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mit gierigem und verzehrendem Interesse;
das Geschlecht war in dieser Minute so
mächtig in ihr, so stark ihr Neid und ihre
Verachtung, daß sie in einem Blick die
Geschichte von Annas ganzer Seele und
von jeder Krankheit ihres Leibes lesen
konnte. Ein junger Herr im Frack sagte
ganz laut: „Ach Gott", und warf ein
Glas Kognak um.

Annas Augen ruhten ungeniert und
träge in einem Spiegel der Wand. Sie
gewahrte Herrn Philibert, der sie von
einer Ecke aus mit der zärtlichen Traurig-
keit des Todes anblickte, und sie nickte
ihm freundlich zu. Herr Philibert ver-
neigte sich, aber diese ehrfürchtige Beugung
mußte seinem kranken Herzen nicht wohl-
getan haben, denn Herr Philibert hüstelte
gleich danach und legte tiefatmend seine Hand
an das Herz. Und zudem hatte er ja auch
noch diese unglückliche Liebe. . .

Als das elektrische Automobil des Herzogs
die Bordschwelle des Restaurants Philibert ver-
lassen hatte, stürzte der Kellner Ludwig auf die
Straße. Sein blondes Haar und seine weiße
Schürze flatterten im Wind. Er hielt einige
braune Geldscheine in der Hand.

„Aber hier! Hier!" rief er dem enteilen-
den Gefährt nach und schlug in erbitterter und
verwirrter Glückseligkeit mit der freien Hand
auf die Scheine, „aber was ist denn das
hier? . . . Das geht doch nicht . . . Aber hier
doch! Hier!"

So stand er noch längere Zeit im Wind
und sprach unverständliche Worte in die Luft.

Beim Morgengrauen, als das Licht mit
heroischem Strahl durch die Fensterscheiben brach
und ein üppiges Feuer das Prunkbett der
Liebenden durchleuchtete, beugte sich der Herzog
über die schlafenden Augen seiner Freundin.
Annas große, rötlich schimmernde, ringge-
schmückte Hand lag mit schlanken, zuckenden
Fingern in pretiöser Anmut auf der blauen
seidenen Decke des Bettes. Der Herzog sah
diese Hand und mit einem Mal war sie ihm
näher, ja inniger verwandt als das ernste, kühne
und geistige Antlitz seiner Mutter.

Er umfaßte das Haupt seiner Geliebten.

„Anna!" rief er, „meine Liebe, wach auf!"

Sie schlug die Augen auf, so leicht und ohne
Mühe, als habe sie die Lider nur zum Schein
geschlossen.

„Anna. . . sage mir nur ein Wort... die
vier daheim, sind es wirklich Deine Schwestern?"

Sie lächelte. Sie strich mit der Spitze ihres
Zeigefingers spielend an seiner Stirn entlang.

Sie sagte: „Schlafe, mein Lieber, .... so
schlafe doch. Es sind wirklich meine Schwestern."

Glaube und Heimat

von Friedrich Freksa

Noch lebt im alten Oesterreich unermeßliche
Kraft. Des haben wir Zeugnisse genug, allen
zum Trotze, die den baldigen Untergang des
staatsbindenden Deutschtumes in Oesterreich
prophezeien. Aber wäre auch nur der eine
Zeuge da, das Drama Glaube und Heimat,
von Karl Schönherr, wir müßten an die Kraft
des Deutschtumes in Oesterreich glauben.

Die Tragödie eines Volkes hat der Dichter
im Untertitel sein Werk genannt! Nie noch
ward eine Dichtung so gerecht getauft. Achtzehn
Figuren nur sind gegeneinander in Bewegung
gesetzt, aber ganze Generationen scheinen sich,
durch die Magie des Dichters beschworen, aus
dem Staube alter blutiger Zeit erhoben zu haben,
die dumpfen Trommeln ertönen, Trompeten kaiser-
licher Reiterhaufen schmettern und die rote Sonne
der Gegenreformation leuchtet über dem Kampf
der zwei Glauben, in dem sich das deutsche

Die alte Gute

(Mit zwei Zeichnungen von Lerd. Staeger)

Wie das doch nimmermüde um sich blickte!
Das alte kleine Weiblein saß und strickte
Und stopfte Strümpfe. Ja nur keine Ruh!
Dazwischen nähte sie ein Röcklein zu
Und spähte sorgsam und mit Kennermiene,

Ob nicht ein Löchlein wär' in der Gardine.
Dann setzte sie die Schüssel auf den Schoß,
Steckrüben, und nun ging das Schälen los
Wie ganz von selber — siebzig Jahre üben —
Und die Kartoffeln folgten auf die Rüben.

Und ach, der arme Kranke! Auf den Zeh'n
Ging nebenan sie einmal nachzusehn,

Sie gab zu trinken, schob den Pfühl gerade
Und langte frisches Linnen aus der Lade.

So stapfte sie befriedigt durch das Haus.

Sie knurrte nur, sprach einer: ,Ruh Dich ausll

Nun starb sie mit dem Strickstrumpf

in den Händen.

Sie konnte grad die Hacke noch beenden.

Wie schade, daß ein Beinling übrig blieb!

