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Der Kurier

Otto Flechtner (München)

Er setzte liebenswürdig hinzu: „Du solltest wirk-
lich einmal hinkommen, Anna.... Aber was wollte
ich eigentlich erzählen? . .."

Seine lächelnden Augen suchten an den kristal-
lenen Lustres. Was hat es für ein Bewandtnis mit
diesem Park? Warum sprach er davon?

Anna sah ihn befremdet an. Ihr Blick verweilte
mit einiger Kälte an seiner weißen Krawatte, die sich
aufzulösen drohte.

„Nun weiß ich es!" rief er und ordnete un-
gestüm seine Krawatte. „Wenn ich Dich essen sehe,
muß ich an unsere Kößnitzer Schwäne denken. Dein
Essen ist so sanft und so mild..so mild ..."

Annas Nasenflügel bebten.

„Ja," sagte sie, „das Essen ist wirklich ein Traum."

Der Herzog mar glücklich, daß sie gesprochen
hatte. Anna sprach so selten.

„Wieso, Anna?" fragte erlebhaft. „Wie meinst
Du das? Hast Du einen besonderen Gedanken dabei?"

Anna sagte nicht „ja", — sie stieß einen kleinen
Ton aus der Kehle, der daheim bei ihren jungen
Schwestern als eine amüsante und etwas lässige Be-
jahung auf eine Frage angesehen wurde. Anna hatte
vier Schwestern. Der Herzog kannte und liebte diesen
kleinen Ton aus ihrer Kehle. Er war entzückt.

„Aber wieso, Liebe, wieso? Du mußt jetzt
sprechen, wie — ?"

Anna hielt das Haupt schief gegen den Kerzen-
schein, der ihre grünen Augen leuchten machte.

„Ich meine", sagte sie, „es haben ja viele
Menschen nichts zu essen, drum soll es wie ein Traum
sein . .

Sie fügte hinzu: „Wie ein schöner Traum natür-
lich ... so wie Dein blauer Teich."

Der Herzog setzte sich aufrecht und steif in seinen
hohen gotischen Stuhl, er legte die Hände auf seinen
Schoß, die Spitzen seiner Finger berührten sich. Der
Herzog hatte jetzt ein sehr ernstes Gesicht.

„Du hast recht, liebe Anna," sagte er. „Wir ver-
gessen, Gott für die Gnade des Brotes zu danken.
Verzeih. .."

Er hatte unversehens eine strenge Haltung an-
genommen, wie daheim auf dem Schloß, wenn seine
Mutter auf eine Angelegenheit der Religion zu sprechen
kam. Er war nun der fromme Sohn seiner from-
men Väter.

Aber mit einem Mal durchfuhr ihn ein Schreck.
Hatte Anna Not gelitten? War ihr die Gnade des
Brotes einstmal versagt worden?

Mit wem esse ich hier am Tisch? dachte er und
fühlte eine Eiseskälte an den Wurzeln seiner Haare.
An wen verschwende ich seit Monaten meine Seele?
Gnädiges Schicksal, woher kommt diese Frau?

Er sah die Hand des Kellners, der eine Flasche
Mineralwasser auf den Tisch stellte. Es war eine rote,
etwas breite, aber zugleich gepflegte Hand. Der Her-
zog runzelte die Augenbrauen, er wünschte einen Ge-
danken von sich zu weisen. Dann richtete er die
Blicke auf die Hand seiner Geliebten. Diese Hand
schimmerte rötlich, sie hatte eine breite Fläche und
schlanke Finger, sie war ungemein gepflegt.

Sie ist seiner Art, seines Blutes, dachte der
Herzog mit einer unbeschreiblichen Bestürzung.

Erfragte: „Wieviel Schwestern hast Du,Anna?"

„Vier."

„Was tun sie?"

Anna sah ihn lächelnd und fragend von der
Seite an. Sie hatte ihn nicht verstanden.

„Ich meine," sagte der Herzog etwas verwirrt,
„haben sie vielleicht irgend eine Beschäftigung. . wie
soll ich jagen . . einen Beruf?..."

Anna schüttelte den Kopf.

„Aber was tut Ihr denn den Tag über?" fragte
der Herzog mit grenzenlosem Erstaunen.

Er legte seine Seele in diese Frage. Er wollte
unbedingt wissen, was diese vier Schwestern den Tag
über täten.

„Nichts, wir helfen in der Wirtschaft.'

„Wirtschaft? In welcher Wirtschaft?"

Anna wurde ein wenig ungeduldig. „Nun, zu
Haus . .."

Der Herzog hob verwundert die Arme bis zu
der Höhe seiner Schultern und ließ sie leicht auf den
Tisch fallen.

„Du mein Gott, habt Ihr denn ein so großes
Haus, daß Ihr alle vier dabei helfen müßt?"
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