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rätselhaft mar, machte Benno wachsende Pein.
Er konnte sich nicht verhehlen, daß Hans die
Unterhaltung der Alten auf ihn abmälzte, um
ungestört mit dem Mädel plaudern zu können.
Schließlich machte Benno der Tortur ein Ende.
Er erklärte eZ für nötig, sich den Damen vorzu-
stcllcn. Jetzt trat eine überraschende Wendung zu
seinen Gunsten ein. Ten Steuermann hatte man
Hans schon angesehen, aber einen Magistrats-
beamten hatte» die Münchncrinnen in dem be-
scheidenen Freunde nicht vermutet. Sie wurden
sehr höflich und titulierten ihn beständig „Herr-
Sekretär", besonders die Tante. Niedermaier war
jetzt über ihre Beziehung zu der jungen Schönheit
beruhigt., Hans aber blieb in fast beleidigender
Meise eifcrsuchtSlos, als daS Katherl auch den
Kanzlisten anlächclte. Er griff auf BennoS erst ver-
pönten Vorschlag zurück und lud die ganze Gesell-
schaft zum Diner in daS von den Damen emp-
fohlene „Restaurant Fran?aiS" ein.

Da saßen sie nun, im eleganten Zimmer,
selige Stunden lang. Die junge Schönheit halte
bald den humoristischen Unterschied zwischen Haus
und Benno weg und amüsierte sich, ohne daß
der weinichwere Kommunalbeamte es merkte, auf
seine Kosten. Cie kam jetzt überhaupt aus der
sittsamen Zurückhaltung immer mehr in daS Gegen-
teil hinüber. Während die Alte sich still vergnügt
über daS improvisierte Gelage wie über einen
Lottcriegewinn freute, überließ Katherl sich einer
bolden Frechheit, umhalste den Steuermann, wenn
der Kellner den Rücken wandte, und redete Benno
zum Trinken zu. Er sollte immer komischer werden.
Das war ihr Wunsch. Sie zerpflückte die Rosen,
die Hans ihr gekauft, und bestreute den schwarzen
Kanzlisten damit, bis er schließlich einem Panther
ähnelte und zu singen ansing.

Benno war glücklich. Endlich fand er hier
Menschen, die an seine schöne Stimme glaubten.
Man kugelte sich zwar, aber das konnte ihn nickt
beirren. Er kam auf „Tristan und Isolde." Er
gröhlie so lange das Liebcsgespräch des Musikdramas
in daS wirkliche der jungen Leute hinein, bis HanS
erbost aufsprang, den Bezechten auf das Sofa warf
und ihn flehentlich bat, seine Bedingungen zu
nennen, unter denen er zu singen aufhörte. Da
kam Benno ein glänzender Gedanke. „Ich höre
auf," rief er, „wenn wir alle in ,Tristan' gehenI
Heute ist er im Hostheaterl" Hans willigte ein,
denn daS Tiner war zu Ende, und man konnte durch
den Besuch der Oper wieder Geld loswerden. Auch
zeigte Katherl Lust — sie schwärmte für Knote, den
Tenoristen.

Man bekam die letzte, teuerste Loge des Theaters
und hörte zwei Akte. Länger ging cS nicht. Hans
zitterte vor Ungeduld — der Unmusikalische störte
beständig, denn das seltsame Tongewirr machte ihn
darauf aufmerksam, daß auch er Nerven hatte. Die
Damen kamen nicht auf ihre Kosten, denn Knote
hatte abgesagt, und die Aufmerksamkeit deS Publi-
kums galt doch mehr den Vorgängen aus der Bühne,
als den Jnsaßen einer Balkonloge. Niedermaier aber,
der Enthusiast, schlief ein, während der gekränkte
König Marke sang. Heidsicck halte ihn überwältigt.
Nach dem zweiten Aktschluß rüttelte Hans ihn auf,
und unter dem Gelächter der Damen folgte der
Schnarchsekretär, wie sie ihn nannten, den Anderen
aus dem Theater.

Draußen auf dem schneebedeckten Max Joseph-
Platz wurde nun Kriegsrat gehalten- Hans wollte
Bier trinken und wünschte sich in ein behagliches
Bräu. Katherl aber hing an seinem Arm, schmach-
tet^ zu ihm empor und wollte von Bier nichts
wissen. Jetzt kam plötzlich die Tante mit einem
Vorschlag. Sie wisse ein höchst gemütliches, kleines
Hotel, wo man eventuell in einem Zimmer auch
der Ruhe pflegen könne und im Restaurant unten
ein ausgezeichnetes Löwenbräu bekomme. Außer-
dem Weißwürste, wie in ganz München nicht.
Auf diese Gewißheit hin war Benno einverstanden.

Die ruhige Kneipe mit ihrer dürftigen Haus-
mannskost tat allen wohl. Nach dem dritten Paar
Weißwürste wurde der Sekretär von ernster Rührung
befallen und trank dem Wiedergefundenen zu, als
wolle er anf's neue Kameradschaft mit ihm schließen
Doch erstaunt blickte er umher. Hans war ver-
schwunden. Als er sich die Augen rieb, um deut-
licher zu sehen, war auch Katherl nicht mehr da.

