Pony-Gespann
Es war ein rührendes Bild! Die junge
Frau hatte die Hönde im Nacken der Figur
gefaltet, und ihr Mund preßte sich auf die
starren Bronzelippen, während vom Marmor-
sockel sich die zierliche, ganz in schwarz geklei-
dete Gestalt abhob. Ungestört genoß ich den
überraschenden Anblick. Mein Besuch hielt die
Augen geschlossen und die bleiche Wange an-
geschmiegt an die dunkle der Bronze.
So verharrte die Fremde, Brust an Brust
mit dem toten Bildwerk. Eine Ewigkeit er-
schien mir's, bis sie sich mit einem letzten Kuß
von den kalten Lippen löste. Sie trat einen
Schritt zurück, breitete mit einem tiefen Seufzer
noch einmal in Sehnsucht die Arme aus. und
wandte sich um. Rasch schob ich den Teppich
ganz zurück und redete sie an.
Nie hatte ich ein schöneres Antlitz gesehen
als das ihre. Weiß Gott, es übertraf alle
meine Träume, obgleich noch die Schatten einer
tiefen Schwermut um Augen und Mund lagen.
Sie schien nicht erstaunt oder erschrocken, daß
ich sie begrüßte, wie ich erst befürchtet. Es war
mir sogar, als habe sie das wie ein Gebot der
Höflichkeit erwartet. Als sie sich nach einigen
Worten des Dankes entfernen wollte, bat ich
sie, noch ein wenig zu bleiben, da man ihr aus
der Straße die Tränen ansehen würde, die ihre
langen Wimpern gefeuchtet hatten. Mit einem
prüfenden Blick in den Spiegel gab sie nach,
und wir plauderten eine Weile.
Ich war so glücklich, mit diesem schönen
und liebenswürdigen Geschöpf allein zu sein,
daß ich alle Kunst aufbot, es möglichst lang zu
fesseln. Endlich aber erhob sich die junge Frau
um zu gehen. Bei der sonderbaren Art unserer
Bekanntschaft durfte ich nicht in sie dringen,
länger zu verweilen.
Aber unter der Tür wagte ich die Bitte,
wenn sie sich daheim einsam fühle, möge sie mir
die Freude ihres Besuches machen. Sie schien
lebhaftes Interesse für die Gegenstände meiner
Sammlung zu hegen, ich wollte ihr alles zeigen.
Dankbar streckte sie mir die Hand hin, und
drei Tage später überraschte sie mich zur Tee-
stunde. Ihr erster Gruß galt der Bronze, und
obgleich ich mich rücksichtsvoll zur Seite kehrte,
sah ich doch, daß sie wieder einen langen Kuß
auf die Bronzelippen drückte.
Mit einem Erröten, das ihrem unschuldigen
Kindergesicht reizend stand, trat sie dann zu
•/
mir, und ich geleitete sie von Zimmer zu Zimmer.
An jedem Stück fand sie ihre Freude, und ich
mußte die Leichtigkeit des Geistes bewundern,
mit der sie zu allen den Dingen, den Schnitzereien,
Gläsern, Porzellanfiguren, Waffen und Stichen
sich in ein Verhältnis zu setzen wußte. Und sie
entwickelte Geschmack und feines Empsinden,
so gut für die Schönheit einer herben Heiligen-
figur des Mittelalters, wie für die Farbenglut
eines alten Rubinglases oder die Anmut einer
Meißener Gruppe. ^ .
Nachdem wir eine Weile meine Sachen be-
trachtet, setzten wir uns in den Salon. Der
Diener brachte das Teezeug, sie bat lächelnd
um die Erlaubnis, mir den Tee zu bereiten,
und allerliebst war ihre Art, sich dieser kleinen
Hausfrauenpflicht zu unterziehen. Dann ließ
sie sich mir gegenüber nieder, wir unterhielten
uns wie zwei gute Freunde, und ich konnte
mich nicht sattsehen an der Grazie, mit der sie
die Tasse an die Lippen setzte, oder nach dcr
Serviette, nach dem Kuchen griff. Ich war hin-
gerissen von ihrer Figur, deren Linien sich im
Trauerkleide abzeichneten, entzückt von ihren
schmalen Füßen und feinen Knöcheln.
Die Zeit verging uns im Fluge, und die junge
Dame war schon lange wieder verschwunden, da
saß ich noch immer auf dem Stuhl, dcm ihren
gegenüber, und träümte von ihren Augen, diesen
dunklen, sanften und doch undurchdringlichen
Augen. Ich versuchte in ihnen zu lesen — un-
möglich. Ich glaube, eher hätte der tiefste See
seine Geheimnisse verraten, als daß man durch
die Augen dieser Frau den Grund ihrer Seele
Adolf Münzer (Düsseldorf)
hätte erkennen können. Es ist selbstverständlich,
daß ich sie bat, ihre Besuche recht oft zu wieder-
holen, denn ich hatte ihr noch mancherlei zu
zeigen, einige Mappen mit alten Stichen, auch
eine kleine Sammlung japanischer Elfenbein-
schnitzereien. Sie tat mir den Gefallen und ent-
schuldigte ihr häufiges Kommen mit dem melan-
cholischen Scherz, daß sie ja hier unter der Ob-
hut ihres Gatten stehe. Auch eilte sie jedesmal
zuerst an die Bronze, strich ihr liebkosend mit
der feinen Hand über das Haupt, über die
Wangen, küßte sie auf die Lippen, wie man
einen Geliebten küßt.
