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(Befang über den OaaceN

Alles Lebendige, erdentsprossen,

Alle Blätter, Blüten und Keime
Reichen schwellend an mein Herz,

Schießen auf zu leuchtenden Garben
Aller Formen, aller Farben,

Und im Himmel schwimmt mein Haupt,
Frühlingswolkenüberflossen.

Ich — gewachsen jeder Fülle,

Ich — empfangend, ich —- genießend,
Niemals müde, niemals satt:

Oeffne Poren nur und Schleusen
Allem Safte durstbegierig,

Daß zu Früchten und zu Ernten
Meine Erde ewig neu zu schaffen hat.

Tief durch jeden Schmerz gekräftigt
Jeder Lust — ihr, leidgeübt
Und erprobt, ihr, lachenden Organe!

Ja, mein Wurzelwerk verflicht
Sich im Dunkeln,

Aber meine Kronen funkeln
Hoch im Licht.

Und ein Horcher und ein Lauscher,

Stets gegürtet und stets wach,

Zwangvoll und freiwillig ein Verantwortlicher
Meiner Zeit und immer innerlicher,

Immer ganzer ihr verbunden,

Ihrem Werden, ihren Wunden,

Ihren: Suchen und Gesunden,

Ihrer widerspruchsvoll irrenden Wahrheit
Wechselnd - wachsend, leidend - läuternd

voll ergeben

Und doch meiner selbst stets sicher!

Denn erlösende Beseligungen
Sind mir immer nur entklungen
Meines Bluts tiefeigenstem Gesang,

Seinem reichen

Und hart-weichen

Ton nachtwandlerisch gehorchend,

Steig ich heiter
Höher, weiter,

Selber Stufe mir und Leiter,

Ein in ernster Jugend starker Schreiter,

Den von Mir zu Mir emporgewollten Gang.

Hans Brandenburg

Die Unberufenen und der Berufene

Ottokar Seltner, Professor der Philosophie,
war ein äußerst gescheiter, ein schwer gelehrter,
war sogar ein berühmter Mann. Die einzige
Torheit, die er in reiferen Jahren begangen
hatte, war die allzu sparsame Vererbung seiner
geistigen Anlagen auf seine drei Söhne.

Trotzdem sollte der Aelteste, als er endlich
sein Abiturium gemacht hatte, Philosophie stu-
dieren. Der Vater wäre ein bedeutender Philo-
soph gewesen, sagte die Familie, nun da er tot
sei, komme es seinem ersten Sohne zu, die Tra-
dition fortzusetzen. Und das war auch sein
Wunsch, denn er hielt sich für berufen dazu.

Er war ein Musterstudent. Er studierte mit
dem Eifer des zielbewußten Ehrgeizes, er stu-
dierte mit dem Drange nach Selbstbelehrung
und allumfassender Erkenntnis. Aber wie ge-
ring der Lohn für allen Fleiß, wie verschieft die
Parallele zwischen Bemühung und Fortschritt!
Er stümperte sich so weiter, bis ihm die Grenze
seiner Auffassungsgabe schließlich mit brutaler

„Winter ade! . . W. Krain

Deutlichkeit bewußt wurde. Und das gerade
da, wo die Philosophie so recht wissenschaftlichen
Ernst mit ihrer Aufgabe macht, wo sie erst zu
einer spruchreifen Entscheidung über ihre Pro-
bleme kommt. Vor der „Kritik der reinen Ver-
nunft" mußte er kapitulieren.

„Wenn das so weiter geht, dann werde ich
noch verrückt," gestand er sich selbst.

Es ging so weiter und er wurde verrückt.

Er hatte einmal gelesen, wie Heraklit im
Bade seine Weltformel gefunden, wie er dann
in der Ekstase des Entdeckungsrausches nackt
durch die Straßen gelaufen sei und sein Ttdvxa
ßsi hinausgeschrieen habe. Er bildete sich ein,
Heraklit zu sein, entkleidete sich eines Tages
und tat es dem großen Epheser nach.

Er kam ins Irrenhaus.

Der Arzt meinte, viel Verstand habe er nie
besessen; im Gegenteil so wenig, daß es um den
armseligen Rest, der nun auch rettungslos da-
hin wäre, nicht, so sehr schade sei.

* -I- *

Der älteste Sohn war also für die Philo-
sophie verloren, nun mußte der zweite heran.
Man hielt ihn für viel gescheiter, er würde dem
väterlichen Beruf und Namen schon mehr Ehre
machen.

Er war auch gescheiter und dabei fast so
fleißig wie sein Bruder. Aber so recht vorwärts
ging die Sache auch bei ihm nicht. Kant's Ver-
nunftkritik wurde auch der Wendepunkt seines
Lebens. Doch er war gescheiter als sein Bruder
und ließ seine Unfähigkeit nicht zu einem inne-
ren Schicksal werden. Er machte mit sich aus,
das Zeug da hat überhaupt keinen rechten Sinn,
und alle gelehrt klingenden Deduktionen des
Philosophen sind reine Worthetzereien, oder
bestenfalls müßige Geistesakrobatien.

