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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 14.1909, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 26
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https://doi.org/10.11588/diglit.3951#0614
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Der selige „Herr Professor"

(Zu dem Bilde von Josef Zuklerer)

Den „kserrn Professer" nannten ihn zum Spaß
Die großen Leute und die Gassenbuben,

Den tollen Kauz, der am piano saß
In braungeschmauchten Münchner Schänkenstuben;
Er ward zum Kinderspott so manches Mal
Auf offner Gaffe — und er hätte besser
Respekt verdient, der alte Herr Professor:

Er war ein wirkliches Vriginal!

Wohl war fein Rock an wenig Stellen gut
Und seine Handschuh' hatten keine Finger;

Lr nahm vom Pöbel mancherlei Tribut —

Doch ward sein Künstlerstolz d'rum nicht geringer.
Er dankte nicht — er knurrte schimpfend bloß
Und hackte los auf seinen Klimperkasten,
Pompös, als drösche die vergilbten Tasten
Luroxa's allergrößter virtuos!

Er tat, als gäb' es überhaupt kein Geld —
„Ich zahle nie!" war ihm Prinzip und Satzung
Und hat sich stolz wie jeder Gast bestellt —

Und meistens auch bekommen — Trunk

und Atzung;

Er stieg mit Schimpfen in die Straßenbahn
Und suchte seiir Billet in allen Taschen
Und fand es nie — zu seinem Ueberraschen —
Und — fuhr umsonst, der alte Grobian!

Ja, seine Grobheit, die war seine Macht:

Man floh vor ihr, wie vor des Bergstroms Tosen,
wer's mit ihm aufnahm, der verlor die Schlacht,
Denn feine Worte rochen nicht nach Rosen.
Urkräftig ward der Frevler attackiert
Mit hageldichten, saftigen Injurien —

Die sausten wie der Geißelschlag der Furien
Auf den Verwegnen nieder, wie geschmiert!

Grobheit und Narrheit waren sein Besitz
Und nährten ihn, zwar spärlich, aber sicher,
wie einen andern sein gesunder Witz
Und ein Beruf, ein ernster, säuberlicher.

Der Bettelmann, in abgeriss'ner Kluft,

Nicht oft gewaschen und wohl nie gebadet,

Lr war als echter Herrenmensch begnadet
Und freier, als der Vogel in der Luft!

Gepfiffen auf der Menschen Haß und Gunst
Hat er, den Brauch und Sitte nie genierten;
Selbst Ruhm genoß er — wenn im Wirtshausdunst
Bctrunk'ne Flegel johlend applaudierten!

Zum Narren hielt man ihn das ganze Jahr —
wer weiß, ob nicht der Narr, den seine Schrullen
Hur Ziffer machten unter so viel Nullen,
Beträchtlich klüger als die Klugen war?

l'ips

wahres Geschichtchei,

Mit einem Freunde, der gleich mir Examens
halber in Berlin weilt, besuche ich das Kaufhaus
des Westens. Mein Freund hat die Absicht, für
seine jährige Schwester eine Handtasche zu er-
flehen, eine Handtasche von besonderer Art, wie
sie sich die Schwester seit langem schon für den
Geburtstag sehnlichst gewünscht hat. Recht un-
angenehm überrascht durch den hohen Preis der
Taschen, deren billigste immer noch ;o Mk. kostet,
kann mein Freund zu keiner Entscheidung kommen,
sodaß ich, um dem Schwanken ein Ende zu machen,
mit leisem Mahnen frage: „Du willst also Deiner
Schwester die Tasche nicht kaufen?"

In dem Augenblick fällt die sehr nette jugend-
liche Verkäuferin ein: „Allerdings, meine Herren,
für eine Schwester legt man ja gewöhnlich
nicht so viel an."

Berliner Jugendfürsorge *)

Drei halbwüchsige Jungen, frühere Schul-
kameraden, treffen sich.

Es entspinnt sich folgendes Gespräch:

Schusterlchrling: „Na, sagt mal, wie is
det? Kann ick eich nich vor unsere Jugend-
organisation keilen? wir sind vor Frei-
heit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wir
werden die Meesters det schönsten beweisen, dat
sie uns nich verhauen derfen. Ihr habt ooch
schwer zu leiden!"

Laufbursche: „Du solltest Dir wat schämen,
Fritze! In sone «Organisation bist Du? Ick
werde Dir wat sagen: Bei euch is det allens
falsch. Det is allens Schwindel. Unsre Richtung
is besser. Ick bin strengnationall Ick
verachte dir! Ad je!"

Schusterlehrling: „Na nu?-Kik eener

den Burschoa-der, unn verachte dir!

ha — ha — ha! Streng national! Det is de
richtige Richtung! wat, Albert? — — wat
meenst D u?"

Schreiberlehrling: „Ick meene nischt!
Ick bin,Blaukreuzer'. Adje;!"

*) Der Verfasser begleitete seine Einsendung mit
nachfolgenden Zeilen:

„Sehr geehrte Redaktion!

Helfen Sie mir, den Krebsschaden, nun auch noch
die arbeitende jugendliche Klasse politisch zu beein-
flussen, durch Satire bekämpfen.

In Berlin hat sich ein auf „strengnationaler
Grundlage" aufgebauter Verein „Deutscher Jugend-
bund" gebildet; desgleichen geht die Sozialdemokratie
mit der Gründung von Ortsgruppen vor.

Einer, der fünfzehn Jahre gearbeitet hat für
die Jugend, nur um der Jugend selbst willen, einer,
der nicht sehen mag, wie sie nun auch neben klerikalem
Herrschaftsgelüst zum politischen Kampfobjekt gemacht
wird und dadurch ganz sicher unermeßlichen Schaden
erleidet, bittet Sie herzlich: Helfen Sie der Jugend!"

