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Nr. 41

JUGEND

1909

I^erMtrauTch

Rings im erntefrohen Tal
Hangen goldne Früchte —

Laßt mich, daß ich noch einmal
In den Segen flüchte;

Eh' der Sturm ins rote Land
Wie ein Schatten fallt,

Eh' des Gärtners kühle Hand
Letzte Lese hält.

Unterm krausen Eschenbaum
Will ich atmend liegen,

Bunt wird sich der Waldessaum
In die Wolken schmiegen;

Augen, reif wie alter Wein,
Wandern in die Runde,

Und es wird dort oben mein
Eine Sonnenstunde.

Eine Stunde, die vergißt,

Daß viel Wetter trafen,

Daß der Garten müde ist,

Und die Lieder schlafen;

Daß in herber Jahresfrohn
Schon das Feld getragen.

Daß zwei wilde Knaben schon
Mutter zu mir sagen-

Rings im ernteschweren Tal
Hangen goldne Früchte —

Laßt mich, daß ich noch einmal
In den Segen flüchte;

Eh' der Sturm ins rote Land
Wie ein Räuber fällt.

Eh' des Todes rauhe Hand
Letzte Lese hält!

Margarete Beutler

Winnies Hochzeitsreise

Von Albert von Trentini

Eine Marotte rvar's, ja, gewiß eine Marotte
von ihrem Mann, — aber eigentlich eine ganz
nette. Man mochte sich nicht viel Besseres
wünschen, als nie zu wissen, welches die nächste
Station auf dieser Hochzeitsreise sein würde,
und dann plötzlich in Paris, in Madrid, in
Marseille, in Genf, in Berlin und dann in Wien aufzu-
wachen. Niemals schon vorher wissen, wohin, und dann auf
einmal überall sein, wo man noch nie gewesen. —

Nun fuhr sie von Wien in der gewohnten Heimlichkeit
weiter, die Ninnie, und wußte schon wieder nicht, wohin. Ihr
Mann, der lächelte unter der verhüllten Kupeelampe und
schaute immer, ob sie schon schliefe oder nicht, und — eigent-
lich, so dachte sie, denn sie schlief niemals, wenn Jemand sie
anschaute, eigentlich ist das alles nur Freude über meine
schlechte Geographie und mein bisheriges Herumsitzen in der
langweiligen Stadt da droben in Galizien. Ja, darum
lächelt er, denn er war überall, ist ein weitgereister Mann
und ein sehr nobler Mann und versteht Alles und freut sich,
daß ich eine Pomeranze bin, eine wirkliche Landpomeranze.
Obwohl ich das gar nicht bin, wenigstens nicht so richtig,
dachte sie, — und da schob sich in ihr halbschlafendes Hin-
dämmern ein Stück Vergangenheit ein, und Ninnie war plötz-
lich vor sich selber die Tochter ihres verkrachten, polnischen
Vaters und die Tochter ihrer verschollenen Mutter, und dann
die Erzieherin im Hause soundso und im Hause daundda,
und so erschien ihr zwischen Villach und Toblach leibhaftig
der verkrachte Vater, die Hände in den Hosentaschen und die
Zigarette zwischen den Lippen, und fluchte und schmeichelte
schnell darauf, und weinte und bettelte und war kreuzvergnügt
schnell daraus, — denn er war ein Edelmann, was den Leicht-
sinn anlangte, — und dann die Mama, die war tatsächlich
mit im Kupee und hielt noch einmal die tränenreiche Ab-
schiedsrede zu ihrem geliebten Kinde, bevor sie mit dem

Rittmeister auf und davonging. Und da war
auch die Gouvernante mit zwanzig Gulden
monatlich und schlechter Behandlung, und aus
der wurde ein junges Ding, das gerade nicht
zuviel Fond mithatte und vom Leben nichts
wußte und darum immer nach dem Leben schrie;
und darum, — ja, das mußte man sagen, das
mußte man sich auf dieser Hochzeitsreise immer
wieder sagen: sie hatte Glück gehabt, die Ninnie:
Glück hatte sie gehabt. Denn war es nicht ein
Glück, daß dieser —

Da blickte er eben herüber. Ja, es war ein
Glück, sie würde ihn gleich anblinzeln, so-
bald sie das ausgedacht harte, — es war ein
außerordentliches Glück! Reich sein und im
Erpreß fahren und Schmuck kUegen und an-
geredet werden: Frau Baronin, und es wirklich
sein, und auf den Visitkarten, und überall, —
und jetzt noch auf das Schönste dieser langen
Reise warten: auf zwei Monate in einem Pa-
radies, das irgendwo schon bereitstand und von
dem sie gar nicht wußte, wo es war, — aber
es mußte das Allerliebste, das Intimste und
Heimlichste sein, irgendwo in I alten, das der
Mann so sehr liebte, — ja er liebte es sehr,

— und-

Er richtete sich auf,-nein, noch einen

Moment mußte er warten, denn das waren
geradezu weltliche, Ländliche Gedanken gewesen,
und das war es gar nicht, warum es so ein
Glück war. Das war etwas ganz Anderes,
ja wirklich, — das war sein Charakter und seine
Güte. Seine — Vornehmheit, sagte sich Ninnie,
und seine, — ja, man konnte es nur wieder
Charakter und Güte nennen, denn es war eben
dies. Und es lebte sich so zufrieden und still
mit ihm, — sie hatte das gar nicht erwartet.
Sie hatte, — ja das war richtig, — doch immer
noch ein bißchen gefürchtet, er werde den Laszlo,

