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V'

Oer welsse Landrat und der scbwarre Becker

Es lebte einst ein Landrat, in Rußland oder wo.

Der herrscht' in seinem Reiche so sanft wie Pharao.

Fromm wünschte er die Menschen und streng konservativ,
Sonst schrieb er der Regierung vertraulich einen Brief.

Dem Freisinn und dem Sozi, dem gab er's knüppeldick,
Doch trieb er selbstverständlich nie etwa Politik.

Er sagte höchstens, wen man stramm boykottieren sollt'.

— Sein Hetmann Bollweg nennet dergle.chen „gottgewollt".

Doch leider vegetierte in unsres Landrats Reich

Ein Scheusal namens Becker. Pfui Deisel, sag ich Euch!

Der dachte liberalisch, war freiheitsliebend so.

Als lebt' er nicht — der Hundling! — in Rußland oder wo!

Dem gottgewollten Landrat hat er sich nicht gebeugt,

Meint, Jeder dürfe wählen, so wie er überzeugt.

Und als dem Rabenaase die Federn man gestutzt,

Hat — Gott, vergib dem Sünder! — der Kerl noch aufgemutzt.

Schon schleppt man vor den Kadi das Revoluzzerbiest.

Auch dort gen unsren Landrat des Beckers Rede fließt.
Doch, Heil uns!, die Regierung verhinderte mit Fleiß,
Dieweil sie unparteiisch, dem Becker den Beweis.

Ein Jahr muß in das Loch er. Das Volk, es hört's und sieht's;
Tief stärkt das Urteil Allen das Zutraun zur Justiz,

Wenn auch zu mild die Strafe, wie allgemein man denkt.
So'n Freiheitslump gehöret geköpft und dann gehängt!

Harlclu‘11

Der Haidu ra bad ein erster

Aus Haidarabad, der Hauptstadt des gleichnamigen in-
dischen Fürstentums kommt eine Kunde, die das Herz eines
jeden deutschen Patrioten höher schlagen läßt. Am 19. De-
zember 1910 hat der Kronprinz bei Haidarabad zwei Leo-
parden erlegt. Der eine von ihnen konnte es kaum erwarten,
daß er sein Blut für Deutschland verspritzen durfte, und fiel
deshalb von dem ersten Schüsse. Der andre nahm mit den
Worten von seinem sterbenden Kollegen Abschied: „Auf
baldiges Wiedersehen! Aber erst muß ich Ihm einmal in
Höchstseine erhabenen Augen blicken!" Er nahm den Kron-
prinzen bis auf etwa drei Meter an; dann bot er, ein Arnold
von Winkelried des Panthergeschlechts, seine tapfere Brust
der tödlichen Kugel dar und fiel mit einem glücklichen Aus-
druck in den brechenden Augen. — Noch nie ist die Erfindung
der Telegraphie so dankbar gesegnet worden wie am 20. De-
zember 1910, an welchem Tage die deutschen Untertanen mit
glühenden Wangen und feuchten Augen die Glücksnachricht
von Haidarabad lasen. Frido

Heujabrs-Hus|eicbnungen, Hacbricbtcn etc.

Oerliehen wurden:

\. Der schwarzblaue Adlerorden am ledernen Bande
dem Reichskanzler von B e t h m a n n Lj o l l w e g.

2. Das Uloabiterkreuz I. Klasse mit Eichenlaub und
Knüppeln dein Polizeipräsidenten v. I a g o w.

Kultusminister Or. von !v e h n e r hat sich freiwillig zur
Leistung des Modernisteneides gemeldet und denselben bereits
in der Silvesternacht in die Hände der Abgeordneten von Daller,
Pichler und Gerstenberger abgelegt.

Der liebe Gott hat sich bereit erklärt, das Protektorat über
das Königreich Preußen zu übernehmen, und betraute die ost-
elbischen Landräte mit der Vertretung seiner Interessen.



