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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 14.1909, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 26
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https://doi.org/10.11588/diglit.3951#0611
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Das arme Krokodil

Von Hafis el Lhawage

Es war einmal ein Krokodil. Das wohnte
oberhalb Chartums im weißen Nil und war
sehr modern veranlagt. Es fand die Erwerbs-
verhältnisse seiner Heimat höchst mißlich und
fühlte sich auch in seinen sozialen Ansprüchen
unbefriedigt. So ging es auf Reisen, schwamm
an Chartum vorbei, immer nilabwärts, und
amüsierte sich köstlich. Im Strome trieben die
delikatesten Dinge, wie tote Esel und verendete
Rinder, und niemand fraß sie, so daß unser
Krokodil, was man so sagt, fein heraus war.
Es passierte die Katarakte, besichtigte flüchtig
Assuan und Luxor und kam — so unwahr-
scheinlich es klingen mag — endlich bis gegen
Cairo.

Als es noch eine Tagereise davon entfernt
war, stieg es Nachts ans Land und machte es
es sich bequem.

Da kam eine große Ratte des Weges, blieb
verblüfft stehen und fragte sehr impertinent:
„Ja, wer sind denn jetzt Sie? So was habe
ich ja noch nie geseh'n?"

Das Krokodil, das die Ratte gleich erkannt
hatte, sagte etwas pikiert: „Na, da schämen
Sie sich, da sind Sie sehr ungebildet. Ich bin
das heilige Nilkrokodil, der Herr des Stromes!"
und dabei machte es den Rachen gewaltig auf.
Die Ratte sprang vor Schreck drei Meter weit
gegens Ufer zu, verbeugte sich tief und fragte:
„Bitte, fressen Sie Ratten?"

„Pfui!" erwiderte das Krokodil, „wo denken
Sic hin!"

Da setzte sich die Ratte auf die Hinter-
pfoten, schlang den Schweif um den Hals —
das galt damals in ihren Kreisen für sehr ele-
gant — und richtete sich auf ein längeres
Plauderstündchen ein. „Sie sind jedenfalls auf
einer Geschäftsreise?" begann sie. „Ja, man
muß heute dazu sehen. Wenn ich Ihnen mit
Auskünften dienen kann, so verfügen Sie über
mich. Ich bin sehr informiert über ägyptische
Verhältnisse. In welchem Artikel betätigen
Sie sich?"

„Ich fresse hauptsächlich Esel und Rinder,"
sagte das Krokodil, das in Geschästssacheu
nicht recht orientiert war, „und
schwimme stromabwärts."

„Oh!" meinte die Ratte, „da
kommen Sie nach Cairo. Davor
möchte ich Sie warnen, vor Cairo!"

„Ist das zum Fressen?" fragte
unser Tourist. Die Ratte unter-
drückte mühsam ein mokantes
Lachen und erklärte ihrem neuen
Freunde, daß dies eine große Stadt
sei mit vielen, vielen Menschen.

„Kenne ich," warf das Krokodil
hin, „weiße oder schwarze? Können
sie schießen?"

„Oh! Sie haben alle Farben.

Aber was ,schießeck ist, weiß ich
nicht."

„Na, dann ist's gut. Waruni
wollen Sie mich dann warnen?

Gibt's keine Esel dort und Rinder?"

„Mehr als nötig," erwiderte
die Ratte, „aber die Menschen sind
sehr störend. Meine Eltern sind
gebürtige Cairoten und doch wun-
derten wir aus. Sie töteten mir
37 Brüder, 42 Schwestern und über
100 Tanten und Onkel!" „wenn wir

„Also schießen sie doch!"

„Ja, vielleicht nennen sie es so. Wir nannten
es erschlagen und vergiften."

„Das läßt mich kalt," sagte das Krokodil;
aber das war eine deplazierte Redensart, denn
es hatte so schon kaltes Blut; und dann gähnte
es schrecklich.

Da sprang die Ratte kopfüber in das Wasser
und kam nicht wieder. Nun ja, man konnte
ja doch nicht wissen!

Am nächsten Tage kam das Krokodil wirklich
nach Cairo, fand die steinernen Uferböschungen
höchst unrationell und stieg endlich in dem herr-
lichen Parke eines großen, neuen Hotels — ich
glaube es war in Bulak —*ans Land.

Im Nu standen in gemessener Entfernung
tausende von Menschen und betrachteten erstaunt
den Ankömmling. Nach einiger Zeit kam ein
eleganter Herr mit schwarzer Redingote auf
das Krokodil zu — das heißt, er blieb auf zirka
zehn Meter Distanz stehen — und sagte höflich:
„Ich habe die Ehre! Womit kann ich Ihnen
dienen?"

