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Beethoven-Monat

Pott Paul Stefan

Ich fühle, ich weiß, es ist die Zeit der
urewigeii Sehnsucht, Advent.

Und eine Stunde alter Träume trägt es
1 mir zu, wie ich einmal im stillen Döbling
I schleuderte und zum ersten der Häuser Beet-
I Hovens kam. Wie er in mir lebendig wurde,

' wie ich Plötzlich wußte, warum er in diesen
" Tagen in die Welt gekommen ist. Wie mich
der Hauch seiner Leidenschaft ergriff, daß ich
den verlassenen Pfaden von Heiligenstadt
stürmend folgte, daß ich außer Atem stand
und ruhte und wiederum, heiliger Erkenntnis
mächtig, zu fliegen vermeinte in meiner Ent-
zückung. Wie ich des Fidelio dachte, den
sie an diesem Abend spielen würden, in
wenigen Stunden schon, der Stelle, wißt ihr,
da der gemarterte Florestan aus dem Kerker
in den Himmel der Blutzeugen einzugeheu
wähnt. „Ein Engel, Leonore . . . ?"

Wie ich mich dann im Theater fand, und
die Mildenburg und Gustav Mahler mit
ihrem Gott rangen. Und wie ich zuletzt in
der leeren Studentenstube fiebernd lag, und
vom Geist getrieben, gequält, nach Menschen
hungerte, nach Liebe dürstete. Aber die Nacht
schritt vor und keine Stimme tönte. . .

Und nun zwänge ich mich durch das
Gewühl der Berliner Straßen. Advent,
Beethovenzeit! Gewiß, das Weihnachtsge-
schäft ist rege. Und bin selbst ein Söldner
des Tages geworden und habe Teil an ihrer
Hast und keine Muße mehr zu weilen.

Doch stärker, stärker ist, wenn sie
erwacht, die Musik der urewigen
Sehnsucht.

*

In Memoriam!

„Es ist spät in der Nacht. Ein
Stoß vergilbter Blätter liegt vor mir.

Ein Menschenleben steigt daraus em-
por. Gleichsam das geheime zweite
Leben, das ein unermüdlicher, weit
ausgreifender, hochgestimmter und viel-
begabter Mann neben seinem öffent-
lich bekannten, klar vor aller Augen
liegenden Werktagsdasein gelebt und
in Verse gebracht hat. Ein Leben im
Geiste und in der Sehnsucht, des Rin-
gens mit dem Ich und mit der Welt,
innerer Wahrhaftigkeit und Selbstbe-
freiung, feingestimmten Naturgefühls
und dunkler Leidenschaftstöne. Ein
Leben, dem in Liebe, Genuß und Leid
nichts Menschliches, auch das Mensch-
lichste nicht, fremd geblieben/'

Mit diesen Worten beginnt Max
Halbe die Einleitung zu einer Ge-
dichtsammlung, die unter dem Titel

Larmina

von Frieclrlck kosentkal

im Verlag von Lothar Joachim
(München 1910) erschien. Wir ent-
nehmen der Sammlung mit gütiger
Erlaubnis das nachfolgende Gedicht,
das noch jetzt, wie seit vielen Jahren,
im Münchner Männer-Turnverein und
allüberall im „Schlaraffen"-Bund ge-
sungen wird, und zwar nach einer Kom-
position, die gleichfalls von Friedrich
Rosenthal herrührt. Im Buchhandel
ist die Komposition nicht erschienen, in
den Liederbüchern der „Schlaraffia"
aber dürste der Notensatz zu finden sein.

Friedrich Rosenthal, „Mensch, Iustiz-
rat und zuletzt auch Poet," wie Max

Die Bilanz des Lebens

Aus Anlaß des kleinen Aufsatzes „Deutsches"
in Nr. 50 der „Jugend" bin ich um Aufklärung
über meine Begriffe von Entropie und Ektropie
ersucht worden. In aller Kürze: Es handelt sich
gewissermaßen um die Bilanz oder Buchhaltung
materieller Systeme. Wenn es auch kein
absolut in sich abgeschlossenes (adiabatisches)
System gibt, so ist doch namentlich bei allen
Organismen ein relativer Abschluß gegen
die Umgebung sowohl bezüglich der wägbaren
Massen als der Energie vorhanden. Die En-
tropie umfaßt nun Alles, was „hineingehört"
und was drinnen ist (auch wenn es eigentlich
nicht hineingehört!), sie entspricht also etwa der
kaufmännischen Inventur im weitesten Sinne,
beschäftigt sich mit dem Werte der Betriebs-
einrichtungen und Faktoreien, begreift alle wirk-
lichen Einnahmen und Aktiva ohne zweifelhafte
Außenstände; die Ektropie dagegen stellt die
Summe der nach außen gerichteten wirklichen
Leistungen des Systems dar, in gewissem Sinne
also der Passiva, der Ausgaben und Verpflich-
tungen, nur daß hier scheinbarer Verlust oft
Gewinn und bei der Entropie ziffernmäßiger
Gewinn oft Verlust bedeutet.

Die Schwierigkeiten der „hygienischenBilanz"
liegen, gradeso wie die der kaufmännischen,
weniger in der Technik der Buchführung, als
in der Abschätzung der eigenen Potentiale und
der auswärtigen Beziehungen, überhaupt im
„Diabatischen". Jedes lebende System hat seine
faulen Kunden und Lieferanten. Vorsicht ist
auch hier die Mutter der Weisheit.

Mit der Clausiusschen Weltentropie der
Wärme hat die Entropie der Keimsysteme nicht
viel zu tun, ja sie ist ihr nahezu vollkommenes
Gegenteil, weil es sich dort um Verschleu-
derung in einem nicht einmal relativ abge-
schlossenen System (dem grenzenlosen proble-
matischen Weltsystem),*) hier dagegen um die
Erhaltung und Steigerung der
Kräfte für sehr bestimmt umschrie-
bene irdische Systeme handelt, die ich
mit Rücksicht auf ihre mögliche Höher-
entwickelung „frei-konservative" ge-
nannt habe — ohne damit auf die
gleichnamige Reichstagspartei anspie-
len zu wollen. Georg Hirlk

*) Faßt man unsere Mutter Erde als
„System" auf, so müßte eigentlich ihre
Wärmeabgabe an das Weltall als Ab-
schreibung unter den Passivis, mithin als
Ektropie gebucht werden. Der Energie-
hunger der organisierten Materie, die ja
über die ganze Erde (auch in den Polar-
meeren) verbreitet ist, bildet sogar einen
sehr erheblichen Antagonismus gegen das,
was Clausius „Wärmeentropie" nennt.

*

Liebe Jugend!

In lVürzburg oben war's. Mit mir
stieg ein bierehrlicher Rechtspraktikant
ins Doktorexamen der Iuristenfakultät.
Der Mann hatte offenbar in Erlangen
sein Schlußexanien gemacht. Dreimal
schon hatte er. bewiesen, wie abhold er
aller Theorie war. Der letzte Examinator,
ein milder Greis, fragte ihn schließlich
wohlwollend, unter wessen Regierung
die Lonstümio Lriwinalis C a r o 1 i n a
erlassen wurde. Der gute Mann sann
lange nach und platzte endlich heraus:
Unter Karl! „Na, unter welchem Karl?"
fragte bescheiden der alte Professor. Und
da der Kandidat hartnäckig schwieg, suchte
er ihm zu helfen, indem er seine fünf
Finger spreizte und sie aufs pauxt legte,
lieber das Gesicht des Kandidaten zieht
eine tiefe Erleuchtung und mit fester
Stimme trompetet er: „Unter Karl dem
Kahlen!"

Halbe von ihm sagt, starb im Jahre 1906 zu
München. Mögen die Klänge seines Weihnachts-
liedes die Erinnerung an ihn aufs neue beleben I

keim MeibnacklsbLum

Brennt an die Lichter am Weihnachtsbaum'
Ihr Glanz erstrahle hell;

Noch einmal träume den alten Traum,

Sei wieder ein Kind, Gesell!

Und ob manche Hoffnung, die stolz wir gehegt,
Das feindliche Schicksal zerknickt

und zerschlägt,

Heut' laßt uns fröhlich wie Kinder sein,
Bei des Weihnachtsbaums funkelndem

Schein!

Die Lichter brennen am Weihnachtsbaum
In feierlicher Pracht!

Ein längst entschwundener Kindertraum
Steigt auf aus dunkler Nacht!

Manch' lange vergessenes liebe Gesicht
Taucht wieder empor in dem zitternden Licht,
Verstohlen blinket manch' Tränelein
Bei des Weihnachtsbaumes funkelndem

Schein.

Die Lichter erlöschen am Weihnachtsbaum,
Doch eins bleibt uns bewußt.

Wohl ist das Glück nur ein flüchtiger Traum,
Doch wohnt es in unserer Brust.

Wer treu in des Lebens verdrießlicher Fahrt
Den Sinn sich für Schönes und Edles bewahrt,
Dem leuchtet es heimlich ins Leben hinein,
Wie des Weihnachtsbaums funkelnder

Schein.

Runftgewerbliches K- Arn°id

„Ich habe einen großartigen Auftrag bekommen, — muß morgen
Abend bei Rommerzienrat von wollner ein Spanferkel künstlerisch

garnieren!"
Index
Karl Arnold: Kunstgewerbliches
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Georg Hirth: Die Bilanz des Lebens
[nicht signierter Beitrag]: In Memoriam!
Paul Stefan: Beethoven-Monat
 
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