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Dunkle Sterne

Auch sie bewegt der Sphären strenger Tanz,
Der ewige Drang, Gesetz und Not der Sterne;
Doch blühn sie dunkel in dem farbigen Kranz
Und leuchten nicht im Goldgewühl der Ferne.

Und ungeschaut und ungenannt, so gehn
Sie durch das All, die ewig Unbekannten,
Und sind doch Herr von einer Welt und stehn
Golden umreigt von Tänzen der Trabanten.

Du meine Seele, dunkel blühst du so
Und bist doch Herr und Herrin holden Tanzes,
Und deines Dranges, deines Dunkels ftoh
Und deiner Welt und ihres goldenen Glanzes.

Victor Hardung

Das Spielzeug

Wie ein Spielzeug, kraus und bunt,
Liegt ein Dörfchen tief im Grund,

In der großen grünen Schachtel;

Hier und dort, wie überall,

Singt im Mai die Nachtigall,
Lerchenvolk und junge Wachtel.

Hier und dort, wie überall,

Brennt der rote Sonnenball,

Abends auf dem Wolkendache.

Fällt in jedes Herz hinein,

Springt in tausend Fensterlein,

Rollt sogar im kleinen Bache.

Meine Seele lag und schlief,

In der Dämm'rung Träumen tief,
Drunten in den Blumenwiegen.

Trieb ein Sehnen sie hinaus,

Ließ das Spielzeug bunt und kraus,
Lachend in der Schachtel liegen.

Zwei zerriss'ne Wanderschuh,

Keine Heimat, keine Ruh,

Tolle Tage, wilde Wochen.

Kehrt ich heim nach Kampf und Qual,
Lag das Spielzeug noch im Tal,

Nur ein Häuschen war zerbrochen.

Otto Rennefeld

Das Auge Christi

Dein Auge mit dem milden Glanz der Mandeln
Entfaltete so ruhig seinen Geist,

Daß es die Welt bezwang, dich zu umwandeln,
Wie ein Planet um seine Sonne kreist!

Du Sonne in der Nacht... denn dein Gefunkel
War nur ein glutverhaltnes Weh,

Umstort von Wimpern, wie Zypressendunkel
In Schatten düstert um Gethsemane. . .

Max Bewer

J. Würstle

Die alten Freunde

Der Oberst a. D. Schlösser saß mit seiner
Frau und seinen drei Kindern beim Frühstück,
als das Dienstmädchen auf die Veranda stürzte
und ein Papier heftig hin und herschwingend,
schrie: „Ein Telegramm ist gekommen."

„Was?" rief der Oberst und riß ihr das
Papier aus der Hand. „Ja," setzte er hinzu,
nachdem er die Aufschrift umständlich gelesen
hatte. „Es ist ein Telegramm an mich."

„Doch nicht von Tante Anna?" fragte be-
sorgt die Frau Oberst.

Ihr Mann sah sie erstaunt an. „Wie soll ich
das wissen," sagte er, „ehe ich's gelesen habe."

„So mach es doch auf."

„Natürlich mache ich's auf," entgegnete der
Oberst. „Es ist ja an mich."

Dann sah er über den Zwicker weg seine
Kinder an, ob eins von ihnen eine unziemliche
Neugierde verrate, und da sie gänzlich unbe-
kümmert ihren Kaffee tranken, schüttelte er miß-
billigend den Kopf, brummte etwas von Teil-
nahmslosigkeit und öffnete das Telegramm.

Er las den Inhalt einmal, zweimal, sah auf
die Uhr, fragte seine Frau, der wie vielte heute
wäre, las, als er erfuhr, es sei der 14. Mai,
das Telegramm nochmal und sagte dann leise:
„Nach dreißig Jahren."

Die Frau Oberst rückte unruhig auf ihrem
Stuhle hin und her. „Ich bitte Dich, Alfred!"
begann sie.

Doch ihr Gatte unterbrach sie. „Du mußt
gleich um Fisch fortschicken," sagte er.

„Ja warum denn, wer kommt denn?"

Der Oberst klingelte. „Der Kutscher," rief er
dem eintretenden Mädchen zu, „soll bis 12 Uhr
einspannen. Punkt 12 Uhr den Landauer."

Die Frau Oberst griff nach dem Telegramm,
aber ihr Mann nahm es ihr weg, ehe sie noch
mehr als die Unterschrift gelesen hatte. Die
lautete „Suchanek".

„Verzeih," sagte er und las die Depesche
nochmals.

Jetzt wurde seine Frau wirklich ungeduldig.
„Nun sage mir endlich, wer dieser Suchanek ist
und was er will?"

„Suchanek," entgegnete der Oberst träume-
risch, „Suchanek — ich habe Dir doch schon
von Suchanek erzählt?"

„Ich kann mich nicht erinnern."

