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Pegasus-Weide

das Gesetz vor, nach jedem kann man zurück-
treten und einen andern heiraten. Allein Rudi
Mohr dachte nicht daran, und so sehr das Reuse
kränkte, konnte sie es ihm eigentlich doch nicht
übel nehmen; vor allem, weil sie ja im Grund
genommen auch so war. Das Benehmen Rudi
Mohrs um diese Zeit war vielleicht nicht
charaktervoll, aber Reuse wäre kein junges
Mädchen gewesen, wenn sie nicht für Essiggurken
und gewissenlose Liebhaber geschwärmt hätte.

Einen Wunsch hatte sie, wenn sie schon
Messerschmied heiraten mußte: Den Polterabend
mit Rudi Mohr zu verbringen. Der Plan hiezu
war einmal, auf einer ihrer winterlichen Spazier-
fahrten, in ihrem kleinen Kopf gekeimt, um

dann, in der Wärme ihres weißen Mädchen-,
zimmers, sich langsam von Nacht zu Nacht zu
entfalten. Es war nicht leicht zu bewerkstelligen,
das wußte sie, aber gerade diese Schwierigkeit
reizte Renee, und sie bereitete den Koup von
langer Hand mit der nötigen Schlauheit vor:
Zunächst, indem sie sich gegen Polterabende
überhaupt aussprach. Sie sagte, das sei eine
altväterische Sitte, die heutzutage keinen Sinn
mehr habe; schon das Wort, fand sie, mache einen
nervös: Polterabend! Wie roh das klingt!
Nein, sie wolle den Abend vor ihrer Hochzeit
nicht in einer lärmenden Gesellschaft verbringen,
sondern lieber zeitlich zu Bett gehen und sich
ausschlafen. Dasselbe sollte, ihrer Meinung

Ferdinand Staeger

nach, auch Artur tun; das heißt, wenn er es
nicht vorzöge, den letzten freien Abend mit
seinen Freunden zu verbringen.

„Wenn du das tun willst," sagte sie, „genier
dich nicht. Ich sind es durchaus begreiflich und
geb dich frei." And zu Freund Wolf äußerte
sie unter vier Augen: „Reden Sie ihm doch
zu! Er wartet nur darauf. Er will eine Aus-
rede haben. . ."

„Sie glauben?" fragte Freund Wolf.

„Aber ganz bestimmt!" sagte Reuse.

So wurde beschlossen, daß Messerschmied den
Abend mit seinen Freunden im Wirtshaus
verbringen dürfe, wozu der verliebte Bräuti-
gam nicht die geringste Lust verspürte. Aber
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Ferdinand Staeger: Pegasus-Weide
 
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