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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 14.1909, Band 1 (Nr. 1-26)

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https://doi.org/10.11588/diglit.3951#0603
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in Benefiziat und ein Kaplan, die für die Feiertagsschüler die
Christenlehre abhielten, ohrfeigten und mißhandelten in der
Kirche, in Gegenwart der Andächtigen, wegen angeblichen
Ungehorsams einen 16 jährigen Friseurlehrling, einen vom Schulverweser
als sehr strebsam und brav charakterisierten jungen Mann. Später trak-
tierten sie ihn noch im Schullokal auf's Roheste mit Stockhieben. Beide
Geistliche wurden vom Landgericht zu 150, resp. 60 Mark Geldstrafe verur-

teilt. Ein auf Antrag der Angeklagten als Sachverständiger vernommener
Bürgermeister, ein ehemaliger Mechaniker, meinte, das spanische Rohr,
das der Kaplan verwendete, entspreche der Körper-Konstitution des
Friseurlehrlings, zirka zwanzig Schläge mit diesem Stöckchen seien
nicht zu viel. — Der Fall, der in bayrischen Zeitungen viel besprochen
wurde, veranlaßte „Das Burschenblatt", die bekannte Beilage des
„Schwarzen Aujust", zur Herausgabe des nachfolgenden Extrablattes:

I. Von der Christenlehre

Liebe Burschen! © wie be-
schwerlich ist doch die Tätigkeit eines
Seelsorgers der Fugend! Seine lfand
darf nicht ermüden irr der Bearbei-
tung der jugendlichen Seelen und
mit seiner ganzen Kraft muß er
suchen, Eindruck auf die edlen Teile
zu machen, die ihm von Gott an-
vertraut sind! So sehet Ihr denn
auch im Bilde hier nebenan einen
Abschnitt der Lhristenlehre wieder-
gegeben, wie sie in dem lieblichen
Gebirgsorte Murnau gehalten zu
werden pflegt. Sie zeiget Euch, wie
mühsam der Dienst Gottes ist, wenn
verstockte oder Widerspenstige —
meist solche, die vom Gifte des
Liberalismus angefressen sind l —
den wahren Geist der Ehristenlehre
nicht erfassen oder absichtlich ver-
leugnen. Die Ehristenlehre gliedert sich in drei
Teile. Erstens die Unterweisung, zweitens die
Andacht, drittens die Ueberlegung. Die Unter-
weisung wird cingeleitet durch ein Gebet, die
Andacht durch sogenannte Watschen und die
Ueberlegung durch starke Handgriffe hinter den
Kragen und Hervorziehen aus der Schulbank.

Demnach sind auch die Hilfsmittel der
Lhristenlehre: Der Katechismus, 2. die

Hand (oder die Hände), 3. der Stecken. So aus-
gerüstet beginnt der wahrhaft eifrige Priester
das werk der Jugenderziehung. Und wenn es
ihn auch Schweiß und Anstrengung kostet, ja
wenn die Arbeit häufig für seine schwache Kraft
allein zu groß ist und er der Hilfe eines lllit-
brnders in Lhristo bedarf, er läffet sich das Werk
dennoch nicht verdrießen und tut, was er kann.

© wie lieblich klingt es, wenn in der
Kirche die Schellen der Ulinistcanten am Altäre
erschallen und die Ulaulschellen des Herrn Bene-
fiziaten im Lhore! © wie andächtig betet der
Jüngling, welchem sein Seelsorger den Hemd-
kragen ausgerissen hat! Und ach wie gerne legt
sich der Sonntagsschlller über die Schulbank, weil

\' V

er weiß, daß ihm das Wort Gottes von zwei Prie-
stern in angemessener weise verkündet werden soll!

Aber leider gibt es auch böse und unverstän-
dige Burschen, welche gerade den dritten, den
praktischen Teil der Ehristenlehre nicht mitmachen
wollen und sich nicht einmal als Lausbuben be-
zeichnen lassen mögen, obwohl sie doch um min-
destens s oder 7 Fahre jünger sind als ihre
Herrn Lhristenlehrerl Fhncn wäre besser, es
würde ein Mühlstein uin ihren Hals gehängt,
denn sie gefährden und schädigen dadurch nicht
nur ihr eigenes Seelenheil sondern sogar, wehe!
den Geldbeutel eines (oder mehrerer) Priester!

So wurden durch die Tücke des oben ab-
gezeichneten Buben die beiden unschuldigen Geist-
lichen neben ihm zu (50 und so Mark Geld-
strafe verurteilt, trotzdem sie ihm nur 6 Watschen
und 22 Stockprügel verabreicht hatten, und wurden
so zu wahren ©pfern und Märtyrern ihres Be-
rufes. Schließet sie in Euer Gebet ein, geliebte
Leser und nehmt Euch vor, es nie ähnlich zu machen.
Zeiget in gegebenem Falle Eure frommen Erzieher
niemals den Gerichten an, sondern danket dem
lieben Gott, daß Luch seine Lehren von allen

Seiten eingeprägt werden. Dann
erst werdet Fhr zu wahrhaft christ-
lichen und gebildeten Männern, auf
die sich Eure Seelsorger verlassen
können in guten und bösen Tagen I

