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ich fühlte nicht das Metall, sondern ihre süßen,
leckenden Lippen, daß mich dabei eine Art
Trunkenheit, eine Seligkeit des Besitzes über-
kam, wie ich sie vordem nie, auch nicht bei
den kostbarsten Stücken meiner Sammlung emp-
funden. Selbst der Liebreiz jenes Venuskopfes
aus Marmor dort am Schreibtisch verblaßte
vor dem Zauber, der heute von der Büste dieses
mir völlig unbekannten und eigentlich ganz
gleichgültigen Menschen ausging.

Kurz, mein Leben schien mir erfüllt mit etwas
Köstlichem, einem eigenen Geheimnis, süßer als
alle jene Rätsel, die in den Dingen da um mich
herum schlummern, und an denen bisher mein
ganzes Dichten und Trachten gehangen.

Mit wachsender Ungeduld erwartete ich immer
ihr Kommen. Sehr bald erkannte ich ihre An-
kunft an der Art zu klingeln, ich zitterte vor
Freude, wenn ich ihren Schritt im Flur hörte.
Wochen vergingen, sie wurde gewissermaßen
meine Schülerin. Wir lasen zusammen Bücher
über Kunst, und eines Tages gestand sie, daß
sie sich nichts sehnlicher wünsche, als auch eine
kleine Sammlung anzulegen, nur ganz klein,
um sich daheim in ihrer Trauer und Einsamkeit
zu zerstreuen.

„Was möchten Sie wohl sammeln?" fragte ich.

Sie dachte eine Weile nach. „Vielleicht
Stickereien oder alte Spitzen, das ist etwas so
Schönes."

Da gingen wir zusammen zu Bernheimer,
und es fand sich, daß dieser vor kurzem eine
Reihe wertvoller Spitzen erhalten hatte. Die
junge Frau schlug vor Freude die Hände zu-
sammen und wählte mehrere der schönsten aus.
Plötzlich aber wurde sie traurig, ihre Augen
lekamen einen wehmütigen Ausdruck. Indem
ie die ausgesuchten Stücke wieder beiseite schob,
agte sie:

„Ach, es ist manchmal so schwer, vernünftig
zu sein."

Ohne zu überlegen, raffte ich die köstlichen
Erzeugnisse Venedigs zusammen, ließ sie ver-
packen, befahl mir die Rechnung zuzusenden,
und legte ihr, als wir in eine Droschke gestiegen
waren, das Paket in den Arm. Und sie, über-
rascht, entzückt, haschte mit einmal nach meiner
Hand, und ehe ich es hindern konnte, hatte sie
einen Kuß darauf gedrückt. Ihr warmer, weicher
Frauenmund auf meiner Hand! Das war noch
unendlich viel schöner, als die Bronzelippen
des seligen Gemahls zu fühlen.

Der Sommer neigte sich seinem Ende zu.
Ich hatte durch meinen Unterricht, durch ge-
meinsame Wanderungen in den Museen in
kurzer Zeit den Geschmack meiner Freundin so
gebildet, daß ihr vom Guten nur das Beste
gefiel. Und sie begann nun ihren Sammel-
eifer auf alles mögliche auszudehnen, auf alte
Porzellane, Stiche und Silberarbeiten, und
immer schenkte ich ihr die Gegenstände ihrer
Wünsche, denn ich hatte Freude daran, sie zu
verwöhnen.

Wie aber sollte das enden? Sie wurde
gleich einem Kinde immer phantastischer in ihrem
Begehren, und wie der Appetit mit dem Esten
wächst, so entwickelte sich bei ihr das Vergnügen,
sich mit seltenen Dingen zu umgeben. Als leiden-
schaftlicher Sammler begriff ich das sehr wohl,
durfte ihr auch nicht zürnen, hatte ich ja selbst
erst diese schlummernden Passionen geweckt.
Doch die Launen der kleinen Frau kosteten
höllisches Geld, und hin und wieder versuchte
ich in aller Bescheidenheit ihr ein wenig Einhalt
zu gebieten. Dann aber wurde sie still, nieder-
geschlagen, ganz traurig, und das rührte mich.
Ich konnte an ihren Seidenwimpern keine
Tränen sehen.

