(Schack-Gallerie München)
Badende Kinder
Anselm Feuerbach f
Iahren Witwe sei, und dieses Häuschen allein
bewohne.
„Das Zimmer ist nicht ganz in Ordnung,"
sagte sie, indem sie ihn in eine eiskalte kleine
Stube führte. Gerhard war sofort entschlossen
hier zu mieten, trat ans Bett, maß es mit beiden
Armen und sagte fröhlich: „Ja, ich passe grade
gut hinein!" Und nach einer kleinen Pause
fügte er hinzu: „Waschen Sie auch selbst?"
„Gewiß, natürlich, ich werde das Bett sofort
frisch überziehen, und ich würde auch alle Wäsche
von Ihnen gern übernehmen!"
„Dann muß ich Sie aber bitten," sagte
Gerhard und lächelte, „meine Wüsche mehr zu
schonen als die Ihrige!"
Er fühlte sich schon als den glücklichen Be-
sitzer dieses Zimmers, der Rechte beanspruchen
konnte. Sie sah ihn fragend an.
„Sie nehmen Chlor!"
„O nein, ich nehme niemals Chlor!"
Eigentlich sah sie doch scheußlich aus, diese
alte Frau, die da vor ihm stand und so ganz
offenbar log; Gerhard sah sie jetzt erst genauer an.
„Furchtbar viel sogar! Ich rieche es ganz
deutlich! Es fiel mir sogar schon vorher auf,
als ich hineintrat!"
Sie wurde sehr verlegen. „Das kommt nicht
vom Waschen," sagte sie zögernd. „Sie müssen
wissen: Mein Schwiegersohn ist erst vor kurzem
gestorben!"
Gerhard sah sie starr an. „Wann?" fragte er.
„Ich sage Ihnen doch: vor kurzem!"
„Und wann ist er begraben worden?"
Sie zögerte wieder: „Morgen, morgen früh ist
das Begräbnis, draußen auf dem Westfriedhof."
Es wurde Gerhard übel. Seine Augen waren
starr entsetzt auf sie gerichtet. „Hatte er nicht
einen großen schwarzen Vollbart?" so fragteer.
Sie nickte und sah ihn etwas überrascht an.
„Und Mund und Augen wie ein — wie
ein-" er vollendete nicht, kehrte sich jäh
um und lief fort aus dem Zimmer und aus
dem Haus hinaus, und lief auch auf der Straße
weiter, als sei der Tote hinter ihm drein, in
seinem schwarzen Anzug mit dem roten Schlips,
und mit dem gräßlichen Ausdruck in den Augen,
dieser Tote, vor dem er draußen auf dem Kirch-
hof floh, dessen Spur er witterte, ohne es zu
wissen, die er verfolgte bis in sein Haus hinein,
bis vor sein Bett, das er mit beiden Armen
abmaß, um sich selbst hineinzulegen.
Endlich hielt er inne und blickte um sich.
Gegenüber lag ein Restaurant, er ging hinein,
ohne sich einen Augenblick zu besinnen. Dort
bestellte er einen Kognak, dann einen zweiten,
einen dritten, und schließlich ein großes Glas
mit starkem Punsch. Allmählich beruhigte er
sich und versank in ein dumpfes Brüten.
Als er endlich wieder auf die Straße trat,
fühlte er sich nicht ganz sicher auf den Füßen;
er war nicht nüchtern, auch nicht berauscht,
sondern in einem Zustand, der sich in einem
leise bohrenden Kopfschmerz, in äußerster Reiz-
barkeit der Nerven und Gleichgültigkeit gegen
die ganze Welt äußerte; er trat den Menschen
auf die Füße und wimmerte, wenn sie sich nicht
entschuldigten. Die Dämmerung war längst
hereingebrochen, die Laternen brannten und die
Pesperglocken des ersten Januar Huben ihr
Geläut an. „Möbliertes Zimmer — möbliertes
Zimmer" — so klang es ihm dumpf in den
Ohren.
