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Fragen

Ruheloser Rauschebach,

Rauschest bu

Wohlbekannten Zielen zu
Oder leeren Träumen nach?

Ruheloser Raunebach,

Raunest du

Tiefgeheimer Weisheit zu
Oder seichter Torheit nach?

Ist die Welle Deiner Lust
Oder deines Leidens Bild?

Wallst du weiter, weil du willt
Oder weil du mußt?

Und es rauscht und raunt der Bach:
Fragetor!

Schaut aus meinem Spiegel, ach.

Nicht dein eigen Bild empor?

Reisest du

Zielen oder Träumen zu?

Gibt dein Mund
Weisheit oder Torheit kund?

Ist dein Leben deiner Lust
Oder deines Leidens Bild?

Lebst du weiter, wie du willt
Oder Weil du mußt? A. De Nora

Dialog

Von Oscar 21. H. Schmitz

Er: Du solltest nicht, wenn in Gesellschaft
das Gespräch auf heikle Gebiete kommt, so viel
Freude daran zeigen oder gar selbst Beiträge
liefern.

Sie «bereits verstimmt): Warum nicht?

Er: Es steht Dir schlecht.

Sie: Warum soll mir das nun wieder
schlecht stehen?

Er: Nun, es steht überhaupt Frauen schlecht.

Sie: Aha, da haben wir's, wieder eine
von den Unterdrückungen durch den Herrn der
Schöpfung. . .

Er. . . . damit Ihr Euren Reiz nicht ver-
liert, mit dem Ihr ihn beherrscht.

Sie «mit Grö^e-: S o wollen wir nicht herrschen.

Er: Gut, dann versucht es damit, daß Ihr
zweideutige Geschichten erzählt.

Sie: Als ob wir das wollten!

Er: Warum tatest Du es dann heute?

Sie: Taten es nicht alle?

Er: Die Männer, ja.

Sie (ethisch erglühend): Wenn es nichts
Schlechtes ist, so darf es eine Frau so gut
wie irgend ein Mann, und ist es schlecht, so
sollend die Männer auch nicht.

Er (voll Reue, daß er es so weit hat kommen
lassen, und ermüdet): Wenn ich Dir aber sage:
es steht Dir schlecht.

Sie: Glaubst Du, daß es den Männern
gut steht?

Er: Das mußt Du wohl gefunden haben,
sonst hättest Du Dich nicht so lebhaft beteiligt.

Sie «Jbsenisch herausbrechend): Weil ich Keine
Konventionelle Heuchlerin bin, wie Fräulein 23.,
der man ihr heimliches Vergnügen wohl an-
merkte, obwohl sie sich auf verlegenes Grinsen
beschränkte.

Er (aphoristisch): Das Lächeln von Fräulein B.
hat die Männer in den Grenzen gehalten, inner-
halb deren ihnen ihre Keckheit noch gut stand.
«Berläßc befriedigt das Zimmer.)

Sie (stürzt auf die Bibliothek, schlägt das Bürger-
liche Gesetzbuch auf und sinnt über den durch den
Gebrauch schon vergilbten Seiten, welche die Ehe-
scheiduugs - Paragraphen enthalten).

Er (kommt nach einigen Minuten wieder zurück
und will ihr über das Haar streichen): Kind, laß
uns wieder vernünftig sein!

Sie: Nein, das ist ja gerade das Feine an
mir, daß ich so kolossal unvernünftig bin!

A. Bar

Erinnerungen

Erinnerungen, die wir sterben ließen,

Die unser warmes Herzblut nimmer nährte,
Sie folgen doch als Schatten unsrer Fährte
Und lauschen draußen, wenn wir nun genießen.

Im Dunkeln stehn sie stumm vor unsrer Türe
Wie Bettler, denen niemand mehr will schenken —
Mit wehen Blicken stehen sie, und denken
Verrauschter Freuden und verklungner Schwüre.

Doch einst, wenn dieses Ich, das sie geboren,
Versunken in den Grund der tiefsten Nächte:
Dann haben wieder alle gleiche Rechte,

Die Schwestern alle, denen wir geschworen;

Die jüngsten dann, der Seele letzte Habe,
Den längstgestorbnen reichen sie die Hände,
Zu tanzen ohne 9ceib und ohne Ende
Den leichten Reigen über unserm Grabe.

Hanns von Gumppenbcrg’

Die Scblacht bei

(14. Juni 1645)

Vertrieben aus London, des Landes Herz,
Und geschlagen bei Marston-moor. .

Stuarts Heere wandelten niederwärts
In der Führer versinkender Spur.

Aber einmal, noch einmal kam Hoffen und Mut
In die zage, zerbrochene Macht;

Schon träumte der Stolz und die

schweigende Wut

Von Vergelten nach siegreicher Schlacht:

Prinz Rupprecht, der Meere und

Länder durchiobt

Auf Kämpfen und Fahrten um Frauen
Und sein blasser König, der heimlich gelobt
Vielhundcrt Galgen zu bauen.

Die Rundköpfe senkten vor Naseby die Stirn:
König Belial, komm heran!

Ihr Auge hieß Cromwell, Cromwell ihr Hirn;
Zehntausende wog der Mann.

Und die Sonne stach, und die Schlacht stieg aus;
Blut, Brüllen, flammender Rauch.

Verkeilt und verbissen rang Hanf an Haus,
Und die Toten rangen auch;

Die Toten, das heilige Königtum
Und sein einziger Wille im Land
Und des Adels Recht und des Adels Ruhm,
Nun lagen sie wieder im Sand.

Karl Stuart ritt über die Heide hin,
Verloren Krone und Herd.

