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Robert Schumann

(0ob. ö. Juni 1810)

„Das ist der Fluch des Talentes, daß es,
obgleich sicherer und anhaltender arbeitend, als
das Genie, kein Ziel erreicht, während das
Genie längst auf der Spitze der Ideale steht
und sich lactjcitb oben umsieht."

Der diese schmerzlich ewig gültigen Worte
uicderschrieb, Robert Schumann, war selbst sicher-
lich weit, weit niehr als ein Talent, und doch
hat er zeitlebens sehnsuchtsbaug nach jenen
fernen Zinnen eniporgeschaut, auf denen seine
künstlerischen Ideale thronten, und als er, noch
nicht fünfzig Jahre alt, in die Nacht des un-
heilbaren Wahnsinns verfiel und dahinschied,
da geschah dies sicherlich zum größten Teile
deshalb, weil sich sein weiches schwärnierischcs
Künstler-Ich, weil sich der Eusebius in ihm
aufgerieben hatte durch die ewige Selbstqual,
durch die peinigend peinlichst scharfe Kritik, die
er, der streng radikale Florestan-Kritiker, schon
als Jüngling an seinen Zeitgenossen und an
sich selber aus innerstem Drange zu üben nicht
müde ward. Floreslan und Eusebius —, so
nannte er ja sein Doppel-Ich, das zwischen
kühnsten eigenen Neuerungsbestrebungen und
schwärmerischer Pietät gegenüber der klassischen
Ueberlieferung seiner geliebten Tonkunst uitaus-
gesöhnt hin- und herpendelte. Das Tragische
dieses Künstlerloses und zugleich das Hehre
beruht in der vollkommeilen Durchsättigung
Robert Schumanns niit Kunst überhaupt. Aehn-
lich wie Richard Wagner hatte auch Schumann
sich zuerst schöpferisch mindestens ebensosehr von
innen heraus als Dichter versucht wie als Musiker.
Die Musik flog ihm gleichsam erst im dichterischen
Träumen und Improvisieren am Klaviere zu.
Sein tief dunkles, wie in dumpfes nächtliches
Innenleben eingesargtes Auge, wie es seine
Porträts zeigen, kündet eine heiße Musiksehn-
sucht, die unauslöschlich unstillbar in ihm wogte
und tobte, kündet ein Musikfieber, das ihn nicht
lange auf die gedrängten Formen der Klavier-
stücke und Lieder sich beschränken hieß, sondern
das ihn unaufhaltsam zu großen Chor- und
Orchesterschöpfuugen weiter jagte. Spät erst,
als Zwanzigjähriger, befaßte er sich eingehend
mit theoretischen Spezialstudicn, gegen die er
lange eine unüberwindliche Abneigung gehegt
hatte. So konnte er Heinrich Dorns, seines
Lehrers streng scholastische Auffassung von der
Musik lange Zeit nicht begreifen: „Er ivill mich
dahin bringen, unter der Musik eine Fuge zu
verstehen", schrieb er in einem Klagebrief an
Friedrich Wieck. Späterhin freilich hat er diese
Ehrenschuld gegen seinen Lehrer zehnfach ab-
getragen, und unter den „Musikalischen Haus-
und Lebensregeln", die er in das Manuskript
seines „Albums für die Jugend" 1849 schrieb,
finden wir auch die Mahnung: „Fürchte dich
nicht vor den Worten Theorie, Generalbaß,
Kontrapunkt rc., sie kommen dir freundlich ent-

gegen, wenn du dasselbe tust!"-- Und doch!

Ihm, dem heiß ringenden Künstler, kamen die
Tausende von kleinen Widerhaarigkeiten mathe-
matischer Natur, au denen die Musik so reich
ist, fürwahr nicht entgegen: besonders inseinen
Synrphonieen, auch die „Rheinische" nicht aus-
genommen, spüren wir in den Durchführungs-
sätzen häufig die Mühe der Arbeit, wenn ihm
auch immer wieder der leidenschaftliche Impuls
seines Musikerherzeus über alle Klippen hin-
wcghalf und seine Inspiration neu beflügelte.
Immerhin ist Schumann wie gleich ihm manch
anderer unter den musikalischen Romantikern,
in den lyrischen Formen, in den Klavierstücken
und in den Liedern am größten. In seinen
Klavierkompositionen lebt er, svricht er mit
uns, steht er vor uns, als der bald versonnene,
bald leidenschaftlichemusikerfüllteKünstlermensch,

