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Nr. 22

JUGEND

1910

Der Tanz durchs Leben

Ein jeder tanzt auf eigne Art durchs Leben,
Bald still und selig, bald mit viel Geschrei;
Bald ist's ein Stolpern, bald ein sanftes Schweben,
Doch ist's in allen Fallen Narretei.

Es mochte keiner gern am Boden kleben,
Drum eben übt man jene Hüpferei,

Und jedermann siebt man die Beine heben.
Wie eine Limine nnglaise treibt's vorbei,

Dem Tod entgegen, der mit bösem Lachen
Die Schwitzenden mit langen Armen fängt
Und sie an einen Niesengalgen hangt.

Da hängt man nun mit aufgesperrtem Nachen
Und jeder, noch im letzten Zappen, denkt:
Wozu Hab ich mich denn nur angestrengt?!

Rurt Rüchler

Der Stehkragen

Ls war einmal ein Halskragen. Reiner mit
nmgebogenen Ecken, auch kein Umlegkragen —
beileibe nicht — es war ein hoher Stehkragen.
Sein Besitzer hatte es durch entsprechende gym-
nastische Uebungen zu einem so schlanken Schwanen-
hals gebracht, daß er von der vornehmen Welt
ungemein darum beneidet wurde. Der Stehkragen
war aber so hoch, daß trotz des sensationellen
Halses der Besitzer der Gefahr des Gurgelein-
drückens nur dadurch entging, daß er den Kopf
so unvergleichlich hoch zu halten verstand. Der
Besitzer hatte aber noch außer dem hohen Steh-
kragen glänzende Eigenschaften.

wie meinen Sie? Lin Stehkragen sei keine
Eigenschaft? Gewiß, Sie haben recht, für gewöhn-
lich — nein — aber es gibt Ausnahmen. Ls
ist z. B. ganz dasselbe, ob wir sagen: „Der Herr X
ist ein äußerst vornehmer Herr, oder der Herr 3E
hat einen hohen Stehkragen."

Also darüber sind wir einig, der Besitzer hatte
außer dem hohen Stehkragen noch glänzende Eigen-
schaften. Er war ein passionierter Tennisspieler.
Aber dann trug er zu einem sehr chiken Sxort-
anzug nach neuestem Schnitt, einen Stehkragen,
der ^/s Millimeter niedriger war, und das
war ein Mpfer, das er seiner zweiten Leiden-
schaft mit größter Selbstbeherrschung brachte.

Lr war ein gefürchteter Gegenspieler. Ls war
außerordentlich interessant zu beobachten, mit
welcher Fixigkeit seine Augen über den Kragen
hinweg die stachen Bälle, die so tief da unten
um ihn herumsprangen, zu verfolgen wußten.
Und mit welch unvergleichlicher Nonchalance
er diese famosen Bälle traf! Es unterliegt
keinem Zweifel, er war in dieser Einsicht sehr
begabt.

Er huldigte auch dem Tanz. Dann trug
er natürlich seinen höchsten Stehkragen, und da
war es merkwürdig zu sehen, wie die jungen
Mädchen alle zu ihm heraufblickten, ohne je-
mals einen Blick von ihm zu erhaschen; denn
das konnte man wirklich nicht von ihm be-
haupten, daß er eine der Damen wieder ange-
sehen hätte, es sei denn mit seinem Kinn, das
weit über den Kragen sprang und die Aussicht
auf den übrigen Teil des Gesichtes völlig ver-
deckte. Aber das war alles gleichgültig, die
Hauptsache war, daß er einen hohen Steh-
kragen hatte. Da man sich aber mit einein
Stehkragen nicht unterhalten und mit einen:
Kinn nicht liebäugeln kann, hatte ihn die
Damenwelt bald satt. Er hielt es daher für
gut, das Tanzen fade zu finden und funktio-
nierte von nun an als stummer Beobachter.

An eine Säule gelehnt und von seinem Steh-
kragen gestützt, stierte er so unablässig nach
oben, daß er von dem Tanzgewimmel auch
nicht das geringste zu sehen bekam, weshalb

er eigentlich dort blieb, ist unaufgeklärt. Man
sagte, daß er sich furchtbar langweile und unend-
lich erhaben fühle, und das war auch das Richtige,
d. h. Langweile kannte er nicht, weil er das Gegen-
teil davon nie kennen gelernt hatte, aber erhaben
fühlte er sich, und das kam von dem Stehkragen.