Waldwunder
Locken nicht Beeren,
Kühl und rund wie Tropfen Tau,
Verschleiert blau? Und
Im Gewühl und Gerank kleine Träubchen,
Schwarz und blank, und ihre Schwestern
Gedämpften, milchigen Rots,
Die einen fatter,
Die andern milder und matter schmeckend?
Und am Boden
Unter bedeckend versteckenden Blättern
Die kleinsten und rötesten,
Aber die winzigen Zellen
Würziger Süße voll,
Die in den Wärmewellen
Schwoll, den sonnensatten
Der Erde? Und Pilze leuchten
Im feuchten Schatten.
Doch wo durch die Lichtung der
Waldbach rollt,
Trittst du, Süße, Lockende, ins
frohlockende Wasser,
Setzst rosige Zehen aufs blanke Geschiebe.
Es feiert die Sonne in frohlockendem Kuß
Auf deinem Leib — pfirfichflaumig,
Blütengewoben, perlmutterblinkend
Lacht die Haut, und zierlichstes,
schlankstes Gebild
Regt sich, diamantne
Wasserblitze schleudernd, tummelt sich
In kichernden, trillernden Kringeln der Flut.
Zierlichstes, schlankstes Gebild, und ein Spiel
Blauer, rosiger, kupferner Schatten
Im Formenwechsel wohliger Muskeln,
Und plötzlich strebend schlank wie Elfenbein
Steht sie auf grüner Flut vor streng
gegossnen Weiden,
Und auf der linken Schulter nur
Spielt zitterzärtlich ein Libellenschatten.
Oh, ein Versteck hat längst schon geladen!
Unter Zweigen ein Raum
Aus moo goldner Dämmrung gewölbt.
Und während blendend hell von
Sonnenjubel durchschossen
Der grüne Waldgrund kreist und klingt,
Atmen die Poren locker-matten Fleisches
Wasser und Feuchte und drängt es
weich sich näher
Mit zwei kühlen Spitzen von hauchigem Rot.
Hans Brandenburg
Badende Kinder
Anselm Feuerbach f
Iahren Witwe sei, und dieses Häuschen allein
bewohne.
„Das Zimmer ist nicht ganz in Ordnung,"
sagte sie, indem sie ihn in eine eiskalte kleine
Stube führte. Gerhard war sofort entschlossen
hier zu mieten, trat ans Bett, maß es mit beiden
Armen und sagte fröhlich: „Ja, ich passe grade
gut hinein!" Und nach einer kleinen Pause
fügte er hinzu: „Waschen Sie auch selbst?"
„Gewiß, natürlich, ich werde das Bett sofort
frisch überziehen, und ich würde auch alle Wäsche
von Ihnen gern übernehmen!"
„Dann muß ich Sie aber bitten," sagte
Gerhard und lächelte, „meine Wüsche mehr zu
schonen als die Ihrige!"
Er fühlte sich schon als den glücklichen Be-
sitzer dieses Zimmers, der Rechte beanspruchen
konnte. Sie sah ihn fragend an.
„Sie nehmen Chlor!"
„O nein, ich nehme niemals Chlor!"
Eigentlich sah sie doch scheußlich aus, diese
alte Frau, die da vor ihm stand und so ganz
offenbar log; Gerhard sah sie jetzt erst genauer an.
„Furchtbar viel sogar! Ich rieche es ganz
deutlich! Es fiel mir sogar schon vorher auf,
als ich hineintrat!"
Sie wurde sehr verlegen. „Das kommt nicht
vom Waschen," sagte sie zögernd. „Sie müssen
wissen: Mein Schwiegersohn ist erst vor kurzem
gestorben!"
Gerhard sah sie starr an. „Wann?" fragte er.
„Ich sage Ihnen doch: vor kurzem!"
„Und wann ist er begraben worden?"
Sie zögerte wieder: „Morgen, morgen früh ist
das Begräbnis, draußen auf dem Westfriedhof."
