen find unverdaulich. Es wird nicht lange
dauern, dann haben sich die drei Teile des ein-
stigen Königreichs wieder zu einem Ganzen zu-
sammeugefunden. Freilich sind die Teile inzwischen
mit den drei annektierenden Staaten Preußen,
Oesterreich und Rußland eng verbunden, aber
diese enge Verbindung soll auch gar nicht gelöst
werden; die Staaten bleiben vielmehr Anhängsel
der Teile; das ganze Gebiet der drei jetzigen Kaiser-
reiche Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Ruß-
land bildet das Gebiet des künftigen Königreichs
Polen. Und einem so mächtigen Staate können
die übrigen europäischen Staaten nicht widerstehen;
vermöge der Schwerkraft fallen sie an Polen, der
Erdteil Europa bildet ein einziges Polen mit der
Hauptstadt Lemberg und nimmt den Namen Groß-
polen an. Der König von Polen erhält den
Nebentitel Wojwode von Europa. Da das
Herrschergeschlecht der Piasten leider ausgestorben
ist, so wird in Erinnerung an dieses berühmte
Geschlecht als großpolnische Münze der Piaster
eingeführt.

Schwäbisches Votivtakerl

Von Kaffian KluibenfdjäDel, GTulfcIcmalcr

A. Gelgenberger

(Das würltembergische Kultusministerium hat im „Falle Günter" gegen den Bischof Keppler
und seine Uebergriffe energisch Stellung genommen.)

Gepriesen seist du laut, c> Iackcle, dieweilen du mit scharfem Spieß
Vorangeyangen und zu Leib gerückt den allzu schwarzen Clericis!

Insonderheit stießest du als tapfrer Schwab mit deiner langen Lanzen
Den Lpi800pu8 von Rottenburg in seinen hochwürdigsten Ranzen!

Nun mögen coram publico sich andre Rulrus-Exzellenzen weidlich schämen
Und hoffentlich an Dir bei Zeiten sich ein nützliches exemplum nehmen!

Das war einmal ein Schwabenstreich, den Niemand irgendwie verlacht,

Ein Schwabenstreich, der nur dem deutschen Volke Ruhm und Ehre macht

Oellerreichische Vierzeiler

'S Parlament wean
Fs a bisserl verroht,

Der Spektakel is dort
Halt scho' amal Rlod'I

A Ruthen', der hat dösmal
Zuerst droschen drein —

Das war nur a ZuafaU,

's hält aa a Anderer könn'n sein!

Krokodil

Internationaler Mllcdirelttalistausev
am Srosren vrean

Uncle 8am zu seinem vis-ä-vis, der mit seiner
„Gratulation" nicht zur richtigen Zeit fertig
geworden: „Prosit Neujahr, Daps!"

der

amerikanisch - europäische
5ängerkrieg

Es war gekommen, wie es
kommen mußte, man hörte
nur noch in Amerika singen.

Wo man singt, da muß

es sich auch lohnen,
Böse Menschen haben

keine Millionen.

Die Zeit, in der Sänger
und Sängerinnen gegen
Tagelohn, Monatslohn oder
Jahreslohn sangen, war
längst vorüber. Sie singen
in Amerika nur noch im
Akkord. Erst berechnete man
die Gage nach Noten; jede
Note wurde mit einem
Cent bis 1 Dollar bezahlt.
Aber dieser rohe Maßstab
der Kunstschätzung ist längst
verlassen; die Noten werden
jetzt nach ihrer Höhe bezahlt;
je höher die Note, desto
höher der Preis. Dabei stieg
die Nachfrage nach Gesangs-
kräften immer mehr, da in
den Vereinigten Staaten
durchschnittlich jährlich 5362
neue Opernhäuser erbaut
wurden. Den älteren Opern-
häusern wurde ein Stockwerk
nach dem andern aufgesetzt,
um den Zudrang des Publikums zu bewältigen;
die ehemalige Conried'sche, jetzt Nockefellersche Oper
z. B. hatte 39 Ränge; auf jedem Platz der oberen
29 Ränge lag ein Fernseher und ein Fernhörer.
In Europa wurde überhaupt nicht mehr gesungen,
sondern nur gekrächzt. War ein amerikanischer
Sänger heiser, so fuhr er mittels der neuen Schnell-
dampfer, die die Fahrt von New-Pork bis Sout-
hampton in 12 e/7 Stunden zurücklegten, nach
Europa und kurierte sich dort während eines
Gastspiels aus.

In diese idyllischen Verhältnisse droht ein
fürchterlicher Krach zu kommen. Edison hat einen
kleinen Apparat konstruiert, den er Laryngophilon
nennt und den jeder Mensch ohne Beschwerde auf
seinen Kehlkopf aufsetzen kann; mittels dieses
Apparates singt auch der versoffenste Schnaps-
bruder Töne von einer Reinheit und Höhe, daß
Carusos Stimme dagegen wie ein zerbrochener Topf
klingt! Und dabei kostet der Apparat nur 60 Dollars.
In dieGagen derSänger wird ein Kurs-
sturz kommen, wie er noch nicht da war!



flucht aus der Oeffentlicbtmt

Bei den kriegsgerichtlichen Verhandlungen gegen
Offiziere wird jetzt die Oeffentlichkeit fast immer
ausgeschlossen. So geschah es auch jüngst in
Koblenz, wo gegen einen Leutnant wegen Miß-
handlung seiner Untergebenen verhandelt wurde.
Hier ging man so weit, daß man jeden Soldaten,
der als Zeuge vernommen wurde, unmittelbar
nach seiner Vernehmung aus dem Saale entfernte.

Das ist wieder einmal eine jener beklagens-
werten Halbheiten, die sich unsere Behörden so
oft zu schulden kommen lassen. Kein Soldat hat
hier gehört, was die andern Zeugen ausgesagt
haben; das ist ja sehr erfreulich. Aber er hat
doch gehört, was er selbst ausgesagt hat; das
darf nicht sein. Damit das verhindert wird,
müssen dem Zeugen bei seiner Aussage zwei
kräftige Antiphone in die Ohren gesteckt werden.
— Außerdem müssen sämtliche Zeugen in einer
solchen Entfernung vom Richtertisch aufgestellt
werden, daß auch die Richter ihre Aussage nicht
hören. Im Interesse der Raumersparnis empfiehlt
es sich, zwischen dem Stande des Zeugen und dem
Richtertisch eine 30 Zentimeter dicke schallsichere
Glaswand aufzustellen. Noch sicherer ist freilich
ein anderes Mittel: In denjenigen kriegsgericht-
lichen Sachen, in denen die Oeffentlichkeit aus-
geschlossen wird, verwende man nur stumme
Zeugen und taube Richter.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Noch ist Polen nicht verloren!
Krokodil: Österreichische Vierzeiler
Monogrammist Frosch: Internationaler Höflichkeitsaustausch am Grossen Ozean
Frido: Abessinische Kultur
Kassian Kluibenschädl: Schwäbisches Votivtaferl
[nicht signierter Beitrag]: Flucht aus der Öffentlichkeit
August Geigenberger: Illustration zum Text "Schwäbisches Votivtaferl"
 
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