der mit fliegender Hast aufs Papier warf, was
er sah, was ihn bewegte und was ihn erschütterte.
Die langen, langen Kämpfe um seine geliebte
Klara spiegeln sich in diesen Werken, freilich
wirft auch schon der flackernde Wahnsiiin ferne
ersten großen Schatten auf manche dieser wunder-
vollen Kompositionen, so auf die „Nachtstucke ,
bei deren Niederschrift er seinem Ausspruch zu-

folge stets Särge zu sehen glaubte.-

Das Ringen um sein weibliches Ideal ist
symbolisch für sein ganzes Sehnen nach den
höchsten Zielen der Künsllerschaft. Ward doch
sein eigener Ruhm bei seinen Lebzeiten vielfach
durch denjeiiigcn Klaras verdunkelt, und mußte
es doch der unglückliche Komponist eines Tages
gelegentlich eines Hofkonzertes erleben, daß ihn
Serenissimus, nachdem er Klara Schumann wegen
ihres meisterlichen Klavierspieles übermäßig ge-
lobt, ganz ernsthaft fragte: „Sind Sie auch
musikalisch?" - So wie die hohle Gesellschafts-
welt damals wie heute das leichter zu fasseiide
Genie des ausübenden Virtuosen zu Ungunstcn
des Produzierenden stets übermäßig vergötterte,
so hatten eben auch Schumanns Zeitgenossen
für die ganz in sich selbst ruhende, beseelte
Innigkeit der Schumannschen Musik nicht das
volle Verständnis. Erft ganz allmählich rang
sich seine Kamniermusik zu allgemeiner Aner-
kennung durch, während seine Chorwerke — von
den Opern ganz zu schweigen — mehr und
mehr in Vergessenheit geraten. In der Tat
bedeuten für den wahren Schumannkenner, für
denjenigen, der den ewig gärenden, inbrünstigen
Gefühlsüberschwang seiner Musik je machtvoll
in sich hat Nachglühen fühlen, die Violinsonatcn
und viele der Streichquartette die Gipfelpunkte
seines Schaffens. In diesen Werken kommt
Schumanns Genius den Höhen des erstrebten
Ideales greifbar nahe, und nur eben jenes
Uebermaß seelischen Aufschwunges, das so jäh
in tödliches Brüten niederzusinken pflegt, nur
dieses forunghaft Fieberische ist es, das den
Eindruck harmonievolleu Ebenmaßes, wie es
die Werke der Klassiker auszeichnet, immer
wieder gleichsam int letzten Moment kurz vor
Erreichung des Zieles durchkreuzt. Unsterblich
ist an Robert Schumann das, was wir heute
so häufig mißverständlich den modernen Zug
zu nennen pflegen, jenes Streben nach restlosem
Erschöpfen des Stoffes, das ihn namentlich als
Liederkomponist auszeichnet. Robert Schumann
ist der erste Liederkomponist, der der Klavier-
begleitung eine illustrierende, interpretierende,
die Gedanken- und Gefühlswelt des Textes
ausspinnende und ausklingen lassende Rolle
zuweist. Unsterblich ist an Robert Schumann
seine Treffsicherheit in der Unterscheidung von
echter Kunst und Afterkunst, eine Gabe, die ihn
zum wahren Messias der neuen Kunst stempelt.
Robert Schumann übertrifft die Modernen durch
seine freistirnige Uitparteilichkeit; hatte er doch
für die Werke eines Berlioz Worte des gleichen
aufmunternden Lobes übrig wie für die ersten
Kompositionen eines Johannes Brahnts. Ueber-
haupt hat vielleicht kein zweiter Musiker der
neuen Zeit als Schriftsteller all das so erfüllt,
was er in seinen Kompositionen vielfach nur
verspricht, wie gerade Robert Schumann, dessen
Künstlerlebeu ein erschütternd beweiskräftiges
Zeugnis dafür ist, daß das echte Genie dem
Kinde gleicht, dpß der echte Genius unbeschwert
von allem geistigen Erkennen „schafft", wäyrcnd
das Talent — einem Ausspruche Schumanns
gemäß — „arbeitet". Nur zeitweise hat Robert
Schumaitn, der Unglückliche, diese seligen Stun-
den des Schaffenmllssens verspürt, dann aber
hat auch er unvergängliche Werke geschaffen.

^lrtkur Neisser

LARGO

Paul Rieth (München)
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