II. Hus unserer Spielecke

Anläßlich des vorstehenden haben
wir einige reizende Unterhaltungs-
spiele für unsere Leser zusammen-
gestellt: ^

Es soll ausgerechnet werden, was
\ Watsche kostet, wenn 6 Watschen
und 22 A... Prügel zusammen 2(0
Mark kosten, wobei aber (nach Aus-
sage des Herrn Benefiziat Fischer)
6 bis 8 Schläge daneben gegangen

II.

wie stark darf der Stecken sein, mit dem
ein (gjähriger Bursche 20 übergemessen erhält,
wenn sein Podex (2 cm dick und der Herr
Bürgermeister von Murnau Bausachverstän-
diger ist? (Dies ist eine schwere Rechnung!
Wir wollen daher den geneigten Lesern ver-
raten, daß obiger Herr Sachverständiger als
ehemaliger Mechanikus die Sache mathematisch
berechnet hat nach folgender Formel:

2 • 2 ya b

st —---

a • n

Das heißt: die Stärke des Steckens (st) ist
gleich der ©berfläche der betreffenden zwei
Halbkugeln (2 mal 2 y4 n), geteilt durch das
Produkt aus dem Alter (a) des Delinquenten
und der Zahl (n) der auszumessenden Hiebe.
Wenn diese Halbkugeln also \2 cm dick sind,
so ist / — 6; rc ist eine feststehende Größe,
z. B. eine Schulbank, welche mit 3 angesetzt
werden kann. Also, jetzt rechnet Luch die Dicke
des Steckens aus, meine jungen Freunde! Fn
dem Murnauer Falle ergab sie sich ja ( • 2 cm).

(Schluß des Lrtrablattes)

Nus äem lyritd)«n

Tagebuch des Leutnants v. 'VerTewifj:

Das Recht auf Schwärmerei

Fn Hagen hat es große Entrüstung erregt und
Einschreiten des Wberbürgermeisters veranlaßt, daß
eine Anzahl Backfische den Herren des dortigen
Schauspielhauses schwärmerische Huldigungen be-
reiteten. (Zeitungsnotiz.)

Lachhaft, un janz vcrjcblicher Lsup,

Sich jcgcn so was zu stemmen!

Finde, jchört Barbarismus dazu,

Derlei nur einzudämmen.

Backfisch benötigt mal solchen „Schwarm".
(Unsereins kann das wissen:

Lhose von janz entzückendem Lharmc,

Möchte um Alles nich missen!)

war dort wohl Uenominage im Spiel:
Mimen diskret nich verfahren!

(Fs auch zu viel verlangt von Zivil:

Rann nich so Zartes bewahren!)

Schuld also trifft die Herren allein,

Mußten cs sckreticren.

Rönntc den Herzchen bei Unsere in' —
Ehrenwort — nie passieren!

D’Hnnunjiamento

Gabriele d'Annunzto hat einem Interviewer ver-
raten, daß er einer Prophezeiung gemäß nur noch
ganz wenige Wochen zu leben habe, aber inzwischen
noch eine Reihe großer Werke schreiben wolle.

D'Annunzio will von uns gehn?

Will sterben schon so früh?

O Gabriel, o laß uns sehn
Noch Früchte Deiner Müh!

O bleib bei uns, verlaß uns nicht.

Du großer Gabriel!

Erlischt der Mitwelt dieses Licht,

Wo ist es dann noch hell?

Du darfst so jung nicht sterben, nein!
Entschlag Dich dieses Wahns.

Du sollst doch noch Verfasser sein
So mannichen Romans,

Schreib auch manch schönes Drama noch,
Bevor Du Dich entfernst, —

Und pfeifst schon aus dem letzten Loch? —
Nein, stirb noch nicht im Ernst!

Doch packt der Tod Dich einst beim Hals
Und wirft Dich in den Dreck, —

Dann, Gabriel, stirbt jedenfalls
Ein Dichter und ein Geck.

U. A. Linuse

pruceft behmifche!

In Prag, das zur Zentrale der groß-serbischen
und panslavistischen Propaganda ausersehen ist, wird
eine slavische Bank mit 10 Millionen Kronen gegründet.

Daße Brude Ruß und Srb
Sans auf Gusch geschlagen,

Kanne Pane Wenzliczek
Nimmemeh vertragen!

Ganzes Prutestirowat
Zse bluß Geschwefel,

Darum zieht jetzt Saiten auf
Andre bchmisch Leefel!

Wirde dauern nimme lang,

Bisse Estreich spirte,

Wie viel meh als grußes Maul
Geld den Welt regierte!

Sans me zur Erkenntnis Kumm',

Daße dann erst siegte
Panslavismus, wanne w u
Was zu pumpen kriegte!

pokorny Prokop,
„Fugend"-Kurrespundent behmifche
Register
[nicht signierter Beitrag]: Illustration zum Text "Das Burschenblatt"
Leutnant v. Versewitz: Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von Versewitz: Das Recht auf
Pokorny Prokop: Prutest behmische
B. A. Nause: D'Annunziamento
 
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