Es wurde Gerhard übel. Seine Augen waren
starr entsetzt auf sie gerichtet. „Hatte er nicht
einen großen schwarzen Vollbart?" so fragteer.
Sie nickte und sah ihn etwas überrascht an.
„Und Mund und Augen wie ein — wie
ein-" er vollendete nicht, kehrte sich jäh
um und lief fort aus dem Zimmer und aus
dem Haus hinaus, und lief auch auf der Straße
weiter, als sei der Tote hinter ihm drein, in
seinem schwarzen Anzug mit dem roten Schlips,
und mit dem gräßlichen Ausdruck in den Augen,
dieser Tote, vor dem er draußen auf dem Kirch-
hof floh, dessen Spur er witterte, ohne es zu
wissen, die er verfolgte bis in sein Haus hinein,
bis vor sein Bett, das er mit beiden Armen
abmaß, um sich selbst hineinzulegen.
Endlich hielt er inne und blickte um sich.
Gegenüber lag ein Restaurant, er ging hinein,
ohne sich einen Augenblick zu besinnen. Dort
bestellte er einen Kognak, dann einen zweiten,
einen dritten, und schließlich ein großes Glas
mit starkem Punsch. Allmählich beruhigte er
sich und versank in ein dumpfes Brüten.
Als er endlich wieder auf die Straße trat,
fühlte er sich nicht ganz sicher auf den Füßen;
er war nicht nüchtern, auch nicht berauscht,
sondern in einem Zustand, der sich in einem
leise bohrenden Kopfschmerz, in äußerster Reiz-
barkeit der Nerven und Gleichgültigkeit gegen
die ganze Welt äußerte; er trat den Menschen
auf die Füße und wimmerte, wenn sie sich nicht
entschuldigten. Die Dämmerung war längst
hereingebrochen, die Laternen brannten und die
Pesperglocken des ersten Januar Huben ihr
Geläut an. „Möbliertes Zimmer — möbliertes
Zimmer" — so klang es ihm dumpf in den
Ohren.
Waldwunder
Locken nicht Beeren,
Kühl und rund wie Tropfen Tau,
Verschleiert blau? Und
Im Gewühl und Gerank kleine Träubchen,
Schwarz und blank, und ihre Schwestern
Gedämpften, milchigen Rots,
Die einen fatter,
Die andern milder und matter schmeckend?
Und am Boden
Unter bedeckend versteckenden Blättern
Die kleinsten und rötesten,
Aber die winzigen Zellen
Würziger Süße voll,
Die in den Wärmewellen
Schwoll, den sonnensatten
Der Erde? Und Pilze leuchten
Im feuchten Schatten.
Doch wo durch die Lichtung der
Waldbach rollt,
Trittst du, Süße, Lockende, ins
frohlockende Wasser,
Setzst rosige Zehen aufs blanke Geschiebe.
Es feiert die Sonne in frohlockendem Kuß
Auf deinem Leib — pfirfichflaumig,
Blütengewoben, perlmutterblinkend
Lacht die Haut, und zierlichstes,
schlankstes Gebild
Regt sich, diamantne
Wasserblitze schleudernd, tummelt sich
In kichernden, trillernden Kringeln der Flut.
Zierlichstes, schlankstes Gebild, und ein Spiel
Blauer, rosiger, kupferner Schatten
Im Formenwechsel wohliger Muskeln,
Und plötzlich strebend schlank wie Elfenbein
Steht sie auf grüner Flut vor streng
gegossnen Weiden,
Und auf der linken Schulter nur
Spielt zitterzärtlich ein Libellenschatten.
Oh, ein Versteck hat längst schon geladen!
Unter Zweigen ein Raum
Aus moo goldner Dämmrung gewölbt.
Und während blendend hell von
Sonnenjubel durchschossen
Der grüne Waldgrund kreist und klingt,
Atmen die Poren locker-matten Fleisches
Wasser und Feuchte und drängt es
weich sich näher
Mit zwei kühlen Spitzen von hauchigem Rot.
Hans Brandenburg