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her Tasche des Schreibers, der am Eingang
des Gartens stand, flatterte ein gesprenkeltes
Schneuztuch.

Durchlaucht kommt," raunte der Gastwirt,
vergeßt nichts." Und bekam heftiges Herz-
klopfen. Den geraden Weg herunter trabten die
Rosse des fürstlichen Wagens. Das Volk grüßte
jenseits des Zaunes, die drei Männer standen zu
Stein erstarrt und sahen zitternd ihrer größten
Minute entgegen. — Die beiden Lakaien am
Bock fuhren gleichmütig dahin und sahen nicht
rechts, nicht links.

In eine Ecke gedrückt saß Durchlaucht und
schlief. Doch das sah niemand, und nur der
Kammerherr neben ihm behütete den Schlummer
eines geplagten Herrn.

Als der Wagen zwanzig Schritte von der
Brücke entfernt war, nahm der Bürgermeister
langsam und feierlich den Zylinder ab und
krümmte den Rücken tief zu Boden. Die beiden
andern taten wie er. — Die Papierrolle leuchtete
in der Sonne.

Die Lakaien grinsten, der Kammerherr legte
den Finger an den Mund, die Hufe der Pferde
dröhnten über die Brücke und — — — als
der Bürgermeister sich von seinem Bückling er-
holte und stumm die Papierrolle in die Höhe
hob, war der Wagen schon hinter den Bäumen
verschwunden. Der Krämer Haller und der
Bäcker Klaps waren ein wenig überrascht, als
sie zur Höhe kamen und ihren Instruktor in
devoter, hingebender Pose vor dem Nichts
stehen sahen.-

Sie haben dann das Gesuch mit der Post
geschickt, aber da der schöne Bückling fehlte
und die ganze Stimmung, wurde es abgelehnt.

So war das Hatzenberger Oberhaupt, da es
zuviel Devotion vor dem Landesherrn gezeigt,
um die seiner Mitbürger gekommen.

Gpringquell

Unerträglich wuchs der dunkle Druck.
Gärend sammelt sich der Quell und braust,
Raum verlangend. Mit gewaltigem Ruck
Bricht er Frühlingschollen auf und saust
Oh Entzücken! in die Morgenhelle.

Ueber weiß getürmtem Wolkenwall
Goldgewandet, glühend schwebt die Sonne.
Oh die Herrlichkeit! Er sprudelt, springt
Jubelnd ihrem Leuchten nach und schwingt
Immer sich ins Blaue und ins Leere —
Und das Ungetüm, die Erdenschwere
Lauert seinem Fall und schlingt und schlingt.
Aber frisch verjüngt hebt er sich und singt
Hoch ins All sehnsüchtige Fanfaren,

Singt — verzagt — singt höher —

und verklingt.
Hundert Stürme, hundert Niederlagen. —
Wieder rafft er sich empor und steht
Klar und still, gehärtet wie Kristall,

Der nur ragen will, hellschimmernd ragen,
Und im Schimmer sinkend untergeht.

Seht: urplötzlich schwillt er, unverdrossen,
Unterirdischen Adern angeschlossen,
Hochgetrieben aus dem blanken Saft:

Wird zum schlanken, überschlanken Schaft,
Der unbändig steigt und sich zart verzweigt,
Und ein Wallen schon als Krone zeigt.
Flimmt ein Zauberstaub, der Sonnenstrahl,
Zitternd ins Gezweig: mit einem Mal
Sprüht es rot, blau, golden, grün heraus,
Hundertfarbig, wie ein Blütenstrauß,

Und verstreut sich selig in den Raum.
Unaufhörlich steigt es, teilt sich aus
In die Lüfte. Und ein Schimmer weht
Ueber Fliederbusch und Blumenbeet. . .
Alles, was im Frühling einsam steht,

Sehnt sich mit hinan, hinaus, hinaus!

Josef Schänder!

