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Die Erinnerung

Aus der Nacht all meiner Jahre
Glüht ein Paradies von Tagen:

Brunnen rieseln, Vögel schlagen,

Blum' und Kruge, goldumlaubt.

Sahst du damals meine Haare
Flattern? Hörtest du mein Singen?

Ein Gelingen, ein Vollbringen
Stürmte um mein Haupt.

Jetzt. Oh, was erschrickst du so?

Nur die Nacht wühlt in den Eschen,

Nur der Herbstmond will verlöschen
Hinterm Wald. . . Was ängstet dich?
Doch du sprichst: Vernahmst du's nicht?
Windverweht und windgetragen
Brunnenrieseln, Vögelschlagen. . .

Liebster, schütze mich! Leo Greiner

Maria auf der Brücke

Zwischen Burghansen und Ach auf der Salzachbruck'
Steht als Brückenwart der heilige Nepomuk.
Bringt wer einen Rucksack voll Sünde daher,
Zollt er fünfzig Vaterunser sechs Goldgulden schwer;
Wer einen Erntewagen Sünde hat geladen.
Steuert dreißig Rosenkränze, das sind

zwanzig Dukaten.

Zwischen Burghausen und Ach auf der Salzachbruck'
Steht Maria, die Ehefrau des heiligen Nepomuk.
Der Mann ist heute ins Bayrische hinein.

Sie steht am Geländer und nimmt den

Zoll für ihn ein.

Flußauf, stußab

Klappt Wanderschaft, stampft Lastfahrt,

klöppelt Trab.

Der schleppt eine Traubenbutte, der

einen Kartoffelsack,
Der trägt ein unehelich Kindlein Huckepack . . .:
Wer einen Rucksack voll Sünde hinüberträgt,
Zwei Stoßgebetlein gleich drei roten

Hellern erlegt;

Wer einen Erntewagen Sünde hinüberfährt,
Zahlt sieben Ave drei böhmische Groschen wert.

Ernst Liffaucr

Drei Rosenblätter

Drei Rosenblätter wirbelte der Wind
Im Kreise, rings verstreuend ihren Dust.

Er spielte mit den Blättern wie ein Kind
Und ließ sie lange tanzen in der Luft.

Doch als er satt, entglitten seiner Hand
Die müdgeschaukelten; und jedes Blatt,

Sich niedersenkend in die Tiefe, fand
An andrer Stelle eine Ruhestatt.

Das erste nahm der Bach auf seine Flut
Und eine Welle trug es fort zum Meer —
Es war ein großes Blatt, voll Purpurglut,
Und schwamm gleich einer Königin einher.

Das zweite, rosig wie ein Kindchen, kam
Auf eines jungen Weibes Busentuch —

Sie dachte . . Süßes, wurde rot vor Scham
Und legt es in ein Liebesliederbuch.

Das dritte, eine Elfe weiß und rein,
Jrrflatternd lang in hilfeloser Not,

Fiel auf die Straße. Unter Schmutz und Stein.
Und Tier und Menschen traten's in den Kot. .

Blind in den Kot — in Kot und Tod hinein!
— — Und war das Schönste unter

allen Drei'n . . .

A. 1>© Nora

Oskar Model

Die Gesandten

Eine Erzählung aus dem Altflorentinischen um 1380

Zu der Zeit, als der Bischof Guido von der
Ghibellinenpartei die Signorie über Arezzo inne-
hatte, wählten einst die Gemeinden im Lasentino
Zwei Gesandte aus, die gewisse Bitten dem
Bischof vortragen sollten. Eines Abends spät
gab man ihnen ihren Auftrag; andern Morgens
früh sollten sie aufbrechen.

Den Abend also packten sie zusammen, was
sie nötig hatten, und andern Tags, als sie einige
Meilen unterwegs waren, sagte der eine zum
andern: „Wie war doch unser Auftrag?"

Und der andere sagte: „Weißt Du ihn denn
nicht?"

„Nein, ich habe mich auf Dich verlassen!"

„Und ich auf Dich!"

Da sahen sie einander an und sagten: „Das
haben wir gut gemacht! Was nun?"

„Wir wollen uns in der nächsten Herberge
hinsetzen und überlegen, so werden wirs wohl
zusammenkriegen; es kann ja doch nicht aus-
bleiben, daß es uns wieder ins Gedächtnis
kommt!"

So kamen sie in die Herberge, wo sie zu
Mittag essen wollten, und dachten hin und
dachten her, aber als sie sich zu Tisch setzten,
hatten sie noch nichts zusammen.

Man brachte ihnen einen Wein allererster
Güte, der schmeckte ihnen weit besser als das
Nachgrübeln, und sie hielten sich an ihn, bis
sie kaum noch wußten, wo sie waren, und legten
sich, um ein wenig Zu schlafen.

Als sie nach einer Weile aufwachten, waren
sie noch ganz betäubt, und der eine sagte Zum
andern: „Hast Du's?" Und der andre: „Ich
habe nichts in meinem Kopf, als daß der Wein
in diesem Gasthof so gut ist, als ich je einen
getrunken habe, und sogar besser."

Der andre versetzte: „Gerad so geht's auch
mir! Was nun?"

„Die Nacht schärft die Gedanken, wir wollen
hier bleiben!"