Das alte Weiblein hatt' ich herzlich lieb,

Und daher kam's wohl, daß beim

Abendschimmer

Ich gestern wieder sie in ihrem Zimmer
Leibhaftig sah, die Hände still im Schoß.
Ich war bestürzt, verwirrt: „Was ist denn los?
Gefällt es Dir denn nicht im Himmel drüben?"
„Ach, Junge, lieber wär' ich hier geblieben!
Du weißt, daß ich nicht ruhig sitzen kann.

Da oben aber hat kein' Seel' was an.

O könnt ich nur ein Babysöckchen stricken!

Da ist rein nichts zu stopfen und zu flicken.
Und Durst und Hunger? Wie doch

freut ich mich,

Wenn ich Euch nur ein Butterbrödchen strich!
Und pflegen möcht doch auch gern unsereiner.
Das ist nun so. Doch dort bedarf mich keiner."
Sie seufzte und verschwand. Ich war allein:
Ist andern helfen mehr als selig sein?

Ad. Ey

Volk verzehrt und vernichtet — bis auf
den heutigen Tag.

Ja, bis auf den heutigen Tag, — das
ist der Ton, der durch die Dichtung zittert,
wenn sie auch in den alten blutigen
Zeiten spielt, und es ist tiefe Trauer da-
rinnen enthalten, wie wenn bei einem
Liede von Ferne her die Bäume des
Waldes ins Rauschen gerieten, Trauer,
daß es noch immer also ist.

Keine Feindschaft des andern Glau-
bens durchlodert das Werk und alles ist
gerecht bis zum kleinsten Worte. Der
„Reiter", der die „Fanghunde katholischen
Glaubens" führt (denk an den Namen
Domini canes, um dieses Wort recht zu be-
greifen), tut nur im tiefen Glauben seine Pflicht.
Er dienet mit dem Schwerte der Jungfrau, und
will als Bruder in seine Arme reißen, wer sich
zur Jungfrau wendet. Und da er Mensch ist
und gleichen Stammes wie die andern, die er ver-
nichtet, weil eine höhere Gewalt es also will, so
ist's auch möglich, daß er am Schluffe das blutige
Schwert zerbricht, das allen Greuel erweckte.

Dies Werk redet mit Engelszungen zum
heutigen Tag, zum Oesterreich, das lebt und zu
Deutschland, das ist und bleibt!

Und wird noch weiter reden und zeugen,
denn die Gewalt des Dramas ist darin be-
schlossen, daß diese Menschen einer blutigen Zeit
dennoch zeitlos sind. Ich nordischer Mensch aus
Bauernstamm fühlte mich diesen österreichischen
Bauern verwandt in Seele und Herzen.

Rein künstlerisch ist diese Entwicklung durch-
geführt, ohne Zwang, ohne Tendenz gestaltete
sich diese Figur also, aber welcher Appell an
unsere Zeit ist in dieser stummen Handlung ent-
halten !

Glaube und Heimat sind die beiden Pole,
zwischen denen des Bauern Leben sich spannt,
und den dramatischen Kampf sich anspielen zu
lassen zwischen diesen beiden Polen, scheint so
einfach, so naheliegend, aber wer hat es bisher
getan? Bei diesem Werke Schönherrs muß der
einfache Zuschauer ergriffen werden, denn dieses
Werk ist stark. Aber die Kenner und selbst
Schaffenden müssen es bewundern wie ein Fugen-
werk des alten großen Sebastian Bach, müssen
staunen über die Notwendigkeit, mit der das
Thema abgewandelt wird, in einem jeglichen
Satze. An einer Familie, Großvater, Vater,
Mutter, Sohn und der Mutter der Bäuerin voll-
zieht sich das Geschick. Sie sind heimlich luthe-
risch und wollen es nicht bekennen, da sie von
der Heimat nicht lasten wollen. Denn ein jeder
Lutherischer muß aus dem Lande. Aber der
Märtyrertod der Nachbarin zwingt den Bauern
Rott zum Bekenntnis, und nun vollzieht sich
das Unabwendbare, um den Glauben wird die
Heimat geopfert. Eine jede Figur geht ihren
Schicksalsweg, eine jede muß entscheiden zwischen
Glauben und Heimat, und nicht den leichtesten
Kampf hat der Sandperger, dessen Weib um
des Glauben willen starb, der aber dennoch von
der Heimat nicht lassen kann und den Glauben
abschwört. — Nur das junge Vagantenpaar,
das keine Heimat hat, und nun einen Wander-
paß wegen ketzerischen Glaubens erhält, und
damit Möglichkeit zu späterer Ansiedlung, jubelt
einem kommenden Glück entgegen.

Töricht wäre es, von all der dichterischen
Herrlichkeit erzählen zu wollen, von den Ironien
und der quellenden Kraft. Wer Augen hat zu
schauen, der schaue oder lese, denn es ist ein Kunst-
werk, das für einen jeden gemacht ist, wie es bei
den ganz großen Kunstwerken stets war und sein
wird. — Wir aber heißen Schönherr willkommen
in Deutschland mit seinem deutschen Werke.
Register
Ferdinand Staeger: Illustrationen zum Text "Die alte Gute"
Friedrich Freksa: Glaube und Heimat
Karl Julius Adolf Ey: Die alte Gute
 
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