Einer purpurnen Sonne Verscheiden beschien
Den einsanien König am Pferd.

Und er starrte hinein, und sein Auge ward feucht,
Und der Wind griff ihm fest ins Gelock.
Auf den düsternden Wolken zerrann

das Geleucht,

Wie Blut über einem Block. .

Franz Theodor Lsokar

Sein Fernzug

von Eugen Ralkschmidt

wenn Herr Peter Moosmüller in die dunü^
£?atfe trat, so wußte der Beamte, der grade Y*
Bahnsteigsperre versah, daß nun in drei Minuten
der vorortzng abgehen würde. Er wußte W
ohne nach der Uhr zu sehen, die droben in der
Giebelwölbung hing und geruhig auf den Oualn
und Ruß, auf die hastenden Menschen nieder
schaute, und die so unbeweglich nur ihrem eigenen
Wohlergehen lebte, weil sie wußte, daß alle Welt
sich nach ihr richten mußte. Alle Welt, auch Herr
Moosmüller. Er tat es übrigens gern und ver-
gaß nie, beim Eintritt einen kurzen achtungsvollen
Blick schräg aufwärts zu entsenden, auf das er-
leuchtete Zifferblatt, das auch heute wieder akkurat
auf 9 Uhr (7 wies. Mechanisch griff er in die
Westentasche, mechanisch stellte er fest, daß seine
eigene Uhr genau so akkurat gearbeitet hatte wie
die da droben. Und mit wohlwollendem Nicken
schritt er an dem Beamten vorüber und in seinen
Zug hinein.

Er brauchte seine Monatskarte gar nicht vor-
zuzeigen. Alle Beamten kannten ihn und wußten,
daß er sie bei sich hatte, wenn aber einer sich
vergaß und ihn um die Karte befragte, so sah
ihn Herr Moosmüller mit einem Blicke an, mit
einem Blicke — nun, es ist schwer zu sagen, was
das für ein Blick war. Eine ungeheuere Ver-
achtung lag in ihm, und ein ungeheurer Stolz,
dazu der Sinn einer langen Ansprache, die sich
aber doch nur in einem einzigen, noch dazu un-
vollständigen Satze entlud: „Hier. Bitte!"

Denn Herr Moosmüller hatte keine Zeit für
Ansprachen. Sein Zug wartete wie immer auf
ihn. Keuchend und schnaubend, bebend wie ein
ungeduldiger Renner stand die kleine Maschine
mit ihren beiden Personenwagen da. Sie war
in den vorderen wagen hineingebaut, und die
Kesselwärme drang zugleich mit etwas «Del- und
Kohlengeruch in das anstoßende Abteil hinein,
hierher setzte sich Herr Moosmüller, gerade hier-
her, und auf die linke Seite. Er hatte dort seinen
Stammsitz, genau so wie im goldenen Elefanten,
wo ihm die schwarze Resi jeden Abend sein Stamm-
gericht vorsetzte; am Montag „Herz am Kost",
am Dienstag „Sauere Nieren" u. s. w.

Die übrige:: Fahrgäste, die Herrn Moosmüller
kannten, ehrten aus einen: dunkeln Gefühl des
Respektes heraus seinen Gewohnheitssitz an: linken
Fenster. Sie fühlten, daß er ein irgendwie über-
legener Mensch sein müsse. Keiner war so pünkt-
lich wie er. Selbst in den wilden und zügellosen
Tagen des Faschings, wo doch die Unregelmäßig-
keiten eigentlich die Regel waren, erschien Herr
Moosmüller, die schwarze Aktenmappe unterm
Arm, das grüne Lodenhütchen über dem ernsten
blassen Gesicht, mit eiserner Beständigkeit drei
Minuten vor Abgang des Zuges. Kritisch musterte
er dann die Mitfahrenden, und der dicke Realitäten-
besitzer Staberl, der gestern um drei Züge später
heimgefahren war und seiner Frau vorgelogen
hatte: sie seien ihm immer kurz vor der Rase
fort, — dieser alte Sünder rückte nervös hin inu
her und murmelte in einem fort ganz sinnlos:
„Dös is a Hetz! Dös is a Hetz!" m

Solch ein angesehener und unerschütteruche:
277ann war der Herr Moosmüller. So verlief sem
Leben Tag für Tag, und morgens wie abend»
betete er, nicht mit leeren Worten, aber durch die
Tat einer unbedingten Pünktlichkeit zu dem oc*
stirn, unter dem er geboren schien: zu den: runden
erbarmungslosen Zifferblatt, das den hastendem
hin- und herfahrenden Menschen die unaufhal '
same Vergänglichkeit ihres Treibens predigte, ohne
daß sie groß darauf achteten. ..

Moosmüller bemerkte dies nur zu wohl, um
mit Grausen malte er sich manchmal aus, wu
das wohl wäre, wenn eines Tages alle Um
still ständen? Dann würden diese oberflächlich
Leute wohl die tiefe Bedeutung eines pünktn}
Zeitmessers erkennen und den wert eines allezc
pünktlichen Mannes auch.

Aber dann würde es zu spät sein.

warum und wofür es dann eigentlich zu I?
sein sollte, hätte er freilich nicht sagen können,
dieser Stelle machten seine Gedanken regelinap j
Register
Oskar Adolf Hermann Schmitz: Dialog
Artur Bär: Vignette
Hanns Theodor Karl Wilhelm Frh. v. Gumppenberg: Erinnerungen
Eugen Kalkschmidt: Sein Fernzug
A. De Nora: Fragen
Franz Theodor Csokor: Die Schlacht bei Naseby
 
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