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Reisemorgen

Meine Augen schaun den Tag,

Schauen ihn in blauer Helle.

Was auch heute kommen mag,

Sprudelt mir aus goldner Quelle!
Meine Augen schaun den Tag!

Horch, es pocht an meine Wand
Nachbarlich an meinem Bette!

Pocht und klopft mit weicher Hand,
Und ich weiß, es ist Dorette!

Horch, es pocht an meine Wand!

Gestern reisten wir allein,

Keines wußte noch vom andern.

Heut befiehlt die Wand von Stein:
„Ihr müßt miteinander wandern!"
Gestern reisten wir allein.

Meine Augen schaun den Tag,

Schauen ihn in blauer Helle.

Was auch heute kommen mag,

Sprudelt mir aus goldner Quelle!
Meine Augen schaun den Tag!

Friedrich Freksa

Erinnerung

So manches Weib hat sich mir hingegeben
In roter, glutumhauchter Leidenschaft,

Ich war ein Teil von manchem warmen Leben
Und fühlte nur des Siegers stolze Kraft.

Dann wieder wand ich mich in

glüh'nden Banden
Und meine Wünsche waren heiß und wild,
Und wenn sie rasch nach kurzem

Rausche schwanden,

Sank in den Staub ein angebetet Bild.

Doch in den stillen, blassen Dämmerstunden,
Wenn um das Heute sich Erinu'rung schlingt,
Die müde Seele sucht, was ihr entschwunden,
Und schwerer Duft aus welken Blüten dringt,

Dann seh ich mich, ein trotzig froher Knabe,
Zur Seite einem blonden Kinde gehn
Und weiß, was ich seither verloren habe,
Wird meine Sehnsucht niemals Wiedersehn.

Artur Rulka

Warum?

— — — Die weite Welt durchzieht
Ein Häuflein Menschen — still und müd,
Den Nacken gebeugt -— die Augen tot.
Sie wandern und wandern nach innerm

Gebot. ■—

Wie Feuer auflodernde Qual
Zeichnet ein neues Leidensmal
Ins bleiche Gesicht. —

Und doch — sie wissen, erlösen kann

sie nicht

Ein Gott von ihrer Pein und Not. —
Sie suchen und fürchten den Tod,

Und sehen sich an und fragen stumm,

Die Hände geballt, den Nacken gebeugt:

Warum?
Rurt Herr

Der Herzog

Port Willy Speyer

Der Herzog hatte vor zwei Monaten die
Klosterschule verlassen. Der Herzog war jung,
er hatte zum ersten Male eine Geliebte, aber
er war nicht glücklich.

Der Herzog saß mit seiner Geliebten bei
Philibert.

Der Herzog drehte sein Gesicht bis an
die Schulter und sagte leise: „Sie servieren
schlecht."

Der Kellner Zuckte zusammen. Er strich mit
zwei Fingern der rechten Hand eine flache Strähne
seines blonden Haares aus der Stirn und sagte:
.Ach

Er hatte Tränen in den Augen.

„Rufen Sie Herrn Philibert," sagte der
Herzog.

Anna lächelte, mit einem Mund, der vom
Sekt feucht und süßlich war. Sie neigte, be-
schwert von ihrem schwarzen Haar und dem
prunkvollen engen Hut, das Haupt und sah
den Herzog mit dem gläsernen Blick ihrer grünen
Augen von unten an. Sie trug ein pfauen-
farbenes Pailettekleid, einen klingenden und
klirrenden Panzer für ihren jungen Körper.
Die rötlich schimmernde Hand, mit Türkisen
und Saphiren geschmückt, war entblößt und
ebenso der leuchtend frische, von einer einfachen
Perlenkette umwundene Hals.

Herr Philibert kam. Er war schlank und
bleich und er hatte todestraurige braune Augen.
Ehedem war er Kellner bei Voisin gewesen.
Ging man an einem Wintermorgen durch den
großen Park zu seinen Geschäften, so konnte
man zuweilen Herrn Philibert auf gewissen
einsamen Wegen begegnen. Herr Philibert war
ein Naturfreund, er liebte die Morgenluft im
Garten nach so viel Speisegerüchen des Abends
und er horchte gern den wehmütigen Winden
in den frierenden Bäumen. Jedermann, der
Herrn Philibert kannte, pflegte mit wohlwollen-
dem Lächeln zu beobachten, wie er mit der be-
ringten Hand an dem entlaubten Gesträuch ent-
langstrich, als wolle er die schlummernden Kräfte
darin zärtlich in das Leben rufen, wie er mit
seinem Spazierstock aus Zuckerrohr den harten
Boden lockerte oder tiefaufatmend die Hand
an das Herz legte und dann ein wenig hüstelte.
Man erzählte sich, Herr Philibert habe eine
unglückliche Liebe, zudem sei er herzkrank. Herr
Philibert ging in der Tat jeden Frühling nach
Nauheim.

