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Der Sehelmerlasr
Bayrischer llletallindustrieller

Wo ist die patriarchalische. Zeit,

Die schöne, die herrliche, gute,

Da der Herr als oberste Obrigkeit
Noch den Knecht dressiert mit der Knute?

Ach Gott, wie so manches Ideal
Ist auch das Faustrecht entschwunden!

Es hat in Gewerkschaften — o Skandal! —
Das Arbeitsvolk sich verbunden.

Und jetzt „erniedrigen" sich sogar
Zur Einigkeit, welche Misöre!

Der Handlungsgehilfen schändliche Schar,

Die Techniker, Ingenieure.

Sie streben frevelnd nach Koalition,

Denn jede Scham ist geschwunden,

Sie wollen — das Pack!, — einen Mindestlohn
Und Reg'.ung der Arbeitsstunden!

Sie haben sich auf einmal erfrecht,

Zu trachten nach besserem Leben
llitb ihren: gesetzlich verbürgten Rieht
Auch praktischen Ausdruck zu geben!

Ja, ja, es ist eine schreckliche Zeit,

Und das Herz der Edelsten blutet!

Wo bist du, du schöne Vergangenheit,
Wo der Herr den Knecht noch geknutet?

Gutes Deutsch

Eine betrübende Kunde kam aus Wien:
Die Rektoren aller österreichischen Universitäten
hatten während des Studentenstreiks eine Reso-
lution gefaßt. Ihr Wortlaut:

„Die Rektoren sind zur vollen Ueberzeu-
gung gelangt, daß der Unterrichtsminister im
Sinne seiner wiederholt abgegebenen Erklärnngen
die Lehrfreiheit der Hochschulprofessoren und die
Freiheit der Forschung in vollem Umfang unbe-
dingt wahren und die Autonomie unserer Hoch-
schulen schützen werde. Demzufolge erachten
die Rektoren, daß für die Studierenden jede
Grundlage dafür fehlt, um zu dem durchaus
unzulässigen Mittel des Streiks zu greifen und
fordern daher die Studierenden auf, von: Streik
abzulassen, widrigenfalls die Rektoren nicht mehr
in der Lage sein würden, die Gefahr von den
Hochschulen abzuwenden, daß den Studierenden bei
Fortdauer eines ungesetzlichen Zustandes schwere
Nachteile und Schädigungen erwachsen und daß
sie im Falke vorzeitiger Schließung auch den Ver-
lust von Semestern erleiden. Die Vorlesungen
bleiben vorderhand noch geschlossen."

Soweit die Resolution der Rektoren. Dem-
zufolge, daß durchaus in vollem Umfange jede
Grundlage dafür fehlte, um die Vorlesungen zu
öffnen, könnten also die Universitäten eine Ze.t-
lang iu diesen:Semester nicht abgehalten sein würden.

Aaba Aaba

*

Freizügigkeit der SHissenscbaft

Professor Wahrmund soll also nach Prag
versetzt werden. Damit ist ja der Wille der ver-
einigten Klerikalen und Christlichsozialen, daß der
„ketzerische" Kirchenrechtslehrer in Innsbruck nicht
mehr lesen dürfe, erfüllt.

Da nicht ausgeschlossen ist, daß sich gegen den
ttf Wahrmund in Prag neuerdings die
fronune Empörung erhebt, hat, wie verlautet, das
Kultusministerium den angefeindeten Professor be-
reits mit einen: Rundreisebillet nach sämtlichen
österreichischen Universitäten versehen.

Kleines Gespräck

„Läßt sich Majestät einen 3ahn ziehen,
weil da drinnen immer ,L> weh! wehst
gerufen wird?" fragte im Berliner Schlosse
ein Lakai den andern.

„Nein", war die Antwort, „Bülow und
Sydow halten Vortrag über die Reichs-
finanzlage."

Die Ankunft des „armen Botschafters
Hill" in Berlin

Um bei: „armen Hill" nicht durch über-
mäßige prachteutfaltung in eine peinliche Situa-
ttoit zu versetzen, wurden bei ferner Ankunft alle
Vorkehrungen getroffen, um den ersten Eindruck,
den er von Berlii: bekoinmt, so einfach-bür-
gerlich als möglich zu gestalten. Auch die erste
Audienz beim Kaiser wurde nach diesei:
Gesichtspunkten arrangiert.

Da der „arme Hill" Feine Droschke mieten
konnte, legte er den weg vorn Hotel Adlon zum
Schlosse zu Fuß zurück. Bei seiner Ankunft spielte
das Trompeterkorps des Gardeküraffier-Regiinents
das Lied: „was frag ich viel nach Geld und Gut,
wenn ich zufrieden bin."

Die Posten präsentierte:: im Drillich-Anzüge
und Stiefeln dritter Garnitur.

Die Türe zu den Kaiserlichen Gemächer::
wurde nicht von den steifen höfischen Lakaien,
sondern von einen: netten, drallen Dienstniädchen
geöffnet.

h-

m

Der Monarch, der zufällig (?) ein einfaches
Butterbrot init Whisky verzehrte, empfing ihn,
während er lachend auf sein Frühstück deutete,
mit den herzlichen Worten: „Sehen Sie, lieber
Hill, so muß ich mich bei :neiner schmalen Zivil-
liste behelfen!"