So blieben sie und richteten mit Gewalt
.ihre Gedanken auf die heimischen Kirchtürme,
ohne daß sie etwas läuten hörten, und abends
machten sie sich wieder an denselbigen guten
Wein und dachten ihm fleißiger nach als irgend
etwas anderem.

Als sie am andern Morgen aufwachten,
simulierten sie darüber, was sie so fest habe
schlafen lassen, daß ihr Gedächtnis verschlossener
sei als vorher. Endlich sprachen sie untereinander:
„Wir wollen in Gottes Namen zureiten, viel-
leicht, daß es uns unterwegs kommt! Es kann
ja nicht ausbleiben!"

So ritten sie zu, und von Zeit zu Zeit sagte
der eme zum andern: „Hast Du's?" und d..
antwortete: „Ich nicht, Du?" et

In solchen Zwiegesprächen blieben sie be-
fangen, bis sie in Grezzo einritten; da begaben
sie sich in die Herberge in eine aparte Kammer
und legten die Hände an die Backen und
dachten nach, und fanden es nicht.

Da sagte endlich voller Verzweiflung der
eine: „Gehen wir! Möge Gott uns beistehen!"

Und der andere: „Oh, was sollen wir denn
sagen?"

Und jener: „Schlimmer kann's nicht werdeni"

So überließen sie sich ihrem guten Glück
und gingen zu und traten vor den Bischof und
machten ihre Verehrung, und dabei blieben sie

Der Bischof, der ein Mann war, wie es
wenige gibt, erhob sich, ging ihnen entgegen
nahm sie bei der Hand und sagte: „Seid schön
willkommen, liebe Söhne! Was bringt ihr mir
für Neuigkeiten?"

Und jene unter einander: „Sprich Du'"
„Sprich Du!" und keiner sprach.

Zum Schluß Hub der eine an und sagte: „Herr
Bischof, wir sind geschickt an Euch als Gesandte
der Gemeinden im Lasentino, und sie, die uns
schickten, und wir, die wir geschickt worden
sind, wir sind Menschen von nicht sehr feinem
Gewebe, und sei es nun, daß sie es nicht ver-
standen haben, uns die Sache richtig auseinander
zu setzen, sei es, daß wir nicht verstanden haben,
was sie uns auseinandergesetzt haben, sie bitten
Euch, Gemeinden und Menschen dort Euch
empfohlen sein zu lassen, und — daß sie die
Kränke kriegten, sie, die uns schickten, und uns,
die sie schickten!"

Der Bischof in seiner Weisheit legte ihnen
die Hand auf die Schultern und sagte: „Geht
jetzt nur heim und sagt meinen lieben Söhnen
dort, daß alles nach Möglichkeit für sie erwogen
werden wird, und daß ich stets bedacht sein
werde, was ich für sie tun kann. Und daß sie sich
von jetzt ab die große Ausgabe nicht mehr machen
möchten, eigene Gesandte an mich zu schicken,
sondern frei, offen schreiben sollen, wenn sie etwas
haben, und ich werde ihnen brieflich antworten."

Damit ritten die Gesandten heimwärts, und
als sie eine Strecke weit waren, sagte der eine
zum andern: „Oh, laß uns doch daran denken,
daß es uns nicht heimwärts geht wie herwärts!"

Da sagte der andere: „Wir können doch
unmöglich sagen, daß wir die Botschaft vergessen
hatten! Wer soll uns denn je noch ein Amt
anvertrauen!"

Und so steckten sie die Köpfe zusammen, und
machten untereinander aus, was sie sagen wollten,
wie gerührt der Bischof gewesen sei, als sie ge-
sprochen hätten, und wie er ihnen so väterliche
Fürsorge zugesagt hätte aus übergroßer Bewegt-
heit, nachdem sie gesprochen hätten, und wie er
gleich damit begonnen hätte, ihnen das aus-
drückliche Recht zu verleihen, unmittelbar durch
Briefe mit ihm zu verkehren statt durch teure
Gesandtschaften.

Und als sie das herausgebracht hatten, be-
gannen sie den guten Wein zu preisen, den sie
ausgekundschaftet hatten, und ritten zu, um noch
zu guter Zeit dazu zu kommen, und obwohl sie
scharf tranken, so gingen ihnen die Lügen, tue
sie sich zusammengestellt hatten, nicht ebenso
verloren, als die Wahrheiten, mit denen ste
herwärts belastet gewesen waren.

Und als sie zuhaus anlangten, ließen sie
verstehen, daß der eine von ihnen gesprochen
habe wie Cicero, und der andre wie Quintilian,
und wurden hoch geehrt und gelobt und zu
hohen Remtern berufen in jenen Gemeinden um
des außerordentlichen Dienstes willen, den sie
ihnen erwiesen hätten.

Und ich, der Erzähler, glaube, daß es mü
manchen der großen berühmten Gesandtschaften,
die die großen Höfe einander zuschicken, nicht
viel anders stehen wird als mit diesen Boten
der armen Casentiner, obwohl wir es dick genug
bekommen, was die Herren alles für uns ge-
tan haben, — beim fürtrefflichen Wein uno
hernachwärts. Kranz
Register
Leo Greiner: Die Erinnerung
Ernst Lissauer: Maria auf der Brücke
Oskar Model: Vignette
A. De Nora: Drei Rosenblätter
Franz: Die Gesandten
 
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