Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gaudeamus igitur!

O wie klingt mir dieser Walzer,

O wie sonnenhell ins Ohr!

Und die kleinen Mädchen tanzen
Durch den grünen Frühlingsflor.

Eine Schwarze, eine Blonde,

Und es ist ein lieblich Spiel,

Wie sie zierlich ihre Beinchen
Schwingen nach dem neu'sten Stil.

Von den Tischen heit'res Lachen,

Alles schaut belustigt um,

Doch sie kümmern sich den Kuckuck
Um das „große" Publikum.

O wie weich klingt dieser Walzer,

O wie sonnenhell ins Ohr,

Und es tanzt in meiner Seele,

Die an Sonne nichts verlor.

Holder Leichtsinn ist die Losung,

Und von drüben ein Student
Bringt mir grüßend einen „Ganzen" —
„Aus Verehrung!" Sapperment!

Froh verständnisvolle Blicke:

„Ja, ich fühle ganz wie du,

Und ich trinke dir die Freude
Meines jungen Herzens zu."

O wie klingt mir dieser Walzer,

O wie sonnenhell ins Ohr!

Und die grünen Wimpel wehen,

Und der Weise wird zum Tor.

Rarl Henckell

Die Gasanstalt

von Johannes Schlaf

Lin frischer, heller Sonnenwind lockte mich
zu einem Frühlingsgang ins Freie.

Ich schlendre durch die Straßen; mein Ziel
das freie Gelände da draußen. Unsere kleine
Residenzstadt feierte ihren Sonutagnachmittag.
Still und sonnig dehnen sich die lichtgrauen Fahr-
dämme. Auf den Bürgersteigen schreiten in ihren
Sonntagskleidern die kleinen Leute, ihres Rast-
tages froh. von fernher kommt das Rollen der
elektrischen Straßenbahn, der Lärm eines Bier-
gartenkonzertes. Auf den Däusern, auf den weiß
und rosafarbenen Blütenwolken und den bunten
Beeten der Gärten träumt die stille Sonntags-
sonne, die Stadtsonne.

Aber ich sehne mich nach der freien Sonne
weit draußen in der Einsamkeit des Geländes.
So hell ist sie und warm, daß ihr Licht da draußen
in der freien Einsamkeit heute weiß sein muß.
Und ich sehne mich nach dem einsamen lichten
Sonnenwind über den weiten wiesen und den
junggrünen Feldern, der unter dem blauen Fir-
mament mit seinen hohen, weißgestreckten Wolken-
dünsten den Aether flirren macht.

Und jetzt schreit' ich durch die Vorstadt, wo
malerisch schmutzige kleine Däuser mit sonntäg-
lich belebten Gartenkolonien wechseln und kleinen
Feldstrecken. Die Wege sind schlecht, uneben und
weißgrau von dickem Staub. Rinder schreien
und spielen zwischen Hühnern, Spatzen und Kun-
den; über ihnen in der blauen Luft jauchzen die
Schwalben ihre fein schrillen Schreie und ziehen
ihre geschmeidigen Rreise. In den kleinen Fen-
stern stehen brennend rote Geranien. Leute lehnen
in sonntäglich weißen Hemdärmeln in den Haus-

Vie schöne Nachbarin

Ferd. Staeger

türen, rauchen ihre pfeifen oder ihre Zigarre.
Junge Bursche lustwandeln und schäkern mit
ihren Mädchen.

Dann aber muß ich da erst noch am äußersten
Ende an einer Fabrik und einer Gasanstalt vor-
bei. Ein greulicher weg mit verstaubten Gras-
rändern zwischen Feldern mit duftigem jungen
Saatgrün und zwischen Staketen und Mauern
hin. Müllhaufen liegen umher und Scherben,
die in der Sonne blitzen.

Bei der Gasanstalt verweile ich, lehne mich
über das Staket und blicke hinüber zu dein großen
runden schwarzen Gasbehälter, zu den Maschinen-
gebäuden mit ihren Heizöfen und Retorten, in
denen die Gaskohle in einer Hitze von über jooo 0
glüht, und aus denen die großen Lrhaustoren das
Gas in das Bassin hinüberdrücken, dessen ge-
waltige Eisenhaube unter dem Druck der ein-
strömenden Massen sich langsam hebt. Und ich
blicke hinüber zu den hohen, rotgestrichenen, kom-
plizierten Eisengerüsten, die vor dem langen Back-
steingebäude hinlaufen, und zu den schwarzen
Rohlenbergen.

Es wird noch gearbeitet. Das ist hier ein
Betrieb, der selbst Sonntags nicht ganz feiert.

Ein riesiger schwarzer Eisenhaken zieht einen
eisernen, mit Rohle gefüllten wagen knarrend zu
dem rotgestrichenen Lisengerüst hinauf. Ich ver-
folge, wie der wagen oben ankommt, und wie
er von dem Laaken geschickt herumgeschwenkt wird,
daß er nun an dem Gerüst weiterläuft bis zu
einer Stelle, wo er umkippt und sich seines In-
haltes entledigt. Und jetzt gleitet er weiter, rings
um das große Gerüst herum, wieder zu seiner
anfänglichen Stelle zurück und knarrt hernieder
und verschwindet in einer schwarzen Grube.

Ich höre, wie da unten Schaufeln scharren,
und wie die Rohle in den wagen prasselt. Und
nach einer weile steigt der Laaken mit dem wagen
wieder herauf, und er nimmt, von neuem voll-
geladen, seinen weg.

