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Nr. 41

JUGEND

1909

sie konnte nimmermehr, nein, nimmer ihm ge-
hören, — und ehe sie unter dem viva l’amore
ihm gehörte, wollte sie, wollte sie —

Da lief sie der Treppe entgegen. Sie war
verfolgt, denn hinter ihr stand Laszlo mit seiner
tollen, großen Liebe, mit der brennenden Glut
seiner Liebe und wollte sie halten, und unten,

— unten stand Gaston, der nicht wußte, und
wenn er wüßte, vielleicht —I Was würde er
tun, wenn er wüßte? Würde er sagen: „Du,
gehe!?" oder würde er sie halten und küssen
und unter das viva l’amore ziehen und ihr
sagen: „Du bist meine Frau?" Und — oder
würde er? —

Und sie? Was sollte denn sie? Ihm sagen,
daß sie — nein, nein, das nicht, das niemals,

— oder ihn bitten, er solle sie fortführen, weil
sie nicht bleiben konnte, oder — ja, warum
konnte sie nicht bleiben? Sollte sie fliehen,
sollte sie doch noch eine Nacht — ?

Nein, nein, keine Nacht mehr, keine einzige!

Keine einzige Nacht! —

Sie ging die Treppe hinab. Ganz langsam,
vier Stufen. Und auf einmal der Gedanke:
wenn die Detta noch da wäre! Da stockte sie
still. Wenn die Detta noch da wäre!

Sie hörte ihr Herz klopfen und konnte nicht
vor und nicht zurück und sah, wie ihr Fuß fest-
gebannt war auf der grauen Stufe und mußte
doch lauschen. Sie lauschte ganz Ohr und
rührte sich nicht, und — war das eine Männer-
stimme? War das eine Frauenstimme? War
das — ? Das war der Diener, der am Tore
gestanden hatte, als sie hereingekommen war.
Das war er, er hatte eine scharfe, starke Stimme.
„Herr Baron," sagte er, „und wegen des
Bootes?"

Wegen des Bootes? — Wegen des Bootes?

„Da ist der alte Filippi," antwortete Gaston,
„der alte Filippi, drüben am Hafen. In der
Osteria ist er zu finden. Nur meinen Namen,
dann kommt er gleich. Er soll um acht Uhr
anlegen."

Filippi? Der alte Filippi? Der alte Filippi?

Ninnie tat einen Tritt zurück.

Der würde kommen, der alte Filippi und

— sie erkennen! Heute schon, um acht Uhr,
in einer Stunde!

Sie tastete sich an den Geländern entlang,
leise, leise.

„E per la cena, Signor?“

„Ci faccia il risotto, Detta!“

Gaston l Gaston redete so!

Gaston sprach mit der Detta! Die war da'.
Die war noch dal Auch die wird — Heiliger
Gott, der alte Filippi und die Detta, heute
noch, heute noch in einer Stunde, werden sie
kommen und sie erkennen, und — vielleicht
schweigen, — vielleicht reden, reden, reden von
der spos’adorata, von ihm, von ihr, von —

Ninnie sprang. Sie sprang die drei Treppen
zurück und hatte einen schnellen, hellen Ge-
danken, während sie sprang, einen Gedanken,
der wie ein pfeifender Schuß in ihr steckte und
trieb, und lief in das erste Zimmer. In das
Zimmer, wo der Tisch gedeckt war und rannte
den Tisch fast um und stolperte an der Schwelle
zum zweiten und flog unter dem viva l’amore
wie eine Gehetzte in das Gemach gegen Süden.
Die Terrassentüre stand offen und doch schlug
sie an das klirrende Glas und glaubte sich schon
erraten und gefaßt und atmete eine Sekunde
lang auf, vor sie vom flachen Dache hinab in
den Garten sprang.

Sie stand schnell auf, unten, und raffte die
Röcke und vernahm eine zuckende Stimme in
der Brust, die bat, sie solle sie hören; aber sie
hörte nicht, sie hörte sie nicht und lies durch
den engen Garten, an drei Cypressen vorbei
und dann hinaus an das Ufer. Immer dem
Bergsaum entlang, damit sie vom Dorf Keiner

sehe, immer mit fliegendem Atem, mit brennen-
den Füßen. Immer weiter, immer schneller,
immer wahnsinniger, um die Nase des Hanges,
der in den See stürzt, über die vorletzte Dünung,
über die letzte Dünung, und noch einmal weiter
— und dann mitten hinein in den See.

* * *

Neun Tage lang suchen sie. Neun Tage
lang. Alle Boote sind draußen, ein Taucher
ist da, neun Tage lang suchen sie. Und finden
sie nicht. —

Im „Cavalletto“ am Hafen, hinter seinem
Weine, sitzt der alte Filippi mit seinen drei
Buben. Bei Nachtwerden kamen sie vom See.
Sie reden nichts. Der alte Filippi preßt und
knetet und dreht seine schwarze Toscana und
ritzt das zwölfte Streichholz zuschanden. Die
Toskana ist naß und der alte Filippi zieht und
zieht und sie brennt nicht.