Wenn mancher Mann wüßte, wer
mancher Mann war' . . .

Sonst riefen auf den Bahnhöfen die
Breslauer Schutzleute bei großem An-
drang in echt fchläf'fcher Gemittlichkeit: „Jesses,
Jesses, zieht ock bei Seite! Schart euch weg,
ihr verdammten Zigeiner, sust half' ich euch
und gab' euch ees ei die Fresse!"

Jetzt aber rufen sie: „Darf ich gehorsamst
bitten, daß die Herrschaften ein klein wenig
beiseite treten, um die Passage frei zu machen?
Danke, danke gehorsamst. Das Handgepäck
bringe ich den geehrten Herrschaften schon
selbst nach."

Und woher diese Aenderung? — Der König
von Württemberg hatte neulich Breslau passiert.
Statt in dem für ihn bereitgehaltenen Fürsten-
zimmer Platz zu nehmen, hatte er sich unerkannt
in den Wartesaal gesetzt und dort ein Glas Bier
getrunken. Jetzt sind die Breslauer Schutzleute
argwöhnisch geworden; in jedem Passanten
wittern sie einen König.

Ließe Jugend!

während sich die Politiker jenseits der schwarz-
gelben Grenzpfähle die Köpfe zerbrechen, wie die
Sprachenfrage am besten zu lösen sei, hat ein
schlichtes Bäuerlein eine überraschend einfache.

Lösung gefunden. Wollte da ein höherer Gerichts-
funktionär in der Bukowina — natürlich ein
Deutscher, dessen Ahnen unter Josef II. aus
Württemberg einwanderten — den biederen Land-
lcutcn dadurch eine Freude bereiten (und seine eigene
„(Objektivität" beweisen), daß er die Gerichtsstücke,
die bis dahin stets nur in deutscher Sprache
abgefaßt waren, nur einsxrachig ruthenisch
abfassen ließ.*)

Leider kann man es aber niemanden recht
machen. Denn statt daß die Ruthenen dem be-
treffenden Beamten begeisterte «Ovationen dar-
gebracht hätten, erschien eines schönen Tages bei
ihm eine Abordnung festlich gekleideter Huzulen
(Gebirgsruthenen), deren Führer nach einer der
bei diesen Landeskilidern üblichen tiefen Ver-
beugungen also anhub:

„Hoher und gnädigster kaiserlicher Rat! wir
wissen nicht, was wir getan haben, daß Du uns
eine neue Verordnung gabst, die uns schädigt.
Du weißt doch, daß wir nicht lesen und schreiben
können. Mit den deutschen Vorladungen konnten
wir aber zu jedem Schänker gehen, der sie uns,
seinen Gästen, mit Vergnügen vorlas. Das hat
uns nur einige Gläschen Schnaps gekostet, die noch
dazu wir getrunken haben. Mit den ruthenischen
Zuschriften aber müssen wir zum Pfarrer gehen
und der verlangt für sich für's vorlesen zu-
mindest ein fettes Huhn oder einige Kilo Butter."

woraus hervorgeht, daß nicht nur ideelle,
sondern auch rein realistische Gründe für Bei-
behaltung der deutschen Amtssprache geltend ge-
macht werden können. e. t.

*) Den Norden der Bukowina bewohnen Ruthenen,
Rumänen den Süden, während die Deutschen, die noch
heute dem ganzen Lande deutsches Gepräge geben,
im ganzen Lande zerstreut sind.

Der schwarze Heerbann

Der Vatikan unternimmt einen neuen Schritt gegen
den Modernismus: Eine lettera apostolica, die im
amtlichen Teile des „Osservatorc Romano" erschienen
ist, kündigt die Errichtung einer biblischen Universität
in Rom an. Die Schule soll ausschließlich Bibel-
studien dienen. Die Professoren werden sämtlich ocm
Jesuitenorden entnommen werden.

Am Himmel dräuen Wolken schwer,
Darunter wälzt sich lange
Und breit durchs Land das schwarze Heer
Wie eine Riesenschlange!

Weil Sonnenlicht ihm Schmerzen macht,
Schleicht es am liebsten durch die Nacht
Mit leisen Späherschritten,

Voran die Jesuiten!

Die sind der schlaue Schlangenkopf
Zu all den tausend Gliedern,

Da sucht so mancher dumme Tropf
Sich frömmelnd anzubiedern!

Und ist nur hinter seiner Stirn
Das noch vorhandne Menschenhirn
Eunuchenhaft verschnitten,

Gefällt's den Jesuiten!

Sie geifern allen denen Fluch,

Die hoch die Stirne tragen.

Und wollen mit dem Bibelbuch
Der Freiheit Geist erschlagen!

Sie hassen jede junge Kraft,

Nie war die echte Wissenschaft
Bei ihnen wohlgelitten.

Den Herren Jesuiten!

Sie möchten das Scholastentum
Der Welt von Neuem bringen
Und damit den verblaßten Ruhm
Loyolas frisch verjüngen!

Doch hoffen wir zum großen Gott,

Daß sich zu aller Freien Spott

Gehörig han geschnitten

Die Herren Jesuiten! i>on scirocco

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Monogrammist Frosch: Illustration zum Text "Berliner Jugendfürsorge"
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
[nicht signierter Beitrag]: Berliner Jugendfürsorge
Pips: Der selige "Herr Professor"
Frido: Wenn mancher Mann wüßte, wer mancher Mann wär'...
Don Scirocco: Der schwarze Heerbann
E. T.: Liebe Jugend!
 
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