— ja er hieß Laszlo, — nicht ganz, — das
heißt, auswischen! —, nein, nicht ganz aus-
löschen können, weil, — nun, so eine große
Passion, — das war es doch gewesen, — so
eine große Passion läßt sich nicht so auf Ge-
heiß und Willen ganz totmachen und zuckt
immer noch — aber, es war ganz gut gegangen,

— er wußte ja auch Nichts und fragte nie,
und —. Ganz gut; denn hübsch war er genug
und, — das war auch ein Glück, — er hatte
ebenso gute Hände wie der Laszlo, denn wenn
er das nicht gehabt hätte, — und dann der
Laszlo, das mußte man sagen, der war ein
Lump gewesen, — und es wäre auch nicht
gegangen. Immer diese unnütze Sehnsucht und
so ein Brennen nach ihm, und er war doch ein

II. V. Bouvard

Lump, — und dabei wissen, daß er eine Andere,

— nein! Wenn es noch so schön gewesen war^

— das durfte man ja nicht vergessen, — aber
hier, hier schwamm man in einem normalen,
anständigen Leben, auch innerlich anständig,'
und — wenn Kinder kämen und so weiter,
dann war man ganz so wie alle anderen wohl-
gehaltenen Frauen, und gerade das — ja, das
hatte man früher nicht gewußt, das war gut! —

„Franzensfeste I"

Franzensfeste? Ninnie fuhr auf. Heller
Tag. Also hatte sie geschlafen. Franzensfeste?
Ja, ja, — ja freilich — aber damals war sie
von Innsbruck herunter gekommen. — Da
waren sie noch ein paar Stunden weiter ge-
fahren, — bis, — bis? Es war vielleicht besser,
nicht nachzudenken, sondern —.

Fuhr schon wieder! Es war gewiß sehr
schön da draußen, denn vom einmaligen Fahren
vor drei Jahren, — da hatte sie ja gar nichts
gesehen. Aber Bozen, — und — daran er-
innerte sie sich doch noch, — so ein Hotel am
Bahnhof und der Rosengarten und eine warme,
eigentümliche Luft, —! Nein, erzählen, reden,
fragen, und sich ein bißchen hätscheln lassen,
das konnte man die paar Stunden, und hie
und da auch etwas Liebes sagen, oder im Reise-
buch nachschlagen und, weil es ihn so freute,
tun, als ob man nicht wüßte, wo man war:
denn es ging doch nach Italien; wohin ginge
es auch sonst, und gerade soviel durfte man
doch verraten, daß man wisse, es ginge von
Bozen schnurgerade hinunter nach Rom. —
„Rovereto."

Rovereto? Und Gaston erhob sich? — was
erhob er sich in Rovereto, — ? — und —
„Ninnie," lachend sagte er das, „mach dich
bereit; in fünf Minuten!" —

Bleich war sie geworden. Wie hieß doch
das kleine Nest, — das von damals, — das,
wo — es war heiß gewesen und gegenüber stand
eine kleine Kapelle auf einem Felsen!?

Und -
„Mori."

Sie bekam das Herzklopfen. Sie vermochte
nicht gleich aufzustehen und sie konnte Gaston
nicht recht helfen, denn es waren auch zwei
Dienstmänner da und die würden ja —; und
wenn sie nun sagte, ganz einfach und bestimmt,
daß sie weiterfahren wollte, weil sie den Garda-
see, — denn es ging nun doch wohl nach dem
Gardasee! ?

Nein, nein, das tat sie nicht I Fast entrüstet
war sie darüber. Ich, und mich fürchten? Ein
paar Stunden nur, und dann aufs Schiff, —
und — ja — sehen wollte sie die Billa Dorata,
anschauen wollte sie die Billa Dorata, tapfer
und kühl hinüberschauen vom Schiff aus, wenn
es schnell und entrückend vorbcifuhr bei Torbole, und dann
in den Süden blicken, — als ob der die Zukunft wäre!

Das brachte sie wohl zustande! Sie brauchte ja nur
still zu sein und sich von Gaston erzählen zu lassen, daß der
kleine, dunkle See drüben der Loppiosee, und daß in
Arco eine Lungenheilstätte und in Riva das Palasthotel
wäre, denn das dauerte nicht lange, und der Zug, so
langsam er war, vorwärts führte er doch und ohne daß
man ihm half. Nur warten mußte man. —

Gaston erhob sich wieder.

Ninnie lachte zu ihm. „Nein, jetzt will ich keine
Bonbons."

Aber Gaston lachte auch.

„Wir sind gleich da!" Und er griff wieder nach den
Sachen im Netz.

Jetzt? Jetzt aussteigen?

Sie sah, wie Gaston ein unerklärlich freudiges Gesicht
trug, ein Gesicht, das sagen wollte: „Kind, nun wirst du
bald staunen!" Und sie sah, wie er Stück für Stück aus
dem Netz hob, und wie eine breite Sonne über ihr Kleid
siel und auf Gastons Hand und auf seinen Trauring, und
sah das Alles und kam sich vor wie eine Verfolgte oder
wie Eine, die plötzlich gefesselt und geknebelt wird und
sich nicht wehren kann, weil sie stumm ist.
„Nago-Torbole!" —

Ninnie schritt wie im Rausche neben Gaston her. Es
wurde, es mußte, ja, — es mußte wohl Alles verändert
sein in Torbole, unterdessen, in drei Jahren, — drei Jahre
Index
Margarete Beutler: Herbstrausch
Hugo v. Bouvard: Vignette
Albert v. Trentini: Ninnies Hochzeitsreise
 
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