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Die englischen Spione

A. Schmidhammer

„Von der hochwürdigen Geistlichkeit sehr empfohlen" wird ein neues Ge-
sellschaftsspiel „Die Reise in die Ewigkeit", das ein gesinnungs-
tüchtiger Verlag in Donauwörth ankündigt. Das hat den Verlag der „Jugend"
veranlaßt, ein gleiches Spiel herauszugeben, das noch viel zentrumsfrömmer,
durchaus modernismusrein ist und für das wir zahlreiche Empfehlungsschreiben
von hochw. Domkapitularen, Ministerial- und Oberstudienräten und anderen
Inhabern hoher geistlicher Würden vorweisen können.

Spielregeln: Man spielt dies Spiel mit einem Würfel. Die geraden
Würfe sind die guten (ultramontanen), die ungeraden sind die schlechten, d. h. die
liberalen. Auf dem geraden Wege kommt der Gewinnende schließlich ins klerikale
Paradies, wo Bier und Weißwurst fleußt, während der Verlierer beim liberalen
Spadifankerl in der Unterwelt landet. Das schöne Spiel ist ein Abbild des
ganzen Lebenslaufs der Menschen. Zumal der bayrischen.

Wer zum Unglück geboren ist, der bekommt schon gleich zu Anfang (1) eine
ganz dürre, irreligiöse Amme, die nächste Station (3) ist die verfluchte Simultan-
schule. Bei 5 sieht man den Unglücklichen voraussetzungslose Wissenschaft stu-
dieren, wofür er (7) dann im Examen gehörig gehunzt wird. Bei 9 sieht man
ihn unter alkoholfreien Hungerleidern in einem liberalen Wahlverein, bei 11
liest der Unglückliche zentrumsfeindliche Zeitungen. Die Folgen bleiben nicht aus.
Bei 13 wird er in die Misöre der Zivilehe geschleppt von einer glaubens- und
busenlosen Frau, die gar nicht- hat, bei 15 geht's ihm, dem unchristlichen Ge-
schäjtsmann wegen mangelnder Empfehlung durch den Herrn Pfarrer miserabel.

Die ReiTe die Ewigkeit

oder er wird (17) als suspekter Beamter gemastregelt, kriegt bei IS ein motu
proprio an den Schädel, gerät schließlich bei 21 gar noch den Freimaurern in
die Klauen und wird bei 23 uom Teusel Bitru geholt und dann nach guten alten
von der heiligen Inquisition erprobten Rezepten m Pech und Schwcsel gekocht.

Wie ander- der ultramontane Leben-gang, den der Spieler mit den geraden
Würfen durchläuft I Nr. 2 eine dralle, wuzerlfeste Amme. 4 eine kreuzfidel-
Schule unter geistlicher Aufsicht. 6 Vergnügtes Leben bei der Studenten^-
bindung „Vatikania" und daher 8 spiel nd bestandenes Examen. 10 verheiß g
voller Eintritt in den ultrainontancn Wahlocrein, 12 Abonnement auf die gute
Presse. 14 kirchliche Einsegnung einer molligen, einträglichen Ehe Mit ver-
bürgtem K ndcrsegen. 10 Glänzende Re ultate des Gcschaslskatholizismu.-, obn
18 wohlverdiente Auszeichnung des pflichttreuen klerikalen Beamten durch
E. Exzellenz den Herrn Minister. Bei 20 sieht man, w,e d» Glaub ge fr p^
die Gläubige, von einem siltenstrengen Hehkaplan au, den Weg der Tugend
geleitet wird, bei 22 hat der F omme den Himme schon auf Erden weil er als
ultre.montaner Landce botc am Hosbräuhausstammtisch te,l„el,meu darf und. bc. 24
fährt er wie der Prophet Elia- mit einen, feurigen Einspänner INS Paradies.
^ Das Spiel wird am besten mit Pctcrspscnnigen oesp--lh n-'d wenn der
Gewinnende seinen Erlös sofort an das nächste Pfarramt abliefert, so wird
dereinst mirf) Wirklichkeit in den Ort ewiger Freude einziehen^ wo d^ ttebe
®°" aus besonder- Empfehlung seiner Vorgesehtcn vom Zentrum ihn m Gnaden

aufnimmt. v

Dearest boys, als Patriot

Muß you brumm kour I hrchen nun.