Also begann das gleiche Spiel immer von
neuem. Eines Tages sagte sie, indem sie mit
schelmischer Bewegung etwas hinter ihrem Rücken
vorbrachte:

„Es gibt auf der Welt doch nichts Herrlicheres
als das," und lächelnd wickelte sie aus der Um-
schnürung eine kleine, silberne Kassette, die mit
allerlei geschliffenen Steinen gefüllt war. Sie
schüttete den Inhalt auf den Tisch, Rubine,
Aquamarine, Berylle und Topase, nahm die

funkelnden, blitzenden Dinger auf, ließ das Licht
der Lampe in ihnen spielen, rollte sie in der
flachen Hand hin und her.

Erstaunt fragte ich, woher sie all die Steine
habe. Sie errötete, und mir schien, daß sie ver-
wirrt wurde. Dann aber warf sie mir plötzlich
die Arme um den Hals, blickte mich aus un-
schuldvollen Augen schmeichelnd an, und be-
rührte wie ein Hauch meine Lippen, indem
sie sagte:

„Ich war leichtsinnig, — ich gebe es zu.
Aber schelten Sie mich nichtI"

Wer kann einer schönen Frau widerstehen,
wenn sie bittet, noch dazu, sobald sie uns dabei
die Arme um den Hals schlingt und uns küßtl

Nun, was soll ich dir noch sagen? Es
konnte bald keinen glücklicheren Menschen geben
als mich. Ich segnete stündlich die ungeschickte
Hand, die das Modell des Bronzekopfes zer-
schlagen, denn ohne dies Spiel des Zufalls hätte
ich ja sicher nie die Bekanntschaft dieses reizen-
den, verführerischen Wesens gemacht. Ich seg-
nete die Bronzelippen in meinem Speisesaal;
wären sie nicht gewesen, so würde ich die roten
Lippen der jungen Frau nicht geküßt haben.

Und doch konnte mich zuweilen eine eifer-
eifersüchtige Wut auf das kalte Metall ergreifen,
an das sie ihren warmen, lebendigen Mund
schmiegte. Vielleicht, wäre das Ding wie die
Säule aus Marmor gewesen, ich hätte es eines
Tages von seinem Sockel herabgeschleudert, in
den Staub geworfen, mit einem Hammer zer-
trümmert.

Warum verschwendete sie immer von neuen:
Zärtlichkeit an dies gefühllose Metall, während
sie mir gegenüber bald hingebend, bald wieder
fremd und scheu war, als bereue sie, ihr Herz
offenbart zu haben. Seitdem sie meine Verliebt-
heit erkannt, kam sie seltener und blieb kürzer.
Ich meinte, sie sei befangen, und schob es ein
wenig auf den Toten, der immer wie ein stum-
mer Zeuge hinter uns stand. Es war mir zu-
weilen fast unangenehm, an ihm vorüberzugehen
oder unter seinen Augen meine Mahlzeiten ein-
zunehmen.

Das Trauerjahr neigte sich seinem Ende zu,
und ich ging ernstlich mit dem Gedanken um,
die junge Frau um ihre Hand zu bitten. Tag
und Nacht dachte ich daran. Ja, ich war wirklich
überzeugt, daß sie meinem Leben, das bisher
nur meinen Sammlungen angehört, einen neuen,
köstlichen Inhalt geben könne.

Dies Gefühl setzte sich in mir fest, wie ein
Samenkorn irgend wohin fällt und dann keimt,
wächst, zur Pflanze, zum Baum wird, der alles
andere verdrängt und unterdrückt. Man merkt
so etwas kaum, man kann sich auch nicht da-
gegen wehren.