Er begann die Philosophie gründlich zu
hassen und suchte ihr zu schaden. Allen Merl-
scheu, die es hören wollten, sagte er, die Philo-
sophie sei ein Teufelswerk, der Satan sei ihr
eigentlicher Patron.

Das war doch wenigstens eine Idee, eine
gar nicht so üble Idee. Es war ein Gedanke,
der auf praktische Perspektiven Licht fallen ließ.
Der junge Mann, sagten die Leute, sei für die
Philosophie eigentlich zu gut, oder nicht recht
tauglich, je nachdem, sicher aber würde er einen
trefflichen Theologen abgeben.

Er wurde Geistlicher und predigte vom Gottes-
werk im Gegensatz zum Teufelswerk, von der
Theologie im Gegensatz zur Philosophie. Und
damit machte er sein Glück. Heute ist er Su-
perintendent, und da er vermutlich noch lange
jeben wird, weiß niemand, wie hoch er den
Klimax seiner Karriere ersteigen wird.

* * *

Den Familienehrgeiz hatte also auch der
zweite Sohn enttäuscht, nun war der jüngste
die letzte Hoffnung. Es müsse doch wirklich mit
dem Teufel zugehen, wenn, was der Vater so
rühmlich begonnen habe, keiner seiner Söhne

angänglich fortsetzen könne. Cr sei ja über-
dies so gescheit, viel gescheiter als der älteste
und noch gescheiter als der zweite Bruder.

„Will doch mal sehen, was da so Un-
überwindbares dahinter ist," machte er tich
selbst Mut. ' ’

Nach drei Jahren zog er die Bilanz.

„Harte Nüsse, die einem da vorgesetzt
werden. Kein Wunder, daß der eine Bru-
der darüber verrückt wurde, und der andere
rechtzeitig abgesprungen ist."

Und einige Zeit später kam er dahinter:

„Mein Gott, es sind doch so viele, die
die Welt als Philosophen gelten läßt oder
gar feiert. Wie müssen die es nur gemacht
haben? Vielleicht liegt es daran, daß ich
die Sache überhaupt zu schwer nahm, viel-
leicht geht es, wenn man sich abgewöhnt,
hinter aller philosophischen Problematik rät-
selhafteste Tiefen zu suchen."

Er studierte fortan nicht mehr die großen
Originalwerke, er studierte die Kommentatoren
und Popularisatoren.

„Na also!" triumphierte er und fand den
ganzen Kram so einfach wie's liebe Vaterunser.
Bald hatte er seinen Doktor und bald war er
Privatdozent.

„Immer von außen an die Sache heran-
kommen und Du bringst es noch zu etwas,"
machte er zu seinem Programm.

Er heiratete die Tochter eines Professors
und demnächst wird er selber Professor werden.

Aber schon heute sagen die Leute: „Er ist
viel gescheiter als sein unglücklicher ältester
Bruder und noch gescheiter als der Superinten-
dent. Wenn er so weiter macht, wird er selbst
den Vater in den Schatten stellen."

Illomitz.

Riesin

Wie aus Bergen ich Dein Wachsen suhle,
Seit Du srei am Himmelsrande stiegst,
Nun Du atmest, hoch auf grünem Bühle
Gipselsäume überkrönend liegst,

Den zartschwellenden Nacken aus die Kühle
Kühner, schneebeglänzter Zacken biegst,
Deine Glieder mattenabwärts fließen,

Sich verjüngend zu des Tales Wiesen —
Weib, als Urkraft rings der ragenden Riesen
Bebst Du mir, die im gewaltigen Sprießen
Dieses Frühlings aus der Erde sprang.
Deine Arme, schlank und voller Drang,
Schimmern gleich verschränkten Paradiesen:
Wenn sie ausgehn, mich ans Herz zu

schließen —

Großes, wildes Kind, mir würde bang.

Josef Schänder!

wie lang ift Unraft noch mein 0aft?

Wie lang ist Unrast noch mein Gast?

Ihr ruhlos Hämmern schafft mir Leid.
Hat sie mich beutefroh umfaßt
Als Botin unruhvoller Zeit?

Ins wirre Angesicht der Welt
Hab' ich wohl allzu dreist geschaut,

Da hat sich Unrast mir gesellt,

Gleich einer unwillkommnen Braut.

Was aber nützt es, sie zu fliehn?

Ist sie die Botin dieser Zeit,

Soll auch Frau Unrast mit mir ziehn,

Bis sie in mir zur Ruh gedeiht.

Franz Rarl Ginzkep

J92
Register
Willibald Krain: Winter ade!...
Franz Karl Ginzkey: Wie lang Unrast noch mein Gast?
Momitz: Die Unberufenen und der Berufene
Hans Brandenburg: Gesang über den Saaten
Josef Schanderl: Riesin
 
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