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find eine schöne Zeit, und am Molo hielten
wohl noch die Schiffe an, alle Schiffe, so
daß man schnell weitersahren konnte, —
und der alte Fischer und seine drei Buben
— wie hieß er denn, der alte Mann, der
immer das Boot vermietet hatte? — wie
hieß er denn? — die sind vielleicht schon
gestorben! Er, der Alte, — wie hieß er
denn? — der mußte doch schon gestorben
sein, und die Söhne waren vielleicht aus-
gewandert?! Wandern nicht Alle aus
in —, nun wußte Ninnie auf einmal nicht,
ob Torbole schon in Italien liege.

Blau, azurblau war der Himmel, und
Gaston ging still neben Ninnie her und
ging auf einmal schneller. — „Warte,
bis ich rufe," sagte er noch, und ver-
schwand um die Felsenecke. Und Ninnie
lachte und weinte jetzt, denn nun war sie
allein auf der staubigen Straße und in der
Sonne und sah ihren Schatten und wollte
sich besinnen, — aber da rief er schon.

Dann stand sie mit ihm vor dem
großen See, der in der Nachmittagsglorie
schwieg und schlief und drei einzige Segel
leicht anblies, und unten war Torbole, und
die grauen Oliven flüsterten ein bißchen,
so still, so entsetzlich süß, so vergessend, so
erinnernd, und weit, weit draußen war
blau und ferne, ein Wunder im Wasser,
monto Castello.

Ninnie schloß nicht die Augen. Sie
hatte sich aufgerissen, als sie Gastons
ruhige, sanfte Stimme vernommen und
den ausgebreiteten Arm gesehen, mit dem
er den ganzen See abfnhr und jeden
Berg berührte und jede Olive grüßte
und jedes Haus beschrieb, und folgte mit
ihrem Blicke, der jedes Haus und jede
Olive und jeden Berg und jede Welle so
gut kannte, so gut, diesem Arme, und
redete an ihr verzweifeltes Herz schnell
und immer wiederholend eine Litanei von
Worten, die es beruhigen und kaltmachen
und erkennen lassen sollten, daß all die
dumme Angst ein gräßlicher Unsinn sei,
weil sie doch lange schon vergessen und ver-
gessen hatte und weil sie Gaston ja liebte.

Und mit diesem Mute schritt sie am
Arm ihres Mannes, der von der Freude
auf die letzte, wohlvorbereitete Ueber-
raschung glühte und fast lief, ins Dorf
hinab, und wenn ihr ein Baum oder ein
Fenster oder eine Aufschrift oder ein Ge-
sicht blitzhell und blitzschnell den Einzug
von damals vors Auge malte, zwang sie
sich, schon tapfer geworden, fest in die
heiße, wunderschöne Welt zu schauen. Und
als dann die Straße den letzten Bug über-
wand und hinter den Chpreffen, ganz an
den Wellen des See's, von Rosen um-
blüht, das Haus erschien, das Haus mit
den roten Wänden und der weißen Ter-
rasse und dem schwarzen Balkon auf das
Wasser, das Haus von damals, — die
Villa Dorata, — schlug sie zuerst die
Augen nieder und dann wieder auf und
blickte es an — und —

Nein, das gelang nicht! Denn es war
plötzlich etwas ganz Neues dort in der
Brust drin, etwas ganz Neues, — das war
nicht Erinnerung, nicht Nachklang, nicht
Widerhall, — das war etwas, was sie
von Gaston trennte und vor ihm falsch
und feig machte, weil er nichts wußte.
Und nun lief auch Ninnie, weil die engen
Gaffen von Torbole sie zu verbergen ver-
sprachen, und weil dort ein Hotel sein
mußte, in dem man warten konnte, bis
das nächste Schiff ging, — denn bleiben,
bleiben — um Gotteswillen, nein, — hier
bleiben, das konnte sie nicht! So lief sie.

Und da war wirklich das Hotel. Wie
erlöst blieb Ninnie stehen, als Gaston nach
links bog.

„Gaston, hier ist das Hotel!"
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Max Klinger: Barba Nicola
 
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