Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
fetal. Walther folgte. Port waren nur wenige
Menschen. Mehrere Male ging er an ihr vorbei,
verzögerte den Schritt, aber stets wurde er in
seinem Entschluß zurückgerissen, er wußte selber
nicht wodurch. Pas Glockenzeichen erscholl, lang-
sam wandte sie sich zum Eingang zurück.

- Jetzt nannte sich Walther einen Esel, und
dann sprach er für sich: „Tritt sie auch in der
zweiten pause wieder in den Porsaal, so nehme
ich das als das Zeichen eines guten Geistes, und
dann rede ich."

Es geschah. Fast mit Beklemmung sah Walther,
wie sie wieder hinaustrat. Nun mußte gehandelt
werden. — wenn sie ihm nun aber nach seinen
ersten Worten den Rücken drehte und ihn stehen
ließ? Pas durfte nicht geschehen.

Ein kurzer plan der Einleitung schoß durch
seinen Kopf, der eine Abfertigung ohne alles
weitere unmöglich machen sollte. Eine Zeitlang
wenigstens mußte sie ihn hören. — Langsam trat
er auf sie zu, und es schwindelte ihn leise.
Sie hatte ihn wohl längst bemerkt; als er jetzt
wieder an ihr vorbeizuschreiten schien, blickte sie
ihn an, wie er aber nun vor ihr innehielt und
den Mund zum Sprechen öffnete, trat in ihre
Augen ein überraschter Ausdruck.

„verzeihen 5ie," sagte Walther mit halblauter
Stimme, „daß ich zu Ihnen spreche, ohne Sie zu
kennen; ich habe eine große Bitte an Sie, die
Sie, wenn Sie wollen, leicht erfüllen können."

Er schwieg. Ihre Augen blickten noch über-
raschter, aber doch mit innerer Festigkeit auf ihn.

„Ja," fuhr er fort, „und Sie werden vielleicht
verwundert sein, obgleich es im Grunde einfach
ist: Ich habe den großen Wunsch, Ihnen ein Buch
zu geben, das ich einmal geschrieben habe, und
an dem Sie Teil Haber:, ohne es zu wissen."

Er erwartete eine Antwort, aber ihre Augen
blickten nach wie vor fragend, aber jetzt ein wenig
erwartungsvoll, auf ihn hin.

Pie größte Schwierigkeit war überwunden.
Und nun erzählte Walther alles, von jenem ersten
Abend an, von all den Gefühlen und Gedanken,
die ihn durchzogen hatten. Er sprach mit Wärme,
und doch war ihm innerlich traurig zu Mute, er
wußte nicht warum. — Sie hörte ernsthaft zu
und schien in ihrer Erinnerung zu suchen.

„(D strengen Sie Ihr Gedächtnis nicht an,"
sagte Walther, „wahrscheinlich haben Sie mich
überhaupt nicht mit Bewußtsein gesehnl"

„Pas ist möglich!" antwortete sie und errötete
etwas. Er hörte zum ersten Mal den Klang
ihrer Stimme, und war überrascht durch ihren
Wohllaut.-

„Ich hatte den platz neben Ihnen!" fuhr
er fort, da seine männliche Eitelkeit es doch nicht
dulden wollte, so gänzlich als Null übersehen
worden zu sein. — Sie schien wieder nachzudenken.

„Nein", sagte sie dann, indem sie den Blick
voll auf ihn richtete, „ich erinnere mich wirklich
nicht."

„Piese Verleugnung geht etwas weit!" dachte
Walther, aber er freute sich zugleich über ihre::
Mädchenstolz.

„Und in welchein Konzerte war dies?" fragte sie.

„Pamals an dem Trioabend! Ich habe das
Programm noch in der Tasche."

Er reichte es ihr, sie warf einen Blick darauf
und sagte dann: „Ich war ja garnicht in diesem
Konzerte l"

Walther hielt die Augen fest auf sie gerichtet.
Trieb sie die Verstellung bis zur tatsächlichen
Unwahrheit? — Sie hielt diesen Blick lächelnd
aus, in ihren Mundwinkeln zuckte es leise.