Und wenn mich die junge Frau wieder ver-
lassen, trat ich zuweilen selbst schnell vor die
weiße Marmorsäule, um mit dem Munde die
Bronzelippen zu suchen, die sie geküßt. Und
i
Es war ein rührendes Bild! Die junge
Frau hatte die Hönde im Nacken der Figur
gefaltet, und ihr Mund preßte sich auf die
starren Bronzelippen, während vom Marmor-
sockel sich die zierliche, ganz in schwarz geklei-
dete Gestalt abhob. Ungestört genoß ich den
überraschenden Anblick. Mein Besuch hielt die
Augen geschlossen und die bleiche Wange an-
geschmiegt an die dunkle der Bronze.
So verharrte die Fremde, Brust an Brust
mit dem toten Bildwerk. Eine Ewigkeit er-
schien mir's, bis sie sich mit einem letzten Kuß
von den kalten Lippen löste. Sie trat einen
Schritt zurück, breitete mit einem tiefen Seufzer
noch einmal in Sehnsucht die Arme aus. und
wandte sich um. Rasch schob ich den Teppich
ganz zurück und redete sie an.
Nie hatte ich ein schöneres Antlitz gesehen
als das ihre. Weiß Gott, es übertraf alle
meine Träume, obgleich noch die Schatten einer
tiefen Schwermut um Augen und Mund lagen.
Sie schien nicht erstaunt oder erschrocken, daß
ich sie begrüßte, wie ich erst befürchtet. Es war
mir sogar, als habe sie das wie ein Gebot der
Höflichkeit erwartet. Als sie sich nach einigen
Worten des Dankes entfernen wollte, bat ich
sie, noch ein wenig zu bleiben, da man ihr aus
der Straße die Tränen ansehen würde, die ihre
langen Wimpern gefeuchtet hatten. Mit einem
prüfenden Blick in den Spiegel gab sie nach,
und wir plauderten eine Weile.
Ich war so glücklich, mit diesem schönen
und liebenswürdigen Geschöpf allein zu sein,
daß ich alle Kunst aufbot, es möglichst lang zu
fesseln. Endlich aber erhob sich die junge Frau
um zu gehen. Bei der sonderbaren Art unserer
Bekanntschaft durfte ich nicht in sie dringen,
länger zu verweilen.
Aber unter der Tür wagte ich die Bitte,
wenn sie sich daheim einsam fühle, möge sie mir
die Freude ihres Besuches machen. Sie schien
lebhaftes Interesse für die Gegenstände meiner
Sammlung zu hegen, ich wollte ihr alles zeigen.
Dankbar streckte sie mir die Hand hin, und
drei Tage später überraschte sie mich zur Tee-
stunde. Ihr erster Gruß galt der Bronze, und
obgleich ich mich rücksichtsvoll zur Seite kehrte,
sah ich doch, daß sie wieder einen langen Kuß
auf die Bronzelippen drückte.
Mit einem Erröten, das ihrem unschuldigen
Kindergesicht reizend stand, trat sie dann zu
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mir, und ich geleitete sie von Zimmer zu Zimmer.
An jedem Stück fand sie ihre Freude, und ich
mußte die Leichtigkeit des Geistes bewundern,
mit der sie zu allen den Dingen, den Schnitzereien,
Gläsern, Porzellanfiguren, Waffen und Stichen
sich in ein Verhältnis zu setzen wußte. Und sie
entwickelte Geschmack und feines Empsinden,
so gut für die Schönheit einer herben Heiligen-
figur des Mittelalters, wie für die Farbenglut
eines alten Rubinglases oder die Anmut einer
Meißener Gruppe. ^ .
Nachdem wir eine Weile meine Sachen be-
trachtet, setzten wir uns in den Salon. Der
Diener brachte das Teezeug, sie bat lächelnd
um die Erlaubnis, mir den Tee zu bereiten,
und allerliebst war ihre Art, sich dieser kleinen
Hausfrauenpflicht zu unterziehen. Dann ließ
sie sich mir gegenüber nieder, wir unterhielten
uns wie zwei gute Freunde, und ich konnte
mich nicht sattsehen an der Grazie, mit der sie
die Tasse an die Lippen setzte, oder nach dcr
Serviette, nach dem Kuchen griff. Ich war hin-
gerissen von ihrer Figur, deren Linien sich im
Trauerkleide abzeichneten, entzückt von ihren
schmalen Füßen und feinen Knöcheln.
Die Zeit verging uns im Fluge, und die junge
Dame war schon lange wieder verschwunden, da
saß ich noch immer auf dem Stuhl, dcm ihren
gegenüber, und träümte von ihren Augen, diesen
dunklen, sanften und doch undurchdringlichen
Augen. Ich versuchte in ihnen zu lesen — un-
möglich. Ich glaube, eher hätte der tiefste See
seine Geheimnisse verraten, als daß man durch
die Augen dieser Frau den Grund ihrer Seele
Adolf Münzer (Düsseldorf)
hätte erkennen können. Es ist selbstverständlich,
daß ich sie bat, ihre Besuche recht oft zu wieder-
holen, denn ich hatte ihr noch mancherlei zu
zeigen, einige Mappen mit alten Stichen, auch
eine kleine Sammlung japanischer Elfenbein-
schnitzereien. Sie tat mir den Gefallen und ent-
schuldigte ihr häufiges Kommen mit dem melan-
cholischen Scherz, daß sie ja hier unter der Ob-
hut ihres Gatten stehe. Auch eilte sie jedesmal
zuerst an die Bronze, strich ihr liebkosend mit
der feinen Hand über das Haupt, über die
Wangen, küßte sie auf die Lippen, wie man
einen Geliebten küßt.
Und wenn mich die junge Frau wieder ver-
lassen, trat ich zuweilen selbst schnell vor die
weiße Marmorsäule, um mit dem Munde die
Bronzelippen zu suchen, die sie geküßt. Und
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