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Jugendliebe

Ich kannte dich mit sechzehn Jahren
Und Hab dich damals schon geliebt,

Als deine Lippe blühte unerfahren
Und doch so rot,

Als wenn sie Kirschen
Aus geschwungner Schale
Schon jetzt

Dem einst geliebten Manne bot! . . .

Dann sah ich dich als junge Mutter wieder,
Du hast es gkückversunken nicht gewußt,

Du tränktest wie aus einer frischen Quelle
Ein Kind aus deiner jungen Brust —

Dann sah ich dich, als dreißig du geworden,
Ganz reif und voll und rosenwarm,

Wie eine Knospe schritt ein schöner Knabe
Hold angeschmiegt an deinem Arm!

Du sahst mich an und wurdest rot
Und sprachst zu mir
So unerfahren,

Wie einst dein Mund mit sechzehn Jahren
Der Welt sich hin
Wie eine Kirsche bot:

„Mein Mann ist — tot!" . . .

Map Lewer

Mener bummellage

Von Joseph Aug. Lux

Im Frühjahr stehen meine alten Schmerzen
auf: Der Rheumatismus und der Wandertrieb.

Der Wandertrieb führt mich dahin, wo der
junge Wein blüht, was dem bohrenden Wurm
in meinen singenden Knochen am wenigsten be-
hagt, zurück zu den Rebenhügeln meiner Wiener
Heimat, wo der holde Rausch schläft.

Der Oenius loci ließ mich nicht vergessen,
er lief mir nach in die Fremde, wie ein treues
Hündchen, zupfte mich am Rock, hielt mich am
Ärm zurück, und erzählte mir die alten, un-
sterblichen Geschichten, die erfüllt sind von
Rührung und Iugendeselei.. .

Unsterbliche Geschichten aus den fürstlichen
Varockgärten, wo entlang den steinernen Liebes-
göttinnen mit lächelnden Brüsten und Waden,
und längs der geschnittenen grünen Hecken die
Säuglinge spazieren getragen werden vonAmmen,
deren lächelnde Waden jene der Musen und
Grazien beschämen. Geschichten aus zugigen
Torwegen und halb ländlichen Gassen mit ver-
witterten Mauern, vom mirakelhaften Licht der
Liebe verklärt, die hier gewartet hatte, mit
einem Herz voll Jubel und Zärtlichkeit, voll
bitterböser Worte und Tränen, wie es immer
der alte Inhalt der jungen Liebe ist.

Mein Freund aus Landshut, Privatier
Zollerer, will die Sache aus eigener Erfahrung
kennen lernen. Er hat viel vom „Süßen Mädel"
gehört, von der verrucht holden Verführung, die
dort an allen Ecken und Enden lauert. Als
tugendstrenger Familienvater nimmt er drei Tage
Urlaub, um persönlich zu prüfen, ob die Sitten-
verderbnis wirklich so weit gediehen ist. Er will
die Stadt in- und auswendig kennen lernen,
binnen drei Tagen, allerdings mit Hilfe meiner
fünfunddreißigjährigen Erfahrung. Ich finde
das nicht unverschämt. „Sie sind mein Mann,"
sage ich zu dem Freund aus Landshut, „laßt
uns zusammen reisen!"

Gut denn.

Die erste Erfahrung, die Sie machen, ist
natürlich eine Enttäuschung, wie bei allen Sachen,

die über den grünen Klee gelobt werden. Sie
werden die Perlen nicht auf den ersten Blick
heraussinden, und allein schon gar nicht. Sie
sehen zuerst eine Stadt mit furchtbar vielen
neuen Häusern, und behaupten, Sie hätten
solchen Mist anderswo auch schon gesehen.
Meinetwegen!

Man soll über eine Stadt, die man zum
erstenmal betritt, nicht eher schimpfen, als bis
man gegessen und getrunken hat. Nicht die
Museen, wo Gähnen und Langeweile ist, be-
stimmen den Kulturgrad einer Stadt, sondern
das gute Essen und Trinken. Von hier aus
ergibt sich alles andere von selbst. Die Speise-
karte allerdings bereitet Ihnen einige Verlegen-
heit. Ich verstehe jedes Wort. Sie vermissen
den schlechten Menüfraß ä eine Mark fünfzig,
denselben denaturierten billigen Flaschenwein mit
pompösen Aufschriften, dasselbe schale Hotelfrüh-
stück zu eine Mark fünfundzwanzig, bestehend
aus einer Riesenkanne abfarbigen Thees, einem
dürftigen Scheibchen Butter und einem Löffel
Honig aus Kartoffelsyrup, wie Sie es nebst an-
nähernd gleichen Zimmerpreisen überall in dem
wohlorganisierten Deutschland finden können.
Hier ist alles anders. Sie werden als „Herr
von" angeredet, als „Euer Gnaden" werden Sie
im Fiacker gefahren, Sie speisen wie ein Fürst,
trinken wie ein junger Gott und geben Trink-
gelder wie ein Krösus, dioblesss oblige! Sie
ärgern sich über das Trinkgeld, aber es hilft
nichts. Bei uns müssen Sie Kavalier sein.
Kavalier mit Gänsefüßchen. Aber Sie werden
zugeben, daß die Portionen groß waren, die
Güte vortrefflich, die Preise so lala. Ich weiß,
was Sie verstimmt. Die vielen Unterscheidungen.
Man kennt sich nicht aus. Schon beim Tisch-
gebäck beginnt es. Brötchen genügt nicht. Sie
haben die Wahl zwischen Baunzerl, Patent-
weckerl, Stritzerl, Girafferl, Kipferl, Bosniaken,
Prager Spitz, und vor allem dem delikaten
Salzstangerl. Und dann die Beratungen mit
dem sachkundigen Kellner, dem Sie sich anver-
trauen können wie einem Beichtvater, und der
schon beim ersten Gang, beim Rindfleisch, Ihr
Gewissen erforscht: weißes oder schwarzes Scher-
ze!, einen Kavalierspitz oder einen Kruspelspitz,
oder sonst ein erlesenes Stück, mager, fett oder
unterspickt? Sie kennen sich in dem ungeschrie-
benen Lexikon natürlich nicht aus. Sie sind hilf-
los wie ein Waisenknabe, Sie würden bei der
vollen Schüssel verhungern oder schleunigst ab-
reisen, wenn ich nicht dabei wäre. Selbst bei
einer so einfachen Sache, wie Kaffee, können
Sie nicht das Rechte bekommen, wenn Sie nicht
unterscheiden zwischen einem Schwarzen, einem

