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1911

JUGEND

Nr. 1

Prinz Ktri

Wer kennt Prinz Riri nicht? Kein Prinz
ist so berühmt wie Riri. Sein Name prangt in
riesigen Lettern an allen Plakatsäulen zwischen
Sarah Bernhardt und d'Annunzio. So berühmt
ist Prinz Riri!

Denn Prinz Riri ist kein gewöhnlicher Prinz.
Er ist ein wirklicher Affe.

Und kein Affe strampelt so flink wie Riri
auf dem Zweirad, oder turnt in der weiten
Halle voll weißen Lichts so behend an schwe-
benden Trapezen, die wie schwanke Aeste hoch
im Vollmondglanz des Urwalds baumeln.

Und kein Prinz trägt zwangloser einen un-
tadeligeren Frack, noch blankere Lackstiefel;
keiner lockert mit so spielerischer Fertigkeit einen
Sektpfropfen; keiner winkt mit gleich souveräner
Nonchalance den Kellner herbei. Kurz: Prinz
Riri ist tip top. Als Affe wie als Prinz.

„^oui-?ari8" hat Prinz Riri im „Olympia"
gesehen. Selbstverständlich auch Madame.

Wer ist Madame? Madame ist die findigste
aller Pariserinnen. Madame führt den köst-
lichsten Salon der Capitale. Einen Salon ganz
im Sinne des anspruchsvollen lVlon8ieur äe la
Bruyere, wo jeder den ihm zuträglichen Anteil
findet am guten Geiste der Gastlichkeit: der
Schriftsteller seine Clique, die Mondäne ihren
Flirt und ihren Klatsch, und die Operetten-
sängerin ihren Bankier. Kurz: ein ganz un-
ersetzlicher Salon.

Was aktuell ist, muß dort defilieren. Noch
atmen diskret die Tentüren d'Annunzio's Par-
füm, da kommt auch schon Prinz Riri. Madame
hat ihn eingeladen. Und die gute Presse hat
die neueste Kulturtat wohlwollend in alle Welt
berichtet!

Warum auch nicht? Wozu wären Prinzen
sonst da? Prinzen sind Reklamesubjekte. Es
kommt nur darauf an, welche Hutfaoon sie
tragen, welcher Schneider sie kleidet, welchen
Hosenträger sie „kreieren", welche Sektmarke
und welche Ballettdiva sie berauscht und in
wessen Haus sie gelegentlich zu verkehren ge-
ruhen. Sonst sind sie durchaus indifferent.

Also Madame hat Prinz Riri eingeladen.
Und Prinz Riri ist gekommen. Prinz Riri ist
da! Er nahm den Arm, den Madame ihm
reichte und sitzt nun, die tadellose Bügelfalte
im übergeschlagenen Hosenbein, am Ehrenplatz
im Herzen der Elite. Nimmt sich Kuchen, zuckert
seinen Tee, steckt sich die Havanna an, die
Monsieur ihm anbietet, und verharrt in geist-
vollem Schweigen und lässiger Verträumtheit.

Man staunt, man gafft, man flüstert kaum.
Man paßt auf, was Hoheit vormachen. Un-
willkürlich strecken die Herren die Hände weiter
als gewöhnlich aus den Manschetten heraus.
Und ich glaube, die Damen würden sich mit

dem Fuß den Kopf kratzen, wenn-- doch

nein, Hoheit tun so etwas nicht!

Prinz Riri denkt an seine hohen Ahnen.
Bon denen trug keiner je die Kette irgend einer
Hörigkeit. Freigeborene waren sie im ewig
grünen Palmenreich der Kokosnüsse, dort wo
der majestätische Kongo sachte durch urewige
Wildnis wandert. — Bis eines Tages das
dumme Weibchen, das ihn an mütterlicher Brust
trug, sich gar unüberlegt einfangen ließ.

Und heute nun ist Riri ein Prinz unter den
Menschen. Er hat den blöden, versimpelten
Blick aller Kulturüberwinder, darf eine Havanna
rauchen, trinkt duftenden Tee aus kostbarer
Schale, und schöne Frauen reichen ihm mit
ängstlichen Händchen Süßigkeiten zum knabbern
und gucken ihn an wie etwas Geliebtes.

Nur bisweilen, ganz selten, wenn es ihm
einfällt, sich genauer auf sich selbst zu besinnen,
dann zuckt etwas durch fein totes Auge. Etwas
Fremdes, Unzivilisiertes, das zu warnen scheint:
Feffter zu!

Doch im hintersten Winkel sitzt der Impresario
— pardon: bei Prinzen heißt er Zeremonien-
meister. Der kennt die Menschen und ihre Lust
an der eigenen Lächerlichkeit. Weiß, daß sie
ihm viel Gold schenken werden, wenn er ihnen
zeigt, daß sie eigentlich bloß Affen sind.

Und der braucht Riri nur anzuschauen, nur
zu streifen mit dem Peitschenhiebe seines furcht-
bar bösen Sklavenhändlerblicks, dann weiß Riri
mit einem Mal wieder, daß er ein Prinz ist.

Und galant grinst er der kleinen schwarz-
äugigen Sängerin zu, die ihm grad gegenüber
auf einer Stuhllehne hockt und mit den Beinchen
strampelt, wie eine Aeffin auf dem Ast.

Sie denkt: möchte er sich doch in mich ver-
lieben. Nicht als wäre sie etwa pervers! Doch
ihre Phantasie liest bereits im nächsten Morgen-
blatt: „Die entzückende Mademoiselle Colette..
schier ein Opfer ihrer unwiderstehlichen Reize. .."