„weshalb leugnen Sie?"

„Ich leugne garnicht, ich sage nur die Wahrheit!"

Walther wurde immer verwirrter, dann stieg
eine fürchterliche Ahnung in ihm auf.

„Sie sind doch —" begann er, stockte aber
sogleich und starrte nur auf ihr Gesicht.

Jetzt brach ihre niedergehaltene Heiterkeit in
ein fröhliches Lachen aus und sie sagte: „Sie
verwechseln mich mit jemand anders; ich ahne
sogar mit wem!" Und sie nannte den Namen.

„Jawohl, natürlich, und die sind Sie doch!"

„Nein, die bin ich nicht, wirklich, ganz wahr-
haftig nicht! > Aber ich kenne sie zufällig."

Walther schwieg mit offenen Lippen, dann
sagte er langsam und ganz wie zu sich selbst,

A. Schmidhammer

Lautcnlizd

LeisE schlich ich her,
RIlErschönstE Fraue,

Leise kommE du,

TiEistEr Kacht uErfrauE!

Mittnacht schlug die Uhr,
IhrE Blocken sangen:

Eurer Liebe StEFn
HeII ist aufgEgangsn.

lUsckt dEF MorgEn uns
Mit den bleichen Bänden
Rasen wird dEF Traum
UEbEF uns verschwenden.

Robert Rothe

indem er tiefen Atem Holte: „Acb — du — aroßer
— Gott!"

Sie ließ die Augen vergnügt auf seinem Ge-
sichte ruhen. — Ein neuer Schreck durchfuhr ihn:
„Nun werden Sie ihr natürlich alles wieder-
erzählen, und dann bin ich zum zweiten Mal
blamiert, erst so grenzenlos vor Ihnen, und dann
noch einmal!"

„Pas brauche ich ja nicht!" sagte sie lustig.

„Sie brauchen nicht, aber Sie werden es, auf
alle Fälle."

„wenn ich nicht will, dann brauche ich auch
nicht'"

„Und Sie wollen nicht?"

„Nein, ich will nicht!"

„Bestimmt nicht?"

„Ganz bestimmt nicht!"

Sie sah ihm fest, fast kameradschaftlich in die
Augen. — Es folgte ein kleines Schweigen.
Eigentlich hatten sie sich nun nichts mehr zu sagen.

„Und wann darf ich Ihnen das Buch geben?"
fragte dann Walther.

„Pas Buch? Pas habe ich doch garnicht
verdient!"

„Aber natürlich bekommen Sie es!" rief er
lebhaft, „wenn Sie es annehmen wollen!" Und
er sah sie voll Wärme an. „wann darf ich es
Ihnen geben?"

Sie dachte ganz kurz nach: „Bringen Sie es
mir heut über acht Tage ins Konzert, hierher,
am nächsten Kammermusikabend."

Pas Glockenzeichen erscholl. b)alb unschlüssig
streckte er die Band aus und sagte: „Ich danke
Ihnen."

Sie nahm sie unbefangen und antwortete:
„Auf Wiedersehen."

Es dauerte eine Zeitlang, bis Walther seine
durcheinandergewirrten Empfindungen wieder in
einige Ordnung brachte, bis ihm klar wurde, was
er nun eigentlich überhaupt empfand. Seinem
Gefühl für das ursprüngliche, echte Mädchen war
mit einem Male alle Spannung, alle Erwartung
genommen, wie er selbst mit Ueberraschung merkte,
vätte es nicht ebensogut auch umgekehrt sein
können? Lag der Grund darin, daß nun alles
was ihm auf dem Kerzen lag, ausgesprochen war ?
Aber richtete er nicht seine Worte an eine andere,
an eine Falsche, die mit ihnen nichts verband?
vielleicht verband sie doch etwas mit ihnen. —
Sollte er jetzt eine zweite persönliche Begegnung
— diesmal mit der Echten — einleiten? Es
drängte ihn nicht mehr dazu, auch wehrte sich
sein Geschmack dagegen. Aber Eines stand klar
und fest in seiner Seele: Jetzt mußte jenes Buch
auch in die Bände derjenigen gelangen, für die
es von Anfang an bestimmt war. Paß er nicht
wirklich zu ihr sprach, war nebensächlich. §5
war so gut wie geschehen, wo blieb alle Natür-
lichkeit des Gefühles, wenn er jetzt etwa zurück-
schrecken wollte vor kleinlichen, gesellschaftlichen
Bedenken, die ihm fast beleidigend erschienen?