Kapuziner, einem Berliner, einer kleinen oder
großen Melange, mit oder ohne Haut, mit oder
ohne Schlagobers.

Sie sind mit Recht wütend und fragen,
warum kein Wort davon im Baedeker siebt ^

Warum also?

Wir sind eben im Lande der Individualitäten.

Sie sind noch immer nicht zufrieden, Sie
wollen heute noch was mitmachen? Den ver-
fluchten Kerl spielen? Was wird die verehrte
Gattin dazu sagen? Ach, die ist ja so weit!
Richtig, die ist ja so weit. Ha, ha, ha! Habe
nie so gelacht. Wo ist Wien bei Nacht? Laßt
sehen!

Mein Freund wünscht es, befiehlt es. Er will
den Freudenbecher auf einmal leeren. Irgendwo
hör' ich Grinzinger Geigen. Eine Fiedel weint,
eine Guitarre schluchzt, grunzt, zirpt, Natur-
sänger tremolieren. Ein holdes Mädchen trägt
mit klassischer Anmut ein Blumenkörbchen, die
klassische Schöne neigt sich über den Freund
aus Landshut und steckt ihm ein Sträußlein
ins Knopfloch. Sie wird ein fürstliches Trink-
geld dafür empfangen. Es ist wie im Paradies.
Sie fühlen Ihre Jugend wiederkehren, Sie
werden wieder zum Kind, Sie weinen und wissen
nicht warum. Dann lachen Sie und wissen
ebenso wenig warum. Dann versuchen Sie zu
singen, obzwar Sie keine Stimme haben. Sie
schnalzen mit den Fingern den Takt dazu, her-
nach beginnen Sie gar zu jodeln. Um vier Uhr
früh werden Sie hinausgeschmissen. Ein Fiaker
bringt Sie in das Hotel zurück. Sie wollen ihm
den Preis einer Droschke bezahlen. Ein Glück
für Sie, daß es nicht am Ende auch Prügel
abgesetzt hat. Geruhsame Nacht! Ihr Bett
tanzt wüst im Kreise herum auf einem Bein,
mit drei Beinen in der Lust, hopsa! Heiterer
Abend, wie? Wär's nur schon vorüber!

Am anderen Mittag sonnt sich mein Freund
als Rekonvaleszent im Cafs, mit einem Gesicht
wie eine eingeschlagene Gaslaterne. In der
rechten Hand hält er zitternd das dritte Schälchen
schwarzen Kaffee, in der linken das Eisenbahn-
kursbuch.

„Es ist doch ein fauler Zauber," murmelt
er. Es verlangt ihn nach seinen Lieben, nach
der, wenn auch nicht mit Anmut, so doch mit
Tugend gegürteten Gattin, nach einem geruh-
samen Leben, nach der schmählich betrogenen
Ehrbarkeit. Er fühlt sich plötzlich moralisch
gehoben, und beschließt, ein ethisches Buch zu
schreiben über Sodoms Ende, als Warnung
für alle sittsamen Jungfrauen und Jünglinge.

Abreisen? Pfui über Euch! Der Urlaub
ist noch nicht zu Ende. Sie müssen ja erst
die Stadt kennen lernen. Mit den Museen
will ich Sie verschonen, weil ich ein Mensch bin
und ein Herz habe. Aber die moderne Galerie
müssen Sie sehen. Die Meister des Wiener
Bodens, Waldmüller, Makart, Klimt.

Sie schneiden eine Grimasse. Sie wollen
nicht?

Nur keinen Kunstgenuß heute!

Aber wer sagt Ihnen? Ich meine nicht die
Bilder, sondern die Modelle, die lebendige
Galerie, die uns Ecke der Kärtnerstraße und
schließlich in allen Teilen der Stadt entgegen-
läuft, die schönen Frauen und Mädchen, die
man gesehen haben muß, um jene Meister zu
verstehen, und um noch vieles andere zu ver-
stehen . . .

Sie haben diese Frauenschönheit noch nicht
bemerkt? Sie sind talentlos, lieber Freund,
absolut talentlos!

Wir fahren ins Weingelände hinaus, auf
den Kahlenberg, um von dort den alten Steffel
zu begrüßen. Unterwegs begegnet uns eine korn-
blümeleinblauäugige, goldblondumwogte Schöne.
Das Mädchen schreitet mit stolzer Anmut durch
die träumenden Gassen. Nicht frech sein, bitte!
Da geht die Minne, da geht das Lied, da geht
die holde Fee Erinnerung. Ich habe einmal
das Lied gekannt. Allein den Reim, den Reim
habe ich vergessen. Nun kenne ich ein anderes
Register
Cäcilie Schmidt-Goy: Vignette
Joseph August Lux: Wiener Bummeltage
Max Bewer: Jugendliebe
 
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