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Der augenkrantte Zar

Der Dreibundarzt: „Cr Kann leider noch immer
Keinen Österreicher leben!"

Der ^errer-Rummel

Unter dieser Spitzmarke begegnen wir heftigen
Ausfällen gegen die internationalen Protest-
kundgebungen, welche sich mit dem an Francisco
Ferrer begangenen Justizmord beschäftigen. Das
Komische an diesen Ausfällen ist, daß sie gerade
von jenen Kreisen ausgehen, welche von der
international en Interessengemeinschaft des
Ultramontanismus überzeugt sind und das An-
sehen der römischen Kirche über das An-
sehen jedes Einzelstaates stellen. Wie können
diese Kreise so töricht und eingebildet sein, von
ihren Gegnern — den Idealisten der Gedanken-
freiheit — den Verzicht auf die Internatio-
nalität zu erwarten, die sie selber doch so nötig
zu haben scheinen?

Mit solchen Eseleien und dummdreisten
Kniffen sollten doch endlich die gebildeten Völ-
ker des Erdkreises sich gegenseitig verschonen.
„Diesen Kuß der ganzen Welt" sagt der
große Friedrich; die einzig wahre Nutzanwen-
dung auf den internationalen Sieg unserer
Ideen wollen wir uns nicht verkümmern lassen.
Was die Feinde der Aufklärung und des
Fortschrittes sich selber zubilligen, darauf wer-
den wir, deren christliche Nächstenliebe keine
geringere ist, doch nicht aus Ehrfurcht vor dem
Rückschritt verzichten!

Darum werden wir unentwegt gegen jeden
Justizmord, gegen jede Niedertracht und
Schweinerei protestieren, einerlei ob sie in einem
deutschen oder ausländischen Sumpfwinkel be-
gangen wurden, ohne lächerliche Rücksichten
auf die Hühneraugen empfindlicher Diplomaten
und Episkopaten, und einerlei, ob es sich um
unser Volkstum oder um die Bedrückung an-
derer Völker handelt.

Ja, — gerecht, wie wir nun einmal sind, —
zürnen wir selbst unseren Feinden nicht, wenn
sie zu kräftigen Gegenprotesten den Mund recht
voll nehmen. Auch das hat sein Gutes. Aus
der Wut über den „Ferrer-Rummel" haben wir
gelernt, daß der Geist der Inquisition mit nichten
ausgestorben ist und daß ebenso wie in Spanien
auch in anderen Gnadenländern es an bereit-
willigen „Heizern" nicht fehlen würde, wenn
uns ein neues Zeitalter der Ketzerverbrennung
erblühen sollte.

Hätten die ersten religiösen Justizmorde im
13. und 16. Jahrhundert auch nur entfernt so
starke Protestbewegungen, wie die heutige, zur
Folge gehabt, dann wären der Menschheit die
schlimmsten Greuel und der römischen Kirche
die schmerzlichsten Abfälle erspart geblieben.

So wird das Protestrecht zur Pflicht —
der Selbsterhaltung. Unsere Gegner begreifen
das nicht, weil sie durch die Brille ihrer
Nächstenliebe das Recht der Ketzer, verbrannt
zu werden, als ein Gnadenmittel des Seelen-
heils ansehen und mithin als eine Wohltat und
Pflicht auch für die Ketzer erachten. Notabene
nur, wenn sie uns, und zwar lebendig,
verbrennen dürfen; denn sonst sind ihnen die
Krematorien verhaßt. Georg Hirth

vä5 ratlose örüchenlana

ln örietbenland weiß auyenblitKlitb niemand mebr,
mas er eigentlich will. Die allgemeine Verwirrung bat
nicht nur die Menschen» sondern auch die Götter ergriffen.
Der beste Beweis siir diese traurige Tatsache ist die seltsame
Veränderung» die mit der „Göttin der Vernunft"
aus der RKropolis vorgegangen iff.

Aktuelle Epigramme

Madame Steinheil
Sie hat mit ihrem tollen Redeschaum
In Schatten jeden Rechtsanwalt gesetzt.

Daß sie den Gatten totschlug, glaub' ich kaum,
Sie hat ihn eher totgeschwätzt!

Looks Schwur

Look schwor, daß er am Nordpol war.

Schwor er bei Gott? Bei der Heiligen Schar?
O nein, noch höher schwor der Nordpoljäger:
Er schwor bei seinem Buchverleger.

An Herrn Walter vom Rath

Was Du verkündest von England zur See,

Ist zu töricht, es ernst zu erörtern.

Man sollt'Dich vom „Legationsrat a. D."
Zum „Legendenrate" befördern.

Die Münchner Protestversammlungen
Sie schrieen heftig, sie schrieen schrill,

Die ultramontanen Stützen:

„Komm' uns zu Hilfe, Staat! Man will
Dich frevelnd vor uns beschützen!"

Kartellen

*

„Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen
usw., verordnen, mit Zustimmung der beiden Häuser oes
Landtags der Monarchie, was folgt: § 1. Wenn und so-
weit in einer zu einem Landkreise gehörigen Gemeinde die
Anzahl der zum Decken gehaltenen Ziegenböcke ungenügend
ist,, hat die Gemeinde die Verpflichtung, eine dem Be-
dürfnis entsprechende Anzahl von Ziegenböcken anzuschaffen
und zu unterhalten. Darüber, ob für die Gemeinden die
Notwendigkeit zur Haltung von Ziegenböcken vorliegt, so-
wie darüber, ov die Anzahl der vorhandenen Ziegenböcke
als ungenügend anznsehen ist. und wieviel Böcke im Ver-
hältnis zu der Zahl von Ziegen von der Gemeinde zu halten
sind, beschließt der Kreisausschnß mit der Maßgabe, daß
Gemeinden, in denen weniger als 30 deckfähige Ziegen vor-
handen sind, zur Haltung eines Ziegenbocks nicht genötigt
werden können, und daß in der Regel für je 80 deck-
fähige Ziegen ein Bock gehalten werden muß.
Gegen den Beschluß des Kreisausschusses findet die Be-
schwerde an den Provinzialrat statt usw."