„Durchlaucht sind nicht zufrieden — ?" fragte
er, indem er die beringten Hände ganz leicht
unter dem Kinn ineinanderrieb.

„Ein neues Gesicht —" sagte der junge
Herzog mißmutig.

Herr Philibert lächelte gütig.

„Man mußte Fritz heute morgen fortschicken.
Er hat es mit dem Asthma. Ich gebe ihn jetzt
nach Montreux. Man muß fürchten, daß es
nichts mehr mit ihm wird."

Herr Philibert sprach diese Worte, wie es
schien, mehr zu Anna, die ihm ermunternd, be-
dauernd und etwas zerstreut zunickte.

Der Herzog sah mit hochgezogenen Augen-
brauen starr auf seine Trinkgläser. Er hatte
ein bartloses Knabengesicht; das Haupthaar
war seitwärts gescheitelt und aus der Stirn stark
zurückgebürstet. Der Herzog war nicht groß,
aber er hatte einen schlanken und graziösen
Körper. Der Herzog war achtzehn Jahre alt.

„Wie heißt der neue Kellner?" fragte er.

„Ludwig, Ew. Durchlaucht."

Herr Philibert fügte zweifelnd, mit fragender
Betonung hinzu:

„Man muß ein wenig Nachsicht üben? ...
Ich werde morgen mit ihm arbeiten. .."

Der Herzog wandte Herrn Philibert lächelnd
sein volles Antlitz zu.

„Schön. Danke, Herr Philibert."

Herr Philibert grüßte. Er verneigte sich
tief vor der Geliebten des Herzogs. Aber es
schien, als sei diese ehrfürchtige Beugung seinem
kranken Herzen nicht zuträglich gewesen, denn
Herr Philibert hüstelte gleich danach und legte
tief aufatmend, mit einem schmerzlichen und
schüchternen Lächeln die Hand an die Brust.

Herr Philibert ging lautlos über die weichen
Teppiche an das Büffet in den letzten Raum.
Er hatte die Hand in die Hosentasche gesteckt
und die seidenen Aufschläge seines Gehrocks
zurückgerafft. Er warf schnelle und scharfe Blicke
auf die Tische oder in die Wandspiegel, um
die Bedienung zu prüfen. Man saß bei Phi-
libert in gotischen Stühlen, deren hohe Lehnen
die Hüte der Damen zuweilen behinderten. Man
saß sehr aufrecht und sprach leise miteinander.
Man beobachtete durch die Spiegel.

„Entschuldige," sagte der Herzog.

„Bitte."

Der Herzog betrachtete Anna, die mit schlei-
chenden, Katzenhaften Bewegungen von einem
Fasanen aß.

„Du bist beleidigt?" fragte er.

„Nein. — Gar nicht."

Sie schob die Unterlippe vor und zuckte die
Achseln.

„Aber Anna, Du bist doch beleidigt," sagte
der Herzog lebhaft.

Anna schlug die grünen Augen langsam auf
und blickte den Herzog an. Sie sagte gedehnt:
„Ich bin nicht beleidigt."

Der Herzog hob jetzt das Burgunderglas,
beugte sich über den Tisch und fragte: „Anna
— fort comme la mort?"

Anna legte die Gabel und das Messer aus
den Händen und hob das Glas zu der Höhe
ihres Mundes. Sie dankte dem Herzog mit
einer Neigung ihres Hauptes. Der Herzog sah
ihren entblößten Nacken und ihren Rücken. . .
Er preßte die Zähne aufeinander, ihn fröstelte.

Er sagte mit einem Gesicht, das vor Leiden-
schaft hilflos war: „Wohin gehen wir nach dem
Essen?"

Anna nahm die Gabel und das Messer wieder
zur Hand und aß mit katzenhaften Bewegungen
von dem Zarten Fleisch des Fasanen.

„Ich muß um zwölf zu Hause sein."

Der Herzog schlug die Augen nieder. Die
Welt war ihm mit diesen Worten entglitten.
Er verspürte wie nie zuvor eine trostlose Leere
in seinem Herzen und Angst vor den schweig-
samen Räumen seiner Wohnung.

,Ich werde wieder in den Klub gehen müssen
und dort Bridge spielen, ich werde die ganze
Nacht Bridge spielen müssen... ach, welch ein
Leben.. /
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Paul Mackel: Vignette
Kurt Herr: Warum?
Wilhelm Speyer: Der Herzog
Artur Kulka: Erinnerung
Friedrich Freksa: Reisemorgen
 
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