Das Krokodil war höchst erstaunt, in seiner
Sprache begrüßt zu werden und fragte: „Wieso
sprechen Sie denn krokodilisch?"

„Ich bin der Manager des Hotels und spreche
alle Sprachen," erwiderte der Herr gleichmütig
und fuhr dann fort: „Beabsichtigen Sie hier
längeren Aufenthalt zu nehmen? Ich könnte
Ihnen für diesen Fall ein vorteilhaftes Ar-
rangement offerieren!"

„Ist das zum Fressen?" fragte das Krokodil.
Das war nun eben seine Lebensfrage.

Der Manager lächelte verbindlich, vermied
aber direkt zu erwidern. „Ich würde Ihnen,"
setzte er seine unterbrochene Rede fort, „Woh-
nung und ganze Verpflegung gratis beistellen,
wenn Sie sich verpflichten wollten, bis zum
Ende der Saison ausschließlich hier zu wohnen
und nichts zu fressen, was Ihnen nicht serviert
wird."

„Und was wird mir serviert?" fragte unser
gepanzerter Freund.

„Ja, was auf dem Menu steht; tägliche Ab-
wechslung und erstklassig. Lieben Sie Gemüse?"

Das Krokodil zuckte zusammen: „Wollen Sie
mir mit dieser Frage nahe treten, Herr?" fragte
es gereizt.

„Nein, ich beabsichtige überhaupt nicht,
Ihnen nahe zu treten," sagte der Manager und
trat zehn Schritte zurück.

„Na gut," meinte das Krokodil, „abgemacht!
Bitte, lassen Sie servieren. Ich habe Hunger."

„Sofort! Und ich werde jede Woche einmal
vorsprechen, um mich über Ihre Wünsche zu
informieren."

Da lag es nun und war richtig engagiert
als Reklame-Krokodil.

Dann kamen zwei Russen, drei Franzosen,
vier Deutsche und fünf Engländer und photo-
graphierten es. Am nächsten Tage kamen dreißig,
am dritten fünfzig und am vierten ließ der
Manager einen Zaun mit einem Tore errichten
und dann kostete es 1 Shilling Entree und für
photographische Aufnahmen 4 Shillings extra.
Nun kamen zwar fast nur mehr Russen und
Engländer, aber es war doch sehr ermüdend;
denn ein freundliches Gesicht wollte das Kro-
kodil doch immer dabei machen, da es nun
einmal engagiert war.

Als der Manager in der dritten Woche kam,
um sich über die Wünsche zu informieren, fragte
das Krokodil „ob es denn wirklich alle Tage
Lammfleisch fressen müsse, das sei es nicht ge-
wohnt" und dergleichen. Keine Faser zuckte
in des Direktors Gesicht, aber er erwiderte kalt
und bestimmt: „Sie erhalten kontraktmäßig was
auf dem Menu steht."

Er zog ein Täfelchen aus der Tasche und las:
„Montag:

Lunch — Rognon de mouton,

Dinner — Epigrammes d’agneau,
Dienstag:

Lunch — Irish stew,

Dinner — Gigot de mouton,
Mittwoch:

Lunch —- Grilled lamb’s feet
Dinner — Seile de brebis
u. f. w.

Sie müssen zugeben, daß das tägliche Ab-
wechslung ist." Und damit ging er.

Das arme Krokodil magerte zusehends ab.
Es machte Vorstellungen, es bat, es flehte, und
als es doch täglich Lammfleisch bekam, wie es
auf dem Menu stand, wurde es aus Ver-
zweiflung kontraktbrüchig, fraß
den servierenden Berber samt der
Livree und wurde aus letzterem
Grunde erschossen.

Im Foyer des Hotels hängt
heute noch die Panzerhaut unseres
armen Freundes; die hatte ihm
der Manager zum Schluffe noch
über die Ohren gezogen. Es
war ihm das eine liebe, alte Ge-
wohnheit.

k>aris in veulscklanck A

haben Heimweh, wir gehen in die erste beste
wird immer gegeben eine französische Schwank

Wahres Geschichtchen

In einer sehr schwarzen Gegend
unseres lieben Vaterlandes kniet ein
Zunge vor dem Beichtstuhl. Auf
die (frage des Priesters, ob er auch
keine Sünde vergessen habe, erwidert
er zögernd:

„Ejo, ech häbb auch möt Per-
sonen anderen Geschlechts verkehrt."

Der entrüstete Priester fragt, wer
Weisgerber denn das gewesen sei, und erhält

zur Antwort:

Theater, da „Ljo, dat waren er etzliche luth-
rische Zongesl"

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[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
Hafis el Chawage: Das arme Krokodil
Albert Weisgerber: Paris in Deutschland
 
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