(Zeichnungen von A. Schmidhammer)

*

Volksschul-Geschichrchen

Tin Lehrer stellte die Aufgabe, einen Satz
zu bilden mit den Wörtern „Lehrer" und „halten".

Das S ö h n ch e n eines Zentrumsredaktenrs
schrieb:

„Der Lehrer hat zu halten die Gebote Gottes
und der Kirche, die Schule, zum Herrn Pfarrer
und das Maul."

Standesehre

Den freisinnigen Kandidaten Grafen Bothmer
nannte nach der „Augsburger Abendzeitung" bei der
preußischen Landtagswahl in Greifswald sein hoch-
konservativer Gegenkandidat Herr von Heuuigs einen
„vatertandslosen Grafen ans Bayern" und
der Familienrat derer v. Bothmer befaßte sich ernstlich
mit der Angelegenheit.

So düster, wie in einen: Kohlenbunker,

Sieht's doch im Kopf oft aus von einem Junker! —
Spricht selbst einmal ein Edler der Nation
In seinem Wandel aller Sitte Hohn,

Lebt dem Genuß, so wild und wüst er kann,
Verführt die Weiber und schmarotzt beim Mann,
Läßt Mädchen sitzen, die ihm Gunst geschenkt,
Maebt Schulden, die er nie zu zahlen gedenkt,
Verschwendet, spielt die Nächte durch und sauft,
Bis er sich einem reichen Weib verkauft —

Sagt man d a gleich von solchem Herrn, es wäre
Durch ihn verletzt die hohe Standesehre?

wenn :nal ein Edler, schlau und wohlbedacht,
Beim Zentrum seine Tarriere macht,

Beim Zentrum wie es jetzt in Bayern haust,
Das Recht erwürgend mit brutaler Faust,
Gegängelt von der schlauen Römer List,

Die allem deutschen Wesen feindlich ist;

Das Freundschaft hält mit jedem, der uns haßt,
Auch mit dem Umsturz, wenn's zum Kram

ihm paßt;

Das, mit den: Pöbel buhlend, wo es geht,
Kultur und Fortschritt grimmig niedermäht —
wer sagt von solchem Edelmann, es wäre
Durch ihn verletzt die hohe Standesehre?

Und sieh! Da zeigt bei Preußens Landtagswahl
Ein Bayern-Graf — o Schreck! — sich liberal
Und kandidiert in Greifswald für den Freisinn —
Sofort empört sich Standes- und Parteisinn
Und Herr v. Hennigs schimpft im gröbsten Ton
Auf des Elitestands mißratnen Sohn!
„Vaterlandslos" heißt ihn der Kandidat —
Man denunziert ihn beim Familienrat;

Und der hielt Sitzung und erwog entsetzt,

Ob nicht die St an des ehre wär' verletzt.

Und wenig fehlte wirklich, wie es hieß,

Daß fein Geschlecht ihn als entehrt verstieß!

Und daß wir diesen Junkerstreich verlacht,

Das war im Jahre *908! Hanns

Angewandtes Zitat

Intimus: „Also Deine Frau und Schwieger-
mutter wollen Dir jetzt mit vereinten Kräften
aufs Dach steigen. Siehst Du dem nicht mit
Besorgnis entgegen?"

Ehemann: „Nein! Der Germane hat nie
besser gefochten, als wenn er sich nach allen Seiten
hin wehren mußte."

*

Zum neuesten Schüler-Selbstmord

Der Meise spricht:

Höre, mein Sohn, so einst ein Schwachmatikus
in der Schule seine mathematische Arbeit nicht
kann machen und er jammert ob seines Unver-
standes, laß dein Herz nicht weich werden, daß
du ihm dein Heft überläffest, denn solches Tun
ist eine Sünde und ein Mangel an sittlicher Reife.

So dich aber der Durst plaget an heißen Sommer-
tagen und du gibst dem Stachel des Fleisches nach,
und läffest dich vom Bösen verführen, daß du als
Schüler in eine Kneipe gehest und ein Gläslein B'er
trinkest, so ist dies ein Mangel an sittlicher Reife.

So du aber in deinem Arbeitsheft die Linien
nicht schnurgerade ziehst, wie dir Gott durch den
von ihm verordneten Herrn Direktor befohlen hat,
sondern schief oder gar (was der Himmel ver-
hüten möge!) krumm, so ist sotaner Frevel ein
Mangel an sittlicher Reife.

So aber der Herr Direktor (stehe auf, mein
Sohn, wenn ich von dem Herrn Direktor rede!)
dir vor versannnelter Gemeinde das Register
deiner todwürdigen Sünden vorhält und machet
aus der Muck einen elephantem, so daß du an
dir selbst verzweifelst, so ist solches ein Beweis von
höchster pädagogischer Reife und sothaner Rektor
verdienet, gezieret mit einem silbernen Ehren-
bakuluin unter die Halbgötter versetzt zu werden.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Angewandtes Zitat
[nicht signierter Beitrag]: Freizügigkeit der Wissenschaft
Aaba Aaba: Gutes Deutsch
[nicht signierter Beitrag]: Volksschul-Geschichten
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Text "Ankunft des 'armen Botschafters Hill' in Berlin"
M. Br.: Die Ankunft des "armen Botschafters Hill" in Berlin
Frido: Zum neuesten Schülerselbstmord
[nicht signierter Beitrag]: Kleines Gespräch
Hanns (Hans): Standesehre
Helios: Der Geheimerlass bayrischer Metallindustrieller
 
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