Der Zauber der Berge

Zum ersten Mal hatten sie Geld an dem
Tisch im Cafö Stephanie, und zum ersten Mal
bekamen sie einen Einfall. Reisen wir, sagten
sie. Wohin? Sie überlegten und wurden sich
einig, daß es mit dem Geld mal auf alle Fälle
bis Innsbruck reichte. Weshalb sie grade
Innsbruck gewählt? Sie lächelten, als sie sich
das fragten, mit der matten Anzüglichkeit ihres
„skeptischen Stils". Es ist doch wurscht, ob es
nun Innsbruck oder Mugden heißt. Das Cafe
Stephanie ist es hier wie dort nicht.

Sie nahmen am nächsten Morgen einen Zug.
Zu vier waren sie. Natürlich Paar und Paar.
Der Zug fuhr in den klaren Morgen hinein,
und alles war sehr schön. Sie sprachen weder
über Goethe noch über Heinrich Mann; wohl
aber über 5E. 2). Klubowskis „Vermischung von
süß gebender Unklarheit und Zigarettenparfüm".
Peter war der Einzige, der manchmal aus dem
Fenster schaute. Ja, einmal sprang er auf
und rief:

„Famos, das Reh dort an den schwarzen
Streifen der Tannen gehängt."

Da traf ihn entrüstet Fredys Blick und
seiner Freundin Madeleine zuckten verächtlich
die Lippen. Peter war naiv. Fredy meinte,
Klubowski sei ein Genie, vielleicht aber auch
ein Dummkopf. Das glaubten die andern auch.
Das besprachen sie eine Stunde lang sehr er-
schöpfend, jedoch nie die Lässigkeit vergessend,
die „Stil" ist.

... Ja, P. 3)- Kl. habe kürzlich sogar. . .
da sahen sie auf einmal, daß der Zug schon
zwischen den Bergen fuhr. Peter und Fredy
bemerkten es zugleich. Sie sprangen auch zu-
gleich erregt ans Fenster. Aber Fredy schob
Peter weg, zog die Vorhänge ängstlich zu,
„Das Gebirg!" sagte er, etwa wie der Lotse
im Mastkorb warnend hinter sich auf die Kom-
mandobrücke ruft: „Der Taifun!" Die beiden
Mädchen zogen sofort die Ränder ihrer Kala-
breser zur Seite des noch offenen Fensters drüben
über's Aug. Jedoch Peter der Naive griff mit
der Hand in die geschlossene Gardine und
stammelte:

„Ja was? Eben das Gebirg!"

Fredy verwies ihn kurz angebunden, indem
er seine Hand wegschob; ging rasch auch die
Vorhänge auf der andern Seite schließen und
sagte:

„Das Gebirg, nee! So'n Kitsch!"

Dann setzte er sich und meinte streng zu
Peter: „Laß das doch Ganghofern oder wie er
heißt!" Er wandte sich zu den andern: „Nu
also, machen wir Schüttelreime."

Das taten sie, bis sie in Innsbruck aus-
stiegen. Dort begaben sie sich gleich ins Wiener
Cafe und saßen drin bis Halbvier, als der Tag
anfing die Stöcke der Berge ringsum aus der
Nacht zu heben.

do. ja.

Durchgerungen!

„Ich kämpfe schon den ganzen Tag mit
mir, ob ich arbeiten oder ins Lass gehen soll,
aber ich bin Sieger geblieben!"

f^achtstück

Wenn Gottes Rat mir einen Galgen spendet,
So muß der sein aus Ebenholz gedrechselt,
Dran Elfenbein mit mattem Silber wechselt,
Ein Prunkstück, phantasiereich und vollendet.

An seinem Schafte müßten Sphinxe trauern.
Und Totenköpschen, blasse Amoretten
Sich bergen unter schwarzen Blumenketten,
Auf denen eifersüchtige Teufel kauern.