„Theodor Suchanek?!"

„Wirklich, ich weiß nichts von ihm."

„Exzellenz Feldzeugmeister Graf Theodor
Suchanek," fuhr der Oberst fort, „freilich habe
ich Dir von ihm erzählt. Wir sind Kriegs-
kameraden, haben den Feldzug in Italien mit-
einander gemacht, im selben Zelt geschlafen,
sind miteinander im Feuer gestanden. Im
Jahre 66 vor Mantua — erinnere Dich doch.
Wir waren beide Leutnants — der Morasutti
war noch dabei und der — — —"

„Was ist mit dem Suchanek?" stöhnte die
Frau Oberst.

Der Oberst räusperte sich. „Er kommt heute
mit dem 1 Uhr-Zuge," sagte er feierlich.

Um st-1 Uhr bereits war die ganze Familie
auf dem Bahnsteige versammelt. Der Oberst
war etwas nervös. Er lief zum Stations-
vorstand, um sich zu erkundigen, ob der SUQ
Verspätung habe; dann nahm er den einzigen
Gepäckträger des kleinen Ortes in Pflicht und
Dienst, und als er gar nicht mehr wußte, was
er tun solle, führte er seine Familie in den
leeren Wartesaal erster Klasse und erklärte ihr
zum fünften Male seit heute Morgen den italie-
nischen Feldzug vom Jahre 66.

Und endlich kam der Zug.

Der Oberst stand in der Mitte des Perrons
und musterte die paar Leute, die ausstiegen.

Aber Niemand war darunter, der auch nur
annähernd dem Bilde seines alten Freundes
Suchanek entsprochen hätte. Einige Bauern,
der Doktor, der wahrscheinlich in der Stadt
gewesen war — doch halt, da stand ein hochge-
wachsener, weißhaariger Herr vor einem Coupe
erster Klasse und schrie nach dem Gepäckträger,
der seinen Instruktionen gemäß nicht von der
Seite Schlössers wich.

„Sollte der-?" dachte der Oberst, „ja

freilich, 30 Jahre sind eine lange Zeit."

Zögernd ging er auf ihn zu. „Bist Düs
wirklich?" fragte er.

„Aber natürlich bin ich's," sagte Suchanek
lebhaft.

Und dann umarmten sich die Beiden und
küßten sich.

„Aber zum Teufel," ries Suchanek. „Ist
denn hier Niemand, der das Gepäck-."

„Das Gepäck auf den Wagen," befahl der
Oberst.

„Nein, nicht auf den Wagen. Wozu auf
den Wagen? Hier bleiben soll es. Für drei
Stunden brauche ich doch kein Gepäck."

„Drei Stunden?"

„Aber ja, um 4 Uhr geht mein Zug."

„Du willst um 4 Uhr schon wieder fort?"

„Um 4 Uhr, ja, wie ich Dir sage. Ich reise
nach Paris, und habe nur den Umweg gemacht
um Dich zu sehen."

„So," sagte der Oberst etwas kleinlaut, „also
dann komm."

Er schritt auf den Ausgang zu, erinnerte
sich aber plötzlich an seine Familie, die auf dem
Perron der kommenden Dinge harrte. So machte
er unvermittelt links um.

„Aber was tust Du denn!" rief Suchanek.
„Da geht's hinaus."

„Ich wollte nur meine Frau —"

„Deine Frau! Vergißt der Mensch seine
Frau!"

Suchanek lachte. Er küßte der Dame die
Hand und sagte: „Es freut mich so auster-
ordentlich, die Frau meines alten Freundes
Schlösser kennen zu lernen. Und das also sind
die Kinder," setzte er hinzu.

„Jawohl, Exzellenz," antwortete die Frau
Oberst. Die Exzellenz bot ihr den Arm.

„Also gehen wir zum Wagen," sagte er.

Endlich saßen sie im Wagen und suhle»
durch die lange Pappelallee ins Dorf.

Der Kutscher trieb dem seltenen Gast zu
Ehren die Pferde an, aber gleich mußten 1
wieder halten, weil ein Trupp Schweine um
die Straße zog. ..

„Was gibt's denn?" fragte Suchanek. „Wh
Schweine! Ihr habt hier merkwürdige Schwei
Was sind das für Schweine?" _ .

„Oh," meinte der Oberst leichthin, „es
nur Schweine."

„Das seh' ich doch," sagte die
„glaubst Du, ich bin blind. Freilich smd e.
Schweine. Du scheinst nicht zu wilsen, daß
verschiedene Schweine gibt. Du, da fallt nn
Register
Johann Wuerstl: Tanzende Faune
Victor Hardung: Dunkle Sterne
Heinrich Steinitzer: Die alten Freunde
Otto Rennefeld: Das Spielzeug
Max Bewer: Das Auge Christi
 
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