Ein Nörgler F• Heubner

„Achtzig Ziegen zu einem Bock — das
soll mir erst einmal der Herr Landrat vor-
machen!"

ÄU8 üer lpiritiftMen öenerawerfammiung
üer vomvattm - Aktionäre

(Idylle aus Potschappel)

Der rnediurniftifche DireKtor: „Meine Herren!
Der Seift Napoleons des ersten ift für den fall» daß
Sie auf Ihre diesjährige Dividende verzichten und eine
Lrhöbung des veniebsKapitals bewilligen, geneigt, mir
die chemische Zufammenfetzung eines unfehlbaren Rnti*
Schnupfen-Mittels mitzuteilen, das er aufderRüdu
reife von Rußland erprobt bat!“

n

Der „XXresö etter Anzeiger" hatte die
scherzhafte Frage aufgeworfen: „Ist der Po-
lizeihund ein königlicher Beamter?"
Der Verein säch si scher Nicht er und Staats-
anwälte hielt es für notwendig, öffentlich „gegen
diese unpassende Vergleichung eines Polizeihundes
mit einenr königlichen Beamten Verwahrung
einzulegen."

Man kann das diesem Verein nicht übel
nehmen, welche Konsequenzen könnte es haben,
wenn der Polizeihund als königlicher Beamter
anerkannt würde I Die übrigen Beamten könnten
sagen: „was dem vierbeinigen Beamten recht
ist, muß dem zweibeinigen Beamten billig
sein." Und das würde zu bedenklichen Vorkomm-
nissen führen, wenn man den musikalischen Sinn
des Fundes bedenkt; von seinem Liebesleben ganz
zu schweigen. Und welche sprachliche Verwirrung
könnte entstehen! Statt „Hundsfott" würden
schlechte Menschen fortan sagen: „Königlicher

Beamtenfott", die Naturforscher würden den „ge-
meinen L)undswnrger" womöglich „gemeiner Kö-
niglicher Beamtenwürger" nennen, das Sprich-
wort würde neu aufleben: „Je magerer der
Königliche Beamte, desto größer die Flöhe", im
„Faust" würde man hören: „Dem Königlichen
Beamten, wenn er gut gezogen, wird selbst ein
weiser Mann gewogen", und an allen Straßen-
ecken würde man das Lied hören: „wenn der
Königliche Beamte mit der Wurst über'n Rinn-
stein springt. . Helios

*

Das Unglaubliche ist geschehen: Die beiden
tschechischen Minister vr. Braf und vr.Zaczek
haben ihre Entlassung gegeben. Der Kaiser
von Oesterreich hat die von den Landtagen
Niederöfterreichs, Oberösterreichs, Salzburgs und
Vorarlbergs beschlossenen Sprachengesetze sank-
tioniert. Und dennoch hat kein Erdbeben den
österreichischen Thron umgcstürzt, und auch Wien
steht unbegreiflicher Weise noch immer. Ver-
tiertes, vernommenes Volk, das ohne tschechische
Minister existieren kann! — Aber die Tschechen
setzen den Kampf gegen die deutsche Sprache
fort. Sie werden nicht eher ruhen, als bis sie
wenigstens die folgende bescheidene Forde-
rung durchgesctzt haben: Jeder Mensch muß
tschechisch sprechen. Deshalb werden alle Kinder
zwangsweise im tschechischen unterrichtet. Der
Unterricht beginnt neun Monate vor der Ge-
burt des Kindes. Der Schrei, mit dem das
Kind die Welt begrüßt, ist in tschechischer
Sprache auszustoßen. Reichen die tschechischen
Sprach Kenntnisse des Kindes hierzu noch nicht
aus, so wird es auf mindestens drei Monate
zurückversetzt und darf die Geburt erst nach
Ablauf dieser Frist wiederholen. Frido

*

Der Biscbof Ritanor von Risch in Serbien teilt
seinen Amt?brüdern mit, daß Gott ihn in einem
Traume aufgefordert habe, das Thronfolgerecht des
verflossenen serbischen Kronprinzen wiederherzustellen.
— Vielleicht teilt der liebe Gott deut serbischen Popen
auch noch int Traume mit, daß er beschlossen habe,
den Exkronprinzen als St. Georg II. unter die
Schar seiner Heiligen aufzunehmen!.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Der Bischof Nikanor von Nisch
[nicht signierter Beitrag]: "Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden..."
Helios: Der Dresdner Anzeiger
Monogrammist Frosch: Aus der spiritistischen Generalversammlung der Bombastus-Aktionäre
Georg Hirth: Der Ferrer-Rummel
Monogrammist Frosch: Der augenkranke Zar
Friedrich (Fritz) Heubner: Ein Nörgler
Monogrammist Frosch: Das ratlose Griechenland
Karlchen: Atuelle Epigramme
Frido: Das Unglaubliche ist geschehen
 
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