Gruselnd malt sie sich das Bild: Prinz Riri
liebestoll ... ergreift sein Kuchenmesserchen (Affen
sollen in der Liebe grausam sein!). .. Aber der
Retter ... ja, wer ist es denn? . . . Ha, dort
der Vicomte. . . (sie sieht seine blauen Augen
zärtlich auf sich gerichtet) .... der Vicomte
zieht seinen Revolver .. .

Doch eh noch die Tragödie sich vollzieht in
ihrer kleinen Gehirnzelle, flammen die dunklen
Augen des Impresario vor ihr auf. Taumelnd
versinkt sie in diesem Blick voll Härte. Sie
ahnt eine böse, tückische Macht, die eine Aeffin
aus ihr machen könnte, und mißt schaudernd,
wie lächerlich klein dieser Schritt wäre!-

Und flehend suchen ihre Augen den ruhigen,
sichern Mannesblick des Vicomte: Oh, führe du
mich fort! Er ahnt ja nicht, daß er ihr eben
das Leben gerettet, und daß sie ihm dankbar
dies Leben schenken will für eine Nacht. Aber
er weiß, daß Frauen Launen haben, die voll
süßer, unermeßlicher Unwirklichkeit sind. Und
schlüpft unbemerkt mit ihr durch die schweren
samtenen Portieren. ..

Prinz Riri sitzt derweil immer noch da und
denkt an seine Ahnen aus Schimpansien. Und
da wird es Madame schließlich klar, daß alles
genau so ist wie sonst, wenn exotische Hoheiten
ihre Gäste waren: kaum sensationeller und genau
so langweilig.

Ja, wenn er doch wenigstens mal mit dem
Teelöffel in der Nase bohren oder beim Abschieds-
Shakehand den Fuß reichen wollte!

Nein, das nächste Mal holt sie sich wieder
einen gewöhnlichen Prinzen. — Der ist billiger!

RenL pr6vot

„wenn ich nicht ein vorbildlicher Dekadent
war', so möcht' ich gerne ein wüster Tyrann sein I"

Eme schöne Gratulation

für ünsern Herr Bürgermeister, indem daß ihn
in der Schmitten das Roß gschlagen hat, hat
aber Glück ghabt und lebt heut noch voller Glori

Uensern Bürgermoaster, dem derf ma weiters

net gratuliern,

Wo'n in der Schmittn 's Roß gschlagn hat,

Und grad mittn aufs Hirn.

Dees hat an Bummserer toh, grad als ob

oaner gschossn hätt;

Hat alls gmoant: auweh,

Bal's nur jetz net mit ünsern Bürgermoaster

enterisch geht!

Und hat'n aso an d'Wand ins Eck

hinterigschmiffn.

Und an Schmid und sein Gsölln,

Dee zwoa hat's aa noh mitgriffn,

Und an Amboß hat er aa noh umgsteßn,

(Aber da hamma gschaut!)

Und von der halbatn Wand hat's an

Verputz wegga ghaut,
Und is eahm doh nix passiert, hat sih

gestern rausgstellt,

Und Ham ihn gestern in Landtag neigwählt.
Wern Augn macha,

Dee Herrn Minister und dee andern Tröpf
Und wern sagn: ha, dees san dir aber

harte Köpf!

Und wern schoh hübsch fleißih an unfern

Herr Bürgermoaster hidisputiern,
Und wern ihn halt doh net ausschmiern!

Da könnts Steuern und Abgabn verlanga —

nix werd geeicht

Wo a Roß net ohgreift,

Da tuat sih aa a Herr Minister net leicht.

Georg (Uueri

Ein Märtyrer der Literatur

„Georges Pappmann, der durch seine epoche-
machenden Bücher „Die Lyrik von 1908", „Der
deutsche Novellist", „Humor in Prosa", „Humor
in Reimen", „Die besten Witze des Jahrhunderts"
u. s. w. rühmlich bekannte Schriftsteller, hat sich
bei der Fertigstellung seines neuen Werkes „Die
politische Dichtung in Deutschland" derartig
überarbeitet, daß er schwer erkrankt ist. Man
hofft, ihn zu retten, doch wird dazu ein längerer
Aufenthalt in einem Sanatorium notwendig
sein."

So war gestern in der Zeitung zu lesen.
Und heute bat mich die Frau des Erkrankten
telephonisch, ich möchte ihn besuchen, er habe
eine dringende Bitte an mich, die ich ihm
in Anbetracht seiner traurigen Lage nicht ab-
schlagen könne.

Die Gattin des Kranken empfing mich hoheits-
voll, schmerzgebeugt, im Schlafrock, fassungs-
und korfettlos. „Schlotterichte Königin ist gut!"
sagt der brave Polonius.

„Sie dürfen ihn sehen, sprechen kann er
nicht!" sagte sie und führte mich zu dem Leidenden.
Pappmann lag, wirklich ein Schwerkranker,
mit dem Ausdrucke verzweifelter Schmerzen im
Krankenzimmer. Es war nicht aufgeräumt. Er
auch nicht. Das war begreiflich. Eine dick-
geschwollene blauschwarze Zunge, die im Munde
nicht zur Hälfte mehr Platz hatte, drang zwischen
den ebenfalls geschwollenen Lippen hervor. Das
war grauenhaft anzusehen und tat jedenfalls
sehr weh.

Pappmann nickte mir zu, stöhnte, sah mich
flehend an und wies mit matter Handbewegung
nach seinem treuen Weibe, das mich sofort
wieder ins Nebenzimmer zog. Dort sprach es:

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Register
René Prévot: Prinz Riri
Georg Queri: Eine Schöne Gratulation
Richard Seewald: Schwabing
F. v. O.: Ein Märtyrer der Literatur
 
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