Er schrieb ihr einen langen Brief, erzählte
alles bis ins Einzelne, was sich begeben hatte,
und schloß: „Ich hoffe, daß Sie ebenso freundlich
gesprochen hätten wie jene Pame, und daß Sie
mein Geschenk nicht zurückweisen, das Ihnen von
dem Augenblicke an gehörte, wo die, die Sie
vertrat, es annahm."

Am nächsten Tag erhielt er sein Buch zurück,
mit einem Brief. Er war knapp, kurz und ge-
sellschaftlich, und sagte zur Hauptsache, daß die
Schreiberin keine Veranlassung sähe, etwas auf
sich zu beziehen, was eine andere Pame gesagt
hätte. Sie nähme keine Geschenke von fremden
Menschen an und bäte ihn, jede weitere An-
näherung zu unterlassen.

Pieser Brief wirkte auf Walther zunächst wie
ein Sturz kalten Wassers. Eine solche Sprache
war er sich auch nicht entfernt vermutend. Und
dann stürzte sein dunkles Traumbild zusainmen,
lautlos und vollständig. — „was bleibt nun
übrig?" dachte er. Er versank in langes Nach-
denken, und endlich sagte er: „was sehen meine
Augen eigentlich? Sehen sie denn anders als
die Augen anderer Menschen? Ich bin nun schon
so alt, und verwechsele doch noch immer alles!
Es wird bald Zeit sein, daß ich nichts mehr
verwechsele!"

Aber er sollte doch noch einmal etwas straucheln,
ehe er sich aus den letzten Fäden dieser Verwicke-
lung endgültig herausfand.

Es war am Abend, an dem er sein Buch
überreichen wollte. Er stand unten im Vestibül
des Konzertsaales. — „Ob sie wohl schon da ist?"
dachte er und ließ seine Augen herumgchen. Pa
sah er sie auch schon; in Begleitung derselben
Pame, neben der er sie auch am Abend jener
Aussprache anfänglich gesehen hatte. Oder wie
war das? Sah er diese Pame nicht auch am
allerersten Abend mit der Eigentlichen, Ursprüng-
lichen zusammen? Er tat schon einige Schritte,
stockte aber mitten in der Bewegung, drehte plötz-
lich um und ging schnell mit einer halben Wen-
dung zur Treppe hin, indem er murmelte: „Um
Gotteswillen, was hätte ich da beinahe gemacht!
Pas war ja die mit dem Brief!" — Er merkte,
daß sie hinter ihm die Treppe heraufschritt. Aber
am Eingang mußte er warten, da es ein kleines
Gedränge gab. Es war ihm peinlich, ihr jo dicht
zu begegnen, er streifte flüchtig ihr Gesicht, da
nickte sie ihm zu und sagte halblaut und freund-
lich: „Baben Sie wirklich daran gedacht?"

Einen Moment schwieg Walther, dann faßte
er sich und sagte lächelnd: „Natürlich! Ja!"
und dachte: Ich glaube, ich bin blödsinnig.

Sie schritt zur Tür hinein, wendete sich zurück
und schien ihm noch etwas sagen zu wollen. Aber
der Türsteher ließ ihn nicht hindurch und sagte:
er müsse eine Treppe höher hinauf, er habe eine
Galeriekarte. „Aber ich habe doch eine Saab
karte verlangt, ich weiß ganz genau, daß ich
eine Saalkarte verlangt habe!" Es half ihm
nichts; er mußte wieder hinablaufen, um sein
Billet umzntauschen. Pas Vestibül war bereits
leer, man schloß die Flügeltüreil, die in's Freie
Register
Robert Kothe: Lautenlied
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Text "Lautenlied"
 
Annotationen