Ich sehe zu, verfolge den Vorgang ganz genau.
Dies alles interessiert nlich. Wochen und Monate
könnte ich in solch einem Betriebe zubringen, mir
all diese Gefen, Maschinen und Apparate, diese
Arbeiten und Vorgänge ansehen und alles be-
halten. Ich würde nicht ermüden, die so wunder-
sam feine und exakte Arbeit dieser großen, schwarzen
und stahlblanken Maschinen mit dem verwickelten
und auch ästhetisch so schönen und, man muß
sagen, pathetischen Getriebe ihrer Glieder zu sehen,

und die Arbeiter zu sehen mit ihren
Gesichtern und Kleidern, und diese DünfJf"
Nohle, Maschinenöl und Gasen einmal ml!
ihnen zu atmen. mtt

Die Schutt, und Schlackenhaufen, zwis»^
denen rch hrer an dem verschwärzten Stak
stehe, zwischen Schöllkraut, kümmerlichem
Wolfsmilch, Ueffeln, Scherben und Ä
blaßlilafarbenen, blutlos dicken Blumen mit
eklen, großen, breiten Blättern, die mit schwär-
zem gasigen Staub bedeckt sind, verdrießen mich
nicht, und der dumpfe, modrige und schar
gasige Geruch, der hier herrscht, stört mich nicht
Die rußigen, verschwärzten Gebäude, fc
Elsengerüste, die Geräusche der Maschinen, da;
schwarze profil des mächtigen Gasbehälters
das sich in die blaue Luft und in den voi!
wind und Sonlie flirrenden Aether mit so
viel Pathos hineinzeichnet, nehmen mich hin
Ich verliere mich an das alles. Ich weiß
nicht, was mir die Augen weitet und leise
mir den Atem schnaufen macht; welches Stau-
nen das ist, welches Lauschen und welches
vernehmen! . . .

Die Arbeiter. — Die Vorstellung ihres
rohen und ungefügen Wesens stößt mich nicht
ab; ich fühle mich nicht zimperlich und hypo-
chondrisch diesem Wesen gegenüber. Es gefällt
mir und ich verstehe es vollkommen. Ich
weiß, daß das nicht anders sein kann, und
daß es seine Art hat, und daß es sogar
seine würde hat. Tun sie schließlich nicht
den Tag über, von früh bis spät, mit er-
gebener und völlig schicklicher und zweckmäßiger
Gelassenheit, sogar, was zu bedenken ist, mit
Gefahr und Einsetzung ihres Lebens, das ihrige
und wirken tagtäglich ihren Nutzen und wie
gar wichtige Dinge für das Gemeinwohl an
ihrem rauhell Platz?

wieviel Leben, wieviel Wirkungen, die täglich
von dieser Stätte ausgehen in das allgemeinere
Lebensgetriebe und schließlich in den Kreislauf
aller Seele und Einheit hinein I

Die Arbeiter, der Anblick düster verschwärzten
Terrailrs mit seinen nüchtern finsteren Gebäuden,
dieses mächtigen, rundell, schwarzen Bassins: all
diese Rauheit, diese Roheit ist mir das selbst-
verständlichste; ich fühle ihre große, ruhige, mürrisch
ernste Rraft; ich fühle die innerste Manneswonne
ihres Ringens und ihrer Arbeit, jene unbewußt
selbstverständliche Freude am widerstand und seiner
steten Ueberwindung, die Lebell, Leben, Leben ist!..

Ich selbst, wie ich hier stehe, ein feiernder,
müßiger Spaziergänger, der unterwegs ist,^sich
draußen auf den weiten wiesen in diesem schönen
frischcll Sonnellwind, unter diesem freien, großen,
blauen Himmel mit seinen herzhaft gereckten,
weißen Wolkengebilden ein priemelsträußchen zu
pflücken, bin völlig ruhig und schäme mich meiner
Muße nicht einen Augenblick. Denn auch sie Hut
ihren Sinn, ihren wert, ihre Wirkungen; uno
auch sie ist an ihrem Platz. Und ich weiß, daß
zu ihr dieselbe Rauheit, ja, wenn man so sagen
will, dieselbe frohe, mürrisch ernste Roheit gehört,
wie sie diesem Anblick da drüben und dielen
Arbeitern da drin eignet. Ich weiß, nur zu M
bin ich mir bewußt, daß in meiner ^eele W
unverwüstlich lebensfrohe Rauheit und Rohe:
ist, mit ihrem notwendigen Untergrund von Lei
und widerstand der dunklen Mächte, die u
frisch und rüstig halten. — Ich könnte sage '
daß selbst dieser sonntäglich müßige Spaziergat g,
auf dem ich mich befinde, Schritt für Schnt
solcher Trotz, eine solche Rauheit, Rohen
ein solches Ringen ist mit tausend sichtbaren i
unsichtbaren, beständigen, ewig notwendigen
leitern. . . Aber ich gehe und stehe, uno v
zufrieden. Mehr ist nicht zu sagen. Für t
nicht und schließlich für alles nicht... . ,,
Ja, ich weiß nicht, vielleicht habe rch, rott V
hier stehe, da Hinüberblicke über dres r vs
Staket, genau so wie vielleicht sie, dre flcy
drinnen hinter diesen finsteren Mauern ui
dieser Rohlengrube da unten abmühen, m
Augenblick dies alles schon zertrümmert r

290
Register
Ferdinand Staeger: Die schöne Nachbarin
Karl Henckell: Gaudeamus igitur!
Johannes Schlaf: Die Gasanstalt
 
Annotationen