Dann brennt sie, und der alte Filippi raucht
und schaut, halb zufrieden und halb ungläubig
auf die brave Toskana.

Dann stößt ein Fischer hart zur Tür herein,
schmutzig und triefend.

„Niente,“ sagt er und wirft sich auf die
Bank. —

„Eli,“ — der alte Filippi, „eh,“ und zieht
und zieht, — „eh, l’ä na vita, che no’l rimanda
mai piü.“*)

*) Ein Menschenleben lang sag' ich's ja, daß er
(der See) nichts mehr zurückgibt.

Die Herrenmode

Für elf hatten sich die beiden Gärbers an-
gesagt. Ich sah sie auch schon über die Straße
kommen — beide höchst elegant, im Frack.

„Paxa, Papa," schreit mein Kleiner draußen,
„zwei Oberkellner sind da in Uniform."

Roda Roda

Ein glänzender Taktiker

„VTu bin ick denn jlücklich im Iroßen
Jeneralstab."

Mußt wohl eklig jebüffelt haben?"

„Vtccl Habe mich vor jeder Prüfung mit
der Tochter eines Kommandeurs verlobtI"

(Zeichnung von A. Schmidhammer)

Wolkenfchatten

In das dichte Laub am Hage
Drängte sich ein roter Ton.
Wolkenschatten fallen schon
Ueber unsre frohen Tage.

Ueber unsre frohen Tage
Kam der Herbst in einer Nacht,
Und wir stehen jäh erwacht,

Auf den Lippen brennt die Frage,

Brennt die eine wehe Frage:

Ob die Hand das Glück noch hält?
Oder ob es uns entfällt,

Ueberreif, mit dumpfem Schlage?

Ueberrei'f, mit dumpfem Schlage
Fallen Früchte um uns her,

Und wir starren ahnungsschwer
In das dichte Laub am Hage.

Paul Mochmann

Rinclermuncl

Viktoria und Else waren zum ersten Mal in
die Kirche mitgenommen worden und benahmen
sich beide anfangs auch mustergiltig ruhig und
artig.

Als jedoch die Predigt bereits eine halbe Stunde
Zeit in Anspruch genommen hatte, flüsterte die
sechsjährige Viktoria ziemlich hörbar: „Mamik
Mami! wird's denn dem schwarzen Onkel dort
oben nicht bald selber langweilig?" — Kaum
war der kleine Störenfried zur Ruhe gebracht
und der Gottesdienst beinahe zu Ende, als klein
Elschen den Kirchendiener mit dem Klingel-
beutel nahen sah. Ganz aufgeregt erhob sich
die Kleine und rief mit ihrem schrillen Stimmchen:
„Mutti, mach rasch! Laß mich auf Deinen Schoß
sitzen, sonst kost' ich noch 'nen Groschen extra!"

Liebe Jugend!

von dem Rechte, wegen Gefährdung der Sitt-
lichkeit die Oeffentlichkeit auszuschließen (§ \75
des Gerichtsverfassungsgesetzes), pflegen die Amts-
richter der Stadt 36. gewöhnlich keinen Gebrauch
zu machen, sobald im verhandlungszimmer nur
Sachwalter anwesend sind, die ja doch nur auf
den Aufruf ihrer später zur Erledigung kom-
menden Sache harren und dem, was sie nicht
angeht, kaum Beachtung schenken, selbst wenn es
sich um die Intimitäten der alljährlich wieder-
kehrenden Alimentations- oder ähnlicher Prozesse
handeln sollte.

Eine Ausnahme von der Gepflogenheit macht
einzig und allein der Amtsrichter p. Nachdem
dieser gerade wieder einmal feierlich den Aus-
schluß der Oeffentlichkeit verkündet hat, bleibt im
Hintergründe des Verhandlungszimmers ein ehr-
würdiger Justizrat, ein in Amt und würden er-
grauter Rechtsanwalt, sitzen, der, in feine Akten
vertieft, den die Oeffentlichkeit bannenden Beschluß
des Richters überhört hat. Erschrocken fährt er
auf und entfernt sich schleunig, als ihn der Amts-
richter brüsk auffordert, das Zimmer zu verlassen.
Erst draußen erfährt der Justizrat den Grund
und bemerkt zugleich, daß er seinen Krückstock
hat drinnen stehen lassen. Da klopft er bescheiden
an die Tür, tritt nochmals ein und sagt mit
liebenswürdigem Lächeln: „verzeihen Herr Amts-
richter, ich hatte überhört, daß wegen Gefährdung
der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen ist,
da möchte ich denn doch auch meinen Stock mit
hinausnehmen."

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[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
[nicht signierter Beitrag]: Kindermund
Arpad Schmidhammer: Ein glänzender Taktiker
Paul Mochmann: Wolkenschatten
Roda Roda: Herrenmode
 
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