Er saß mit der Alten allein. Doch verdroß ihn
daS jetzt kaum — er wurde nur unsagbar traurig.
Seine Gedanken flogen nach Mittersendling, wo
Eine jetzt im reinen Mädchcnbett von schwerer
Tagesarbeit ruhte und von ihm, von ihm allein
einen sehnsüchtigen Traum träumte. Er aber mar
verwahrlost, ein genußsüchtiger Bummler — das
wußte die Getreue nicht. Da berührte ihn die
garstige Tante am Arm und fragte ihn mit einem
ersten, warmen Menschenlon, was ihn beküinmerc.
Er sagte eS ihr nicht, um nicht Gefahr zu laufen,
von dieser Fra» getröstet zu werden. Aber er war
ihr doch dankbar. Welches Elend lag auf den
geschminkten Runzel,zügen der Häßlichen, AüS>
gestoßenen. Schlaflos, glücklos — ein Opfer des
verkauften Lebens.

Stunde um Stunde verrann. Der Morgen
graute. Still und^ stumpf saßen Benno Nieder-
maicr und Tante Fritzi einander gegenüber. Sie
warteten, sie sprachen kein Wort. Dann kamen
Hans und Katherl zurück. Der Seemann war
verändert, sein blühendes Antlitz plötzlich fahl,
seine Augen blickten düster. Die Uhr aus der
Tasche reißend rief er: „5 Uhr! Donnerwetter!
Benno, Mensch, ich muß fort!"

Die Kleine hängte sich an seinen Arm.
„Wirklich?" Sie starrte ihn an.

Niedermaier staunte. Was war das für ein Ton ?

-Nun gingen sie. Die leere Wintcrstraßc

hallte von ihren Schrillen. Sie näherten sich all-
mählich dem Bahnhof. Benno und die Tante
gingen immer voraus — sie ließen das Pärchen
absichtlich hinterher wandern. In einer Viertel-
stunde giny Hansens Zug. Nach Genua! Zitternd
flüsterte die blasse Kleine das Wort. Immer
wieder. Benno hörte cs. Wie ein Fatum. Hans
tröstete sie. Dann wandte er sich plötzlich zu
seinem Freunde und raunte ihm zu: „Du, denk'
Dir — so'n Pech! Eben finde ich noch zwei
Zwanzigmarkstücke in meiner Westentasche! Die
hatte ich total vergessen! Anbringen muß ich sie
aber noch, sonst macht mir der ganze Tag heute
kein Vergnügen!"

Benno wußte ihm nicht zu raten. . .

„Sckenken darf ich ihr nämlich nichts," fuhr
Hans jetzt fort, indem er scheu zu Katherl hinübcr-
blickte. „Das ist ein sonderbares Persönchen!
Geld darf ich ihr nicht geben! Sonst heult sic
wie ’» Schloßhund I Bei der Tante könnte ich'S
ja aiibringen — aber I Nickt wahr! Das war'
nicht ganz würdig! Zum Abschluß?"

Plötzlich deutete Niedermaier instinktiv auf eine
Gruppe hinter ihnen. Ei» armes Weib stand da.
das ihren gelähmten Sohn im Rollstuhl schob.
Das stumme Elend des Hungers lag auf den
Zügen der Beiden. Hans nickte, lief hin und
warf den Bestürzten den ganzen Nest seiner Bar-
schaft zu. „Nicht übel, Kasimir!" sagte er dann,
indem er Benno zum Abschied umarmte. „Du
bist doch erfinderisch I Bloß Deutschland! Das ist
mir zu schwierig! Zuviel G füll!!" Katherl küßte
er vor allen Leuten, so das; das Mädchen laut
ausschluchzte, und die Tante bekam einen Klapps
von ihm. Daun rannte er wie ein toller Junge
zum Zuge. Der setzte sich bald darauf in Bewe-
gung. Er trug den Seemann nach Süden fort,
nach-Süden. „Kamerad!" dachte Niedermaier, indem
seine Brust sich dehnte, als drohte sic zu zerspringen-
Als aber die roten Laternen des letzten Waggons
verschwunden waren, machte auch er sich eilends
fort, um nicht festgehalten zu werden. Nicht von
Bettlern und nicht von Frauen!

Makres Gesckicktcken

Der sächsische Generalstaatsanwalt v. Schwarze
kam auf einer Revisionsrcise unangemeldet in
die Hauptverhandlung einer Strafkammer. Den
Vorsitz hatte der Direktor Dr. Römisch, der nichts
von der Anwesenheit Schwarzes wußte, bis ihm
sein Freund, der Landgerichtsrat Horratz, der den
hohen Herrn hatte sitzen sehen, ein Zettelchcn zu-
gehen ließ: „Horatius ait: Hic Niger est, nunc
tu, Romane, cavetoi“ (Schwarze ist da! Run
nimm Dich aber zusammen, Römisch!)

Der Winter
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