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Aber Gaston lachte. Mitten in der Sonne stand
er vor ihr und kam die paar Schritte zurück und
nahm jetzt ihren Arm, und zog sie weiter. „Nun sind
wir gleich zu Hause," sagte er und zog die zu Tod
Erschreckte fort, eine dunkle, bildhübsche Gasse hinaus
und dann einen schmalen Uferwcg entlang, einen Ufer*
weg, auf dem Ninnies Füße kaum mehr wciterkonntcn,
und blieb endlich stehen und zeigte mit seiner schönen
Hand überglücklich aus die brennrote Wand, die
ganz nahe vor ihm stand und in den See hinaus*
lachte, und sagte:

„Die Villa Dorata I — Hier werden wir bleiben,
Ninnie,. — ist's nicht wunderschön?"

Ninnie war durch den dunkeln Flur die Treppe
hinaufgekommen, sie wußte nicht wie. Mit ganz
bleichen Wangen und zitternden Kniecn und der er-
löschenden Kraft der letzten drei Stunden. Dann hatte
sie Gaston in die Zimmer geschoben, der Reihe nach,
und niatt lächelnd und entsetzlich müde ging sie hinter
ihm her und blickte aus jedem Fenster und sah ein
jedes Ding und erkannte in ein paar Blicken Alles,
Alles; die in gelb-blauen Streifen gemalten Wände,
die alten Stuckplafonds und jeden Tisch und jeden
Stuhl und eine alte Uhr, die geräuschvoll pendelte
und einen Venczianerspiegcl, der halb blind mar, und
was über den Möbeln an Teppichen und Stoffen und
Vasen war, das war von Gaston, aber verbergen
konnte es nichts. Vor dem Fenster neben dem Balkon
saß sie eine lange Zeit versunken und leblos und
schaute ins Wasser hinaus, über dem der Himmel
des Sonnenunterganges blendete, und wollte eine
einzige Minute lang nachsinnen und konnte es nicht.
Ein Gefühl verständnislosen Umherirrens saß betäu*
bend in ihr, und wenn Gaston ihr nahekam und
fast schon fragen wollte, was sie denn habe, sah sie
Laszlo, ihren schönen, jungen Laszlo, der vor langer,
langer Zeit sie hieher geführt hatte für elf heiße,
brennende Tage. Und ihre Hochzeit und alles war
nicht mehr wahr und war eine Täuschung, — denn
sonst hätte er jetzt nicht koninicn können, der Laszlo,
bei der Türe herein, daß sic ihn sah, blond und mit
dem lachenden Munde und mit dem Sieg über sie in
den braunen Augen, — und sonst hätte sie jetzt nicht
wissen können, daß sie ihn nie vergessen hatte, nie.
Von diesen Tagen und Nächten in der Villa Dorata

?>atte sie gelebt, und sie hatte sich's eingeredct, daß
ie Gaston liebe, und sie hatte geglaubt, er werde die
Erinnerung und die Sehnsucht auslöschen können, —
und nun war Alles nicht wahr!

Laszlo stand da und er hielt den Arm um sie
und er beugte sich nieder und küßte sie. Küßte sie
lang und schwer und führte sie, gebeugt fast vom
Glück, das sie hungernd so lang gesucht hatte, in den
Abend hinaus. Und wenn sie kamen, — der Mond
schien und alle Fenster standen offen und im Plafond
des Schlafzimmers befehlen der Glanz des ruhenden
Sees die orei Amoretten, die um ein goldenes Band
sich schwangen, auf dem stand zu lesen: viva l’amore.
Stand noch zu lesen: viva l'amore?

Da ging Ninnie wieder von einem Zimmer in
das andere, denn Gaston redete unten im Flur, wo
die Madonna in einer Nische hing, mit Irgendjemand,
und entdeckte in diesem zweiten Gange noch immer
viel mehr, immer viel mehr, — und zuletzt auch das:
viva l'amore.

Und sah jede Szene, jede kleine, von der Stunde
des Morgens, da Laszlo sic verschwiegen als seine
Frau in das Haus hcreingelogen und sie der alten
Hausbesorgerin — Dctta hieß sie, ja, Detta hieß sic,
richtig, Detta hieß siel — mit dem lachenden Worte
vorgcstcllt hatte: „mia sposa, mia sposa, mia sposina
aäorata« —, jede Szene, jede, jede bis zu jener Nacht,
in der sic, heiß von der Schönheit des Sichverschcnkcn-
müssens, ihm Alles gab, was sie hatte, Alles, was er
wollte, und wirbelig von der Angst, ihn jemals wieder
zu verlieren, sagte: „Geh' nicht mehr von mir, Laszlo,
— tu', was du willst mit mir, aber gehe nicht mehr!"
und bis zu jenem Regentag, da sie bleich und müde,
müd von Liebe, bleich vom Abschied mit ihm die
weiße Straße nach Nago wieder hinauf gestiegen
war und mit heißen Augen die Villa Dorata noch
grüßte, denn nun ging es ja zurück in den Winter,
— Alles, Alles, sah sie. Und weil sie Gaston unten
reden hörte, noch immer, haßte sie plötzlich seine
Stimme und stellte sich vor, wie er ausjah — häßlich
war er; alt war er und grau war er und welk und

Da5 Stadtfräulein

)

Reinh.-Max Eichler (München)
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