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Der gebändigte Vulkan

Kultur kämpft. Die Natur, zu der zurückzu-
kehren einst Jean Jacques Rousseau aufforderte,
ist seit seiner Aufforderung beträchtlich geändert
worden. Das Werk derer, auf die diese Aen-
derungen hauptsächlich zurückzuführen sind, das
Werk der Ingenieure, wäre schlecht beschrieben,
wenn man sagen wollte, sie hätten die Natur
bezwungen. Sie haben nicht nur Siege über
ihren Gegner davon getragen, sie haben sich
auch vor ihm gebeugt. Diese Kulturträger sind
zugleich Träger der Sendung, die stumme Ver-
achtung der Natur gegen alle menschlichen
Masken, das ewige Werden der Natur und die
unermeßliche Weite ihres Schaffens in unser ge-
sellschaftliches und individuelles Dasein hinein-
zuführen. Jede Maschine ruft den Menschen
den alten Ruf mit neuem Klange zu: „Retour-
nons ä la nature!“

Junius

Tltanide

Rasselnd in die Tiefe klirrt
Meines Krahnes Riesenpranke;

Um des Quaders mächt'ge Flanke
Rollt die Kette im Geviert; —

— Auf zur Höh' mußt du, Gigant! —
Sollst — aus Stein ein Atlas — ragen,
Die Parabel sollst du tragen.

Die den Abgrund überspannt! —

— Trotziger! — dessen schwere Wucht
Finster ruht in bösem Schweigen,

— Wirst du als Rebell dich zeigen,
Donnernd in die tiefe Schlucht? —

— Lauert deiner Masse Macht

In des Erbfeinds alter Tücke? ■—

— Dennoch baust du meine Brücke! —

— Dennoch steigst du aus dem Schacht!! —

— Urgewalten, die Ihr hier
Einst in wilden Wassergüssen
Habt der Erde Rund zerrissen,

— Heut' gebändigt-dienet mir!! —

— Einen Druck! — das Schwungrad kreist,
Knirschend saßt der Kettenknebel,

— Einen Druck am Steuerhebel,

Und im Stahl erwacht der Geist! —

Gedanke zischt durchs Rohr,


Blitzt zur Winde aus dem Kessel —

— — Jetzt ein Ruck der Eisensessel —

--Leicht hebt sie den Fels empor-

Schauend folg' ich seiner Reis' —

Und ein Seherwort — vergessen
Fast — umraunt mich, stolz-vermessen
Klingt mir's durch die Seele heiß:
„Einen festen Punkt des Raums!! —
„Und ich will die Erde lenken!" —

-Wird sich einst das Dunkel senken,

Syrakuser, — deines Traums?! —

— Friedrich Wolf

Die Rrafc

Vielleicht bist du ein königlicher Lenker tausend-
fältiger Geschicke, deren unsichtbare Fäden in deine
starke Hand münden, ein Diplomat voll kühler
Weltweisheit, die noch keiner überlistete. Oder
gar ein Denker, dessen breite Stirn mit zentner-
schweren Gedanken trächtig geht wie eine reife
Aehre, ein Künstler, der den toten Stoff zu zau-
berischem Leben formt, ein Dichter, der den Lor-
beer sich ersang .. . was tut's, vor „ihr" fühlst
du dich auf einmal klein, nichtig und wehrlos,
der rätselvollen Macht überantwortet, die unter
der Panzerrüstung des Motors klopft und brodelt,
wie eines Schlachtrosses ritterliches Herz. — Denk
nur an deine ersten Autofahrten!

Zögernd, ängstlich, als wär's ein Vollblut, dem
du ein Stück Zucker reichen möchtest, streichelst du
das stählerne Rückgrat. Ziehst lange deine wer-
benden, ehrfürchtigen Kreise, wie ein Priester Ju-
däas um die heilige Bundeslade, rings um den
kuxferglänzenden Kasten, darin das Untier haust,
der Feuerdrache, der deine jungfräuliche Fantasie
gebannt hält, vom Stahlgehäuse ringsum einge-
faßt, unbewegt, wohlberechnet und exakt.

Und nun fitzest du auf dem Bock, neben dem
rätselhaften, wichtigen Mann im hochgeknöxften
Uniformrock und mit dem undurchdringlich „del-
phischen" Orakelblick unter der tiefgezogenen
Schirmmütze. Du betrachtest ihn mit heiliger
Scheu. Möchtest ihn wohl gar ansprechen. Aber
du wagst es nicht. Du bist vielleicht ein Denker,
ein Dichter, ein König in deinem Reich. Aber
hier weilst du in dem seinen, ein winziger Unter-
tan bloß der unheimlichen Gottheit, deren Bän-
diger neben dir sitzt, der allein die tiefsten My-
sterien ihres geheimsten Lebens kennt, der sie ge-

H. Kley (München)

Zähmt hält unter dem leisen, unmerklichen Druck
seiner allmächtigen Hand.

Noch nie hast du dich so vollkommen als Dilet-
tant gefühlt!

Doch du weißt: wenn er mag, kann er zum
Dollmetscher deiner Neugier werden. Und du
nimmst alle Courage zusammen, wagst einen
schüchternen Blick zur Seite und riskierst wohl
gar eine bescheidene Frage, sprichst eines der ge-
heimnisvollen Worte jener heiligen Sprache, die
du wohl niemals ganz verstehen wirst: Herr
Chauffeur, wieviel Pferdekräste? . .. und ob die
Zündung gut funktioniert? — (wenn du beