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Mancher Tag steigt hell empor,

Will mir nichts als Liebes zeigen;

Zieht er heim durchs goldne Tor,

Muß mein Mund in Sorgen schweigen.

Mancher Morgen trägt als Kleid
Schwere, dunkle Nebelschwaden, —

Sieh! Ein Wind verweht das Leid
Und ein Abend winkt voll Gnaden.

Also kann das junge Jahr,

Dem wir bang ins Auge schauen,

In ein neues Land uns gar
Lächelnd eine Brücke bauen.

Groß und niegeahnt Geschehen

Kann sein Schoß verschwiegen bergen, —

Und derweil wir zweifelnd stehn,

Steigt das Glück schon von den Bergen. . .

Alfred Huggenbcrger

Jahresfeier

Die Tage gingen und die Monde gingen,
Und wieder tasten aus dem Garten her,

Im weißen Glanz sich iviegend, weich und schwer,
Ins Fenster mir die duftenden Syringen;
Und wieder schwimmt von drüben durch die Nacht
Dein Lieblingslied, von Sehnsucht voll

und Süße,

Und golden schießen stumme Sternengrüße
Aus Himmelstiefen in die samtne Pracht:
Ganz fern verrollt, ein helles feines Brausen,
Der Nachtzng, der zum sonnigen Süden rennt,
Und uni das Lämpchen, das im Erker brennt,
Summt eines seidnen Falters Flügelsausen:

's ist alles, wie es war, — so ganz, als sei's
Derselbe Stern, der in die Buchen gleitet,
Desselben Falters Fittich, leis gespreitet,
Derselben Blüte Duft, berauschend heiß,

All, alles, wie es war, — nur eines nicht:
So bitterarm ward diese reiche Stunde,
Drin meines Lebens Lösung einem Munde
Entfloß, der nie mehr — nie mehr zu mir spricht.

fritz Erllner

Seit einiger Zeit war der junge
Dux nervös. Die Bälle, die Re-
douten, die Soupers, das Kabarett,
Trocadero und die vielen heimlichen
Rendezevous nahmen ihn in einer
Weise her, daß die wenigen Bureau-
stunden zu seiner täglichen Erholung
nicht mehr hinreichten. Im Mai
brach er zusammen, und der Arzt
verordncte vierzehn Tage absoluter
Ruhe. Dux beschloß, diese vierzehn
Tage in einem eleganten Alpenhotel
in der Nähe Wiens zu verbringen.
Der Arzt mar einverstanden, stellte
nur die eine Bedingung, daß er
sich jedes gesellschaftlichen Verkehrs
enthalte. „Besonders," sagte er beim
Abschied, „fangen S' mir nichts mit
Weibern an." „Aber Herr Doktor!"
sagte Dux.

Wenn der Arzt wüßte, wie gleich-
gültig ihm die Frauen schon seit
langem waren, dachte er bei der
Hinausfahrt. Freilich, er sah sie
noch ganz gerne, wenn sie hübsch
und jung waren, aber das Sehen
war ihm auch alles. Er genoß nur noch mit
den Augen. Er glich jetzt jenen ganz erfahrenen
Theaterhabituvs, die immer nur in der Loge
sitzen und, wenn eine Schauspielerin auch noch
so entzückend aussieht, nicht mehr hinter die
Bühne gehen — obwohl sie den Weg dahin
kennen. Eine ruhige, heitere, vhllig saturierte
Stimmung mar über ihn gekommen, was
Frauen anbelangt. Er hatte genug von der
Liebe.

Dieser Seelenzustand behauptete sich auch
im Hotel, in den ersten Tagen wenigstens. Er
ging allein spazieren, las die staaterhaltenden
Journale und schrieb unschuldige Ansichtskarten
an seine Verwandten. Abends, in der Hall,
saß er, faul in einen Lehnsessel hingegossen und
schaute, Zigaretten rauchend, in die Lust. Zu-
weilen folgte er einer vorübergehenden Dame
ein Stück weit mit den Augen. Aber er drehte
sich nicht um und veränderte um keinen Preis
seine Stellung im Fauteuil.

Nach ein paar Abenden fiel das auf. Ein
junger, eleganter, alleinstehender Herr, der in
einem Hotel lebt und keine Bekanntschaften
macht, ist immer eine merkwürdige Figur. Man
fing an, ihn für etwas Besonderes zu halten,
und jedenfalls begannen sich die alleinstehenden
Damen für ihn zu interessieren. Es gab ihrer
in diesem Hotel eine ganze Anzahl und von
jeder Kategorie: geschiedene Frauen, Witwen,
und jene noch süßeren Strohwitwen, deren
Mann jeden Samstag abend aus dem Grabe
steigt. Dux beobachtete behaglich und in un-
verbindlicher Weise das Gehaben dieser Damen,
die sich fast ausnahmslos langweilten und in-
folgedessen mit dem unbekannten jungen Herrn
zu kokettieren begannen. Er sah ihnen zu, wenn
sie abends in der Hall vor ihm ihre Männchen
machten, die er ach! so gut kannte: mit dem
Füßchen wippten, insofern sie welche hatten;
mit dem Händchen auf dem Tisch Klavier spielten,
insofern die Hand einen integrierenden Bestand-
teil ihrer Schönheit bildete; Zigaretten rauchten
— der Silhouette wegen; plötzlich aufstanden
und, nach Luft hungrig, zur Türe schritten, aus
keinem andern Grund, als um das Kleid und
was darunter war, in der Bewegung zu zeigen;
oder in gefälliger Haltung in ein aufgeschlagenes
Buch schauten, in dem sie angestrengt lasen, ohne
je umzublättern, und von dem sie nur von Zeit
zu Zeit aufblickten mit einem klagenden Blick
zu dem unbekannten und darum rätselhaften
Herrn Dux hinüber. ..