Vou verletz die xreat Gebot:

Don’t Dich laß erwischen tun!

Festungsstrafe is human.

Only bitt we, brothers, stumm:

Please, don’t zeichnen ab das Plan
Von lke Festung, wenn you brumm!

Karlchen

*

In usum Delphini

In Wien erscheint ein Lesebuch, in dem Simrocks Ge-
dicht „Habsbnrgs Mauern" verbessert worden ist. Statt
„Das Wunder dünkt dem Bischof fremd;

Zum Erker springt er hin im Hemd"

heißt es:

„Der Bischof hört erstaunt das Wort,

Zum Erker sprangt er hin sofort."

Diese Verbesserung ist total verunglückt. Es ist selbst-
verständlich, daß ein „Bischof im Hemd" unmöglich ist;
aber ebenso unwürdig ist die Vorstellung eines springenden
Bischofs. Ein Bischof ist doch kein Floh' Der Würde des
bischöflichen Amtes allein angemessen ist die folgende Fassung:
„Doch Seine Gnaden sind ägriert.

Zum Erker werden Sie geführt."

In den Schlu'zeilen des Gedichts:

„And herrlich schauen
Wird's über alle deutschen Gauen"
hat der Lesebuchverfasser aus „deutschen" „weiten" ge-
macht. — Das geht nicht: der Schluß muß vollfländig ge-
ändert werden. Er muß heißen:

Und dos betaute.

Besonnte Land lag da. Er schaute."

Hier wäre noch eine f ine Nuance anzubringen. Der
Heran geb.r könnte am Schluffe gewissermassen du ch seine
Unterschrift von dem Leser Abs.i i d nehmen, wenn man das
letzte Wort „schaute" groß schriebe. Jiax

Beckers Seufzer

Der Rittergutsbesitzer Becker hat wegen Beleid'gung des Land-
rats v. Maltzahn-Gültz ein Jahr, der Pastor Bre thaupt wegen
33 Unta'en gegen seine Zög inge acht Monate Gefängn s bekommen

Weil ich den Landrat Herrn von Maltzahn-Gültz
Beleidigt habe. Kam ich in Bedrängnis.

Für diese Tat erhielt ich Unglückspilz
Vom Strafgericht ein ganzes Jahr Gefängnis.

Ich Esel hatte Keine Ahnung, traun.

Was eigentlich gereicht zu meinem Frommen.

Hält' ich ihn dreiunddreißig Mal verhaun.
So hält' ich nur acht Monate bekommen!

Frido

Submissionsangebot

Zur Herstellung der im Jahre 1911 erscheinenden En-
zykliken, Bullen, Morn proprios, Exkommunikationen rc.
haben wir die Lieferung fclgend.r Waren zu vergeben:

2500 Tonnen Kanzleipapier
700 Hektoliter Tinte, t es chwarz
95 Doppelzentner Schreibfedern.

Die katholischen Fabrikanten aller Erdteile werden auf-
gefordert, ihre Offerten umgehend einzureichen bei

Merrp del Val,

* Vatikan.

Zwischenrufe

In Preußen ist man besser ein reaktionärer Breithaupt,
als ein liberaler Dickschädel!

Ich habe einen preußischen Landrat gekannt, der war
geradezu die linke Hand der Verfassung. Was diese
nämlich den Staatsbürgern mit der rechten Hand gibt,
nahm ihm jene Linke wieder weg! Pip»
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