Trophä'n von Siegen, die wir nie erfochten,
Schmücken das schwere Querholz meiner

Leiden,

Die Schnur jedoch muß golden sein

und seiden,

Aus Deinem Haar, Geliebte, stolz geflochten!

Wilhelm Rlemm

Der Einbruch

Frau Gundlachers Erzählung

Szene: Eine mitteldeutsche Großstadt

„Frau Wiederhofer, Frau Wiederhofer, so
warte Se doch emal! Ich muß Ihne ja was
erzähle! Denke Se mal an, hawwe Se's schon
gehört, ach Gott, ich bin ja noch ganz außer
mir, gestern abend is ja, ach Gott, komme Se
doch herein un nehme Se Platz, ach, was bin
ich so froh, daß mein Mann heut' abend wieder
kommt, setze Se sich doch hier in de Sessel!
Denke Se mal an, gestern abend is ja en Ein-
brech er im Haus gewese! Wo? Ei in der
Mansard', in Schleiningers und Baurats Man-
sard' un hat zwei Uhr'n un Geld un e Kostüm
von de Frau Baurat gestohle! Ich Hab' die ganz'
Nacht kein Aug' zugemacht, ich bin doch ganz
allein mit mei'm neue Mädche, no un ich Hab'
ihr gleich wieder gekündigt, denke Se, die Person
is gleich am erste Tag in eme Hut ausgegange,
gerad wie meiner, auch noch mein neuer, wo
mir mein Mann erst vor acht Tag' gekauft hat.
So e Person behalt' ich nicht! No also, ich
wollt' ja von dem Einbruch erzähle. Also ich
sitz' gestern abend nach dem Esse da un denk'
an nichts, kommt auf einmal das Mädche aus
dem zweite Stock, klingelt un is ganz aufgeregt.
Wisse Se, im zweite Stock wohnt der Agent
Schleininger, hawwe Se dem sei Frau schon
mal gesehe? Nicht? Die war früher e Trapez-
künstlerin, no, man sieht's ihr auch an, sie trägt
Hüt' als wollt' se wieder aufs Trapez damit.
Er is e ganz ordentlicher Mann, aber wie man
e Trapezkünstlerin heirate kann, das begreif ich
net. Ich weiß net, ich Hab' zu mei'm Mann
gesagt: ,Alfons, mit der is net viel los/ Sie
grüßt mich auch nur sehr von owe runter. Also,
um wieder auf de Einbruch zurückzukomme, das
Mädche von Schleiningers kam un war ganz
aufgeregt un wie ich frag': ,Warum sin Se denn
so aufgeregt?', da sagt Se: ,Ach Gott/ sagt se,
sich bin so aufgeregt, owe in meiner Mansard'
is en Kerl!‘ ,En Kerl?' sag' ich. ,En Kerl/ sagt
se, ,es is von inne zugeschlosse!' Ich kann Ihne
sage, Frau Wiederhofer, ich bin im erste Augen-
blick ganz kreideweiß geworde, ich Hab' gedacht,
ich werd' ohnmächtig I Wisse Se, Frau Wieder-
hofer, ich bin sehr nervös, der Doktor Ziegler
hat mer auch Eisepille verschriebe, aber die nehm'
ich net, mein Schwager Mai hat mer gesagt,
de wär'n so schädlich für die Zähn' und wo ich
mer doch erst Hab' e neues Gebiß mache lasse.
Also ich war schrecklich aufgeregt un Hab' ge-
sagt: ,Is denn der Herr Schleininger net da?'
,Ach Gott/ hat se gesagt, ,der is ja net da!'
Da Hab' ich gesagt: -Springe Se doch in de
erste Stock un rufe Se doch de Herr Baurat I

(Schluß auf Seite 624 a)
Index
Willy Ruppel: Der Einbruch
Richard Seewald: Durchgerungen!
Josef Schanderl: Springquell
No. ja.: Der Zauber der Berge
Wilhelm Klemm: Nachtstück
 
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