Der aber saß in der Loge und rührte sich
nicht. Bis dann eines Abends — es war schon
am vierten oder fünften Tag — eine neue Er-
scheinung im Hotel auftauchte: Eine schöne.

große Frau, ganz in Schwarz, mit schwarzen
Seidenrosen an der Brust und einem schwarzen
Federhut. Sie kam in größerer Gesellschaft
aus dem Speisesaal und rauschte quer durch
die Hall. Im Vorbeigehen schaute sie Herrn
Dux an und nagelte ihn mit zwei großen schwar-
zen Augen kaltblütig an die Wand.

Dux veränderte seine Stellung im Fauteuil.
Und er veränderte sie in den folgenden Tagen
immer wieder, so oft die fremde Dame an ihm
vorbeiging. Es war eine ungewöhnlich schöne
Erscheinung, von einem ganz aparten Reiz, der
durch die Kleidung noch gehoben wurde. Sie
trug sich ganz in Schwarz, und aus der schwar-
zen Umrahmung leuchtete das weiße Fleisch
ihrer Arme, ihres Halses und ihres jungen Ge-
sichtes doppelt verführerisch hervor. Das schwarze
Haar, die schwarzen Brauen, die schwarzen
Augen belebten die weiße Schönheit eines Kör-
pers, dessen Wonnen Dux vorläufig bloß ahnte.
Aber auch so war es das hübscheste Schwarz
Weiß-Bild, das er je vor Äugen gehabt, und
dem er dringend näher zu treten wünschte.

Indessen, dies war vorderhand nicht möglich.
Die schöne Frau war den ganzen Tag in Ge-
sellschaft und zwar in Gesellschaft von Schwä-
gerinnen, Schwestern und Tanten, durchwegs
Frauen, die nicht hübsch waren und sie infolge
dessen eifersüchtig bewachten. Wenn sie ausging,
so ging immer der ganze Schwarni mit, wie
eine Leibwache; von einer Schar umgeben kehrte
sie auch heim. Und wenn sic abends in der
Hall saß, so war sie das Schwarze in einer
ocheibe, deren Ringe alte, oder sonst unerfreu-
liche Weiber bildeten.

Ein einziger Mann befand sich in dieser
Gesellschaft, ein sechsjähriger, zarter Knabe, der
manchmal hustete, und den die schwarze Dame
zuweilen an der Hand führte. Dux schloß daraus,
daß cs ihr Kind wäre und die Veranlassung
ihres Aufenthaltes in dem Luftkurort. Denn
wenn das Kind hustete, so verstummte sofort
das Gespräch der Damen, und alle schauten es
an und warteten gespannt, bis es aufhörte.
Worauf sie dann den Vorfall registrierten und
noch eine Weile darüber sprachen.

Wie Dux sich die Sache vorstellte, war die
fremde Frau eine italienische Gräfin, seit einem
halben Jahr verwitwet und der zarte Knabe
war ihr einziges Kind. Er liebte es, Frauen,
die ihm wohlgefielen und die er nicht kannte,
taxfrei in den Adelsstand zu erheben, und diese
italienische Gräfin war nicht die erste in seinem
Leben. Für seine Annahme sprach übrigens,
daß die Frauen in einer Sprache redeten, die
er nicht verstand und die er infolgedessen für
italienisch hielt. Später begann es ihm mehr
wie rumänisch zu klingen, das er gleichfalls
nicht verstand; und noch später hörte er einmal,
wie eine der Begleitpersonen, eine ältere Frau,
die schöne Dame „Darinka" rief. Und da wußte
er plötzlich, daß seine Schöne eine Südslavin
war, eine dieser großen, schönen Frauen mit
den runden Augen und stillen Gesichtern, mit
dem weichen Mund und der weichen Stimme,
deren Laut das Ohr streichelt und ins Herz
hinuntersteigt und sich dort einnistet und als
ein Echo nachklingt, nach Jahren noch ... Dux
wußte das alles, ohne die fremde Dame kennen
gelernt oder gesprochen zu haben; bloß aus
dem Namen „Darinka".

Eine Sehnsucht erwachte in ihm, Darinka
kennen zu lernen, zu sprechen, aus Spazier-
gängen neben ihr herzugehen und ihre Stimme
mit halbgeschlossenen Äugen aus nächster Nähe
zu hören. Äbcr bei der Abgeschlossenheit, in
der sie lebte, und der strengen Ueberwachung
von seiten ihrer weiblichen Berwandtschast
schien dies Vorhaben völlig undurchführbar.
Und dies war um so fataler, als offenbar auch
die schöne Darinka nicht abgeneigt gewesen
wäre, in die sie umschwirrenden weiblichen So-
prantöne einen männlichen Tenor oder Bariton
Register
Fritz Erdner: Jahresfeier
Ferdinand Staeger: Das Gartenhaus
Raoul Auernheimer: Der Stier
Alfred Huggenberger: Das neue Jahr
 
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