Er hatte auch einmal ein Amt bekleidet. Eins
der Aemter, bei denen ein hoher Stehkragen von
großer Wichtigkeit ist. So zu sagen eine staatliche
Repräsentationsstelle. Diesen hohen Posten hatte
er eine Zeitlang zur großen Zufriedenheit seines
Vorgesetzten ausgefüllt. (D, er war wirklich „tip
top". von so jemandem konnte man sich doch
vertreten lassen! Er konnte niemals für einen
hergelaufenen Menschen gehalten werden! Ganz
feudaler, sehr brauchbarer Mensch! — Irgend wer
hatte aber die Taktlosigkeit, noch etwas mehr als
Repräsentation zu verlangen. Es vertrug sich
nicht mit der Ehre des Halskragenbesitzers, solch
niedrigem verlangen nachzukommen. Er verließ
seinen Posten in ebenso vornehmer Haltung, wie
er ihn angetreten.

was er danach anfing? Mb er sonst noch
glänzende Eigenschaften hatte? Ich bitte Sie, er
spielte Tennis und hatte einen hohen Stehkragen!
Ich denke, Sie sind nicht so unbescheiden, noch
mehr zu verlangen!

Meline Müller

Sonntag

Mädchen, flicht in Deine Zöpfe
Sonntägliche Bänder ein,

Plünd're Deine Blumentöpfe!

Schmieg ein Kränzel um die Schläfe,
Denn wenn Dich Dein Bursche träfe,
Sollst Du lieb zu schauen sein!

Und dann schieb' nach alter Mode
Dir zwei Nelken ins Geschnür;

Eine weiße, eine rote!

Steck' zur weißen junge Rauten —
Doch die rote gib dem Trauten
Heimlich an der Kirchentür!

Martin Arndt

Carl Moser (Bozen)

Die X\at$en

von Roda Roda

3m Goz beiläufig lebte ich eine Zeit

laug m Innsbruck. Ls war za nicht Überströme
amüsant, aber ich hatte eine nette ksauswirt
und vor allem meine zwei Ratzen. Unwahrscbei
lich, unsagbar liebe Tiere. ^ *

Lines Tages stirbt mein Onkel (na enMirf, _
(Sott fei Dank!) — ich muß im Augenblick meine
Seite abbrechen und nach Budapest übersiedeln
Gut. Aber wie bringe ich meine Ratzen dabin?
Ich tat ihnen hübsche Halsbänder 'um, nahm
sie an die Leine und stieg in den Zug. - Donner-
weiter, nun soll ich die Ratzen neun Stunden lann
beaufsichtigen? Man muß dreimal umsteigen J
mit mir im Rupee fuhr eine Dame mit zwei
kleinen Kindern.

„wohin, Gnädigste, wenn man fragen darf?"

„Nach Budapest," sagte sie.

„Ach, das trifft sich ja herrlich, da will ich
eben auch hin . . . wollen Sie übrigens nicht die
Güte haben, Gnädigste, meine Katzen einen Augen-
blick zu halten? Nur einen kleinen Augenblick?"

Sie nahm die Katzen, und ich suchte mir einen
andern wagen.

Und schlief prachtvoll.

viele, viele Stunden. In Pragerhof stieg ich um.

Und schlief wieder — bis Kanisza.

In Kanisza stieg ich wieder um und schlief.
Fast bis Budapest.

Eine Station vorher sah ich mich nach der
Frau mit den Katzen um.

Sie stand da in ihrem Kupee — die Rahen
pfauchten, die Kinder schrien — und die Frau
in vollkommener Hilflosigkeit dazwischen, von
Innsbruck an. Sie hatte meine Kätzchen nicht
aus der Hand gegeben, die Gute.

Ich dankte ihr herzlich. Sie übergab mir
meine Tiere und wischte sich ein paar Tränen ab.

BäcblNckes Sckmerzenstteä

(Aus den Gesängen meines Freundes
Franz Symbolus Kometenschweif)

Es hat der Abend, der dem Tag verkittet,
Das große Tintenfaß der Dunkelheit verschüttet.

Die holde Negerin, die schwarze Nacht,

" Ist aufxewacht.

Nackt sticht sie da. Vom Kopfe bis

zur Zehe

Glimmern hie und da die goldneu

Sternenflöhe.

Nur ferne flötet noch ein Wiedehopf
Da kratzet meine Sehnsucht sich am Kopf
Sie kratzt sich heiß. Und weint,

Wie mir scheint.

Da springt, wie das kleine Känguruh
aus seiner Mutter Beutelfalte,

Aus mir heraus das Schmerzenslied,

das alte,

Und steigt zu den Sternen und immer

weiter

Ganz ohne Leiter.

Den Katzen singe ich mein Lied und

sag' mit Fleh":

Ihr seid die einzigen Menschen, die

mein Lied versteh",

Euch sei 's verkündet,

Wie sehr der Sehnsucht Blinddarm

mir entzündet.

Sie hat mich betrogen, das schuöde

Weib, sie hat mich gekranw

Sie hat mein Herzblut betrügerisch

eingeschenkt!

Wie ekel schmeckt der Nachsucht Lebertran
Register
Karlchen: Nächtliches Schmerzenslied
Martin Arndt: Sonntag
Kurt Küchler: Der Tanz durchs Leben
Karl Moser: Bäuerin
Meline Müller: Der Stehkragen
Roda Roda: Die Katzen
 
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