Hätte nur nicht in meinem Innern, wie ein
bohrendes Insekt im Mark des Holzes, die
dumpfe Empfindung gearbeitet, daß diese junge
Frau mir, der ich mich nie um das weibliche
Geschlecht gekümmert, immer ein Rätsel bleiben

würde, ein Rätsel in ihrer geheimsten Seele.
Von dem, was hinter diesen dunklen, ver-
schleierten Augen vorging, bei Gott, ich hatte
davon keine Ahnung. Ich kannte ja nur die
eine Seite an ihr, die Lust am Kaufen von
kostbaren Dingen, der fast krankhafte Drang
alles zu besitzen, die Wut zu sammeln, worin
sie mich in kurzem vollkommen schlug. Für
Preise, für Geld, schien sie gar keine Empfin-
dung zu haben.

Nun, ich entschuldigte sie, sie war eben noch
so jung, und die Witwe eines Künstlers, da
konnte man wohl nicht von ihr die Berechnung
eines Bankiers verlangen. Und sie war ja
so nett! Auch wenn sie die nichtigsten Dinge
berührte, blieben ihre Worte stets amüsant, voll
Witz und Originalität. Hättest Du nur ein-
mal den Wohlklang ihrer Stimme gehört, ihr
prachtvolles rotblondes Haar gesehen!

Und wenn sie lachte, und die Grübchen sich
auf ihren Wangen abzeichneten, dann hätte ich
Maler sein mögen, mit Stift oder Pinsel all
diese natürliche Anmut festzuhalten.

Kurz und gut, der seltsamen Anziehung, die
sie auf mich ausübte, konnte und mochte ich
nicht länger Widerstand leisten, und eines Tages
sagte ich mir: Morgen wirst du dem Zustand
ein Ende machen, wirst mit ihr reden, sie bitten,
fürs Leben die deine zu werden.

Nun ich diesen Entschluß endgültig gefaßt,
war mir's unmöglich, den Abend allein in meinem
Zimmer zu verbringen. Ich mußte mich endlich
einem Menschen Mitteilen. Du warst damals
gerade verreist, von meinen anderen Bekannten
befand sich nur einer hier. Ich will den Nymen
nicht nennen, er tut nichts zur Sache. Genug,
ich fragte bei ihm an, ob er mit mir im Künstler-
haus zu Abend essen wolle.

Wir trafen uns, ich bestellte eine Flasche
Sekt und suchte nach der Gelegenheit, von
meinem Glück zu sprechen. Nachdem er über
alles Mögliche geplaudert, konnte ich endlich
die Frage einwerfen, ob er sich noch jenes Bild-
hauers entsinne, der vor etwa einem Jahr ge-
storben. Da lächelte er plötzlich ganz geheim-
nisvoll. Dann lehnte er sich im Stuhl zurück,
zögerte eine Weile und begann, indem er mir
die Rechte über den Tisch hinstreckte:

„Du, wenn du mir versprichst, zu schweigen,
dann werde ich dir eine sehr nette, lustige Ge-
schichte verraten."

Und? — Und er erzählte mir fast das
Gleiche, was ich erlebt. Auch er besaß eine
Büste des toten Künstlers, auch zu ihm war
diese Schelmin gekommen, die stummen Bronze-
lippen zu küssen. Auch er hatte sich verliebt.

Das Tonmodell war also nicht zerschlagen.

Wer will jetzt sagen, wie viel Abgüsse diese
kleine, verteufelt kluge Frau noch machen
lassen wird!

Wasserfall

Schau den Bergbach, der mit frischem

Gewalle

Durch Waldblumen, Moose und

Wurzelkralle

lieber die dunkelschweren Steine streicht!
Nun sein Rinnsal klaffend weicht —
Meinst Du, er pralle
Zurück'? Mit fröhlichem Schalle
Springt er hinein in die Felsenhalle,

Klar und leicht,

Schwingt sich, überschlägt sich im Falle,
Landet im Abgrund, heil geblieben,
Sammelt sich im Born zur Ruh —

Rollt dann, gleich hcllsilbernem Balle,

Ein Spiel, vom sprudelnden Leben

getrieben,

Klingend höheren Stürzen zu.

Josef Schänder!
Register
Josef Schanderl: Wasserfall
Bernhard Hasler: Vignette
 
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