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Neujahr

Ich denke mir das junge Jahr
Scharf wie ein Schwert — und wie

den Nachtfrost klar.
Es scheint zu sprechen: meine Hand ist rein.
Laß du begrab'nes auch begraben sein.

Es scheint zu sprechen: meine Hand ist stark.
Gib acht, sie greift auch dir noch bis ans Mark.
Es scheint zu sprechen: meine Hand ist gut.

Da hebt mein Herz gewaltig an zu schlagen;
Tu junge Majestät, laß dir den Willkomm

sagen:

Ich habe Mut!

Dora Stieler

Herrin

Du bist die Stimme, deren Trost ich spüre,
Wann durch den Dämmer rote Flocken wehn,
Und wann ich schweige und dochZwiesprach führe
Mit guten Geistern, die mich treu verstehn.

Du bist der Atem, den in Sommernächten
Die Wiese duftet und der Quell verweht;

Du bist die Seele, die in süßen Prächten
Mitten im Reigen meiner Träume steht.

Du bist die Herrin, die in meine Gleise
Die scheue Spur geliebten Lebens prägt
Und die von Hoffnung und von Sehnsucht weise
Die sieben Bogen zu den Sternen schlägt.

Du Trost dem Tage, Licht dem dunklen Steige,
Du bist die Kraft, die mich umstiedet hält,
Daß ich im Lärm mich still den Ewigen neige,
Dem Leben nah und weit von dieser Welt.

Victor Hardung

Vor einer Kirche

Hier schläfst du, Herr, im hohen Dämmerbogen,
Und fühlst vom Knieenden, der dich verehrt,
Dich wundersam in deiner Ruh gestört,

Und wonnevoll aus dir herausgezogen.

Und wie sein dringendes, sein heißes Flehen
Sich inniger in deine Nähe hebt,

Und dich mit Lust- und Klageschrei umschwebt,
Fühlst du's wie Traumgestalten dich umwehen.

Der Welt Verwirrung, Schauder, Glück

und Schade,

Du siehst's, — und lächelst still auf Traumesart
— Doch der Gebeugte spürt so blumenzart
Im Herzen tief die ewigliche Gnade.

Erika Rheinsch

Liebesgabe

Die Sterne ziehen ihre Kreise,

Die uns die Nacht als Kerzen hält;
Und still auf seiner Himmelsreise
Löst sich ein Funke, und er fällt.

Dehn deine Arme in dies Glänzen,

Du liebes, liebes Wunder du —

Aus seinen vollen Sternenkränzen
Wirst dir der Himmel eine Blume zu.

Max Gcißlcr

J. Wuerstl

Die Bronze

von G. v. d. Gabclentz (Dresden)

a&l arl von Wettenstein hielt man allgemein
AH für einen sonderbaren Kauz. Frühzeitig
schon hatte er das Unglück gehabt, seine Eltern
zu verlieren, und das Glück, ein großes Ver-
mögen zu erben. Nun lebte er ganz sich selbst.
In Gesellschaft ward er wenig gesehen, auf
Bällen traf man ihn nie, und nur selten be-
gegnete man ihm im Theater. Seine ganze
Zeit, sein ganzes Dasein gehörte ausschließlich
seinen Sammlungen.

Eines Tages durchwanderte er sie mit einem
alten Bekannten, denn es bereitete ihm immer
von neuem Vergnügen, seine Schätze zu zeigen,
und während sie von Stück zu Stück gingen,
das eine oder andere in die Hand nahmen,
sagte er: „Je länger man sich mit all diesen
Sachen einspinnt, um so tiefer wird in uns
die Ueberzeugung, daß der Verkehr mit Menschen
nicht unterhaltender sein kann, als der mit diesen
Dingen, die man nur fälschlich tot nennt. Sie
haben alle ihr eigenes, zuweilen überraschendes
Leben. Darum, du weißt, ging ich nur selten
aus, und meist nur, um Antiquare aufzusuchen,
oder Künstlerateliers, wo ich etwas für meine
Sammlungen zu finden hoffte. Dabei hatte ich
jenes fröhliche Erlebnis, dessen Bericht du heute
anhören sollst."

Herr von Wettenstein schlug einen türkischen
Teppich zurück, der den Eingang zum Speise-
saal deckte. Zwischen den beiden Fenstern er-
hob sich auf einer Säule aus weiß und gelb
geflecktem Marmor die Bronzebüste eines noch
jungen Mannes.

„Sieh dort diese Büste," sagte der Sammler,
„sie steht mir näher als all die anderen Dinge
hier umher."

„Du hast den Dargestellten gekannt?"

„Nein, keine Minute. Ich Hab den Kerl
nie im Leben gesehen. Die Geschichte spann
sich so an: Eines Tages sah ich auf einer Aus-
stellung die Arbeiten eines noch unbekannten
Bildhauers. Mir schien in ihnen ein gewisses
Talent zu stecken, ein Versprechen ruhmreicher
Zukunft, und ich nahm mir vor, den Künstler
in seiner Werkstatt aufzusuchen. Aber uner-
wartete Geschäfte stahlen mir die Zeit, ich ver-
schob es von Tag zu Tag, vergaß es endlich,
und erst als ich von einer längeren Reise heim-
kehrte, fiel mir jener Bildhauer wieder ein.

Eines Morgens fuhr ich nach seinem Atelier.
Beim Eintreten in den Flur des Hauses schlug
mir der süßliche Geruch welker Blumen ent-
gegen. Schritte klangen, ein Mann in blauem
Arbeiterkittel begegnete mir, voll Staub, eine
Kiste auf dem Rücken. Ich fragte ihn nach
meinem Künstler.

„ „Da brauchen Sie sich nicht weiter zu be-
mühen," bekam ich zur Antwort, „der Herr ist
tot, die Sachen werden alle weggeschafft. Die
Frau aber wohnt drüben im zweiten Stock,
wenn Sie etwa zu ihr wollen?"

Enttäuscht, mit einem Gefühl schlechten
Gewissens, machte ich Kehrt. Ich hätte den
Besuch nicht, gleich so manchen anderen
guten Vorsätzen auf die lange Bank schieben
sollen.

Daheim richtete ich einige Zeilen an die
Witwe. Mich trieb das Mitleid, ihr zu
sagen, daß ich gern ihren Mann gekannt,
gern etwas von einem so begabten Künstler
erworben hätte, und seinen vorzeitigen Tod
aufrichtig bedauere. Als ich den Brief in
den eisernen Bauch des Postkastens fallen
hörte, erfaßte mich, ich weiß nicht warum,
eine gewisse Unruhe, sie ließ mich nicht locker,
und ich wartete auf die Antwort der mir
völlig unbekannten Dame, als solle mir
diese etwas Besonderes bedeuten.

Doch ihr Brief bedeutete nichts, Zeilen
des Dankes, wie man sie an irgend einen
Fremden richtet. Ihr Papier aber hatte
einen so zarten und angenehmen Wohlgeruch,
daß ich es unwillkürlich an die Nase führte und
beschnupperte. Mehrmals. Erst am nächsten
Tage warf ich es weg.

Das war also abgetan, und ich hörte wohl
zwei Monate nichts mehr von der Witwe des
Künstlers, auch fein Name entfiel mir fast, so
rasch wird heute immer etwas Neues vor unser
Gesicht gerückt. —

Da erhielt ich zu meinem Erstaunen einen
Brief der Witwe. Sie bat mich um die Adresse
eines Kunsthändlers. Die Not nämlich zwinge
sie, auch das letzte Werk ihres verstorbenen
Gatten herzugeben, eine Bronzebüste, die er
kurz vor seiner Erkrankung von sich selbst an-
gefertigt. Durch eine ungeschickte Hand sei das
Tonmodell zerschlagen, sie trenne sich darum
nur mit weinendem Herzen von diesem letzten,
das stündlich sie noch an den teuren Toten er-
innert und ihr seine Gegenwart vorgezaubert
habe, wenn sie in den vereinsamten Räumen
ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung nach-
hänge. Darum wolle sie das Werk nicht dem
ersten besten übergeben.

Das etwa w.aren ihre Worte.

Der Brief ergriff mich. Aus diesem kleinen,
duftenden, mit einer zierlichen und eigenartigen
Frauenhandschrift bedeckten Papier schienen so
viel Trauer, Entsagung, ein so weiches Herz,
so viel weibliche Zaghaftigkeit zu sprechen, daß
einem die Schreiberin sympathisch werden mußte.

Ich setzte mich sofort an den Tisch, nahm
meinen schönsten Bogen, bat mir die Bronze
zuzusenden und versprach, mich nach besten
Kräften für den Verkauf zu interessieren.

Schon am nächsten Tag brachte ein Dienst-
mann die Büste mit einem neuen Briefchen voll
Dankbarkeit.

Das Werk gefiel mir so gut, daß ich der
jungen Frau antwortete, ich wolle es selbst er-
werben, und um Angabe des Preises ersuchte.
Aus ihrer Antwort sprach die ganze Zartheit
ihres Herzens.

Sie freue sich, die Bronze in meinem Besitz
zu wissen, doch sei ihr der Gedanke unerträglich,
sie nie wiederzusehn. Darum bitte sie um die
Erlaubnis, die Büste hin und wieder, wenn
ich dadurch nicht gestört würde, besuchen zu
dürfen. In Anbetracht dieses sonderbaren Ver-
langens könne sie auch keine Summe nennen,
ich möge selbst den Wert bestimmen.

Ich fand den Wunsch der Armen begreiflich
und rührend, wie hätte ich ihn abschlagen können.
In aller Eile ließ ich die Bronze von zwei
Kunsthändlern abschätzen, übersandte ihr den
höheren der mir genannten Beträge und schrieb,
sie möge das Kunstwerk besuchen, wann und
so oft sie wolle. Im ersten Augenblick dachte
ich daran, ihr das Werk noch bis auf weiteres
ganz zu überlassen. Dann aber, ich gestehe es,
verlockte mich die Aussicht, auf diese gewiß
nicht alltägliche Weise die junge Frau, mit der
ich bisher nur im Briefwechsel gestanden, von
Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.

Um der Bronze einen würdigen Platz zu
geben, kaufte ich die Säule aus Marmor und
stellte sie in den Speisesaal. Dort konnte die
Register
Dora Stieler: Neujahr
Georg v. d. Gabelentz: Die Bronze
Erika Spann-Rheinsch: Vor einer Kirche
Victor Hardung: Herrin
Johann Wuerstl: Vignette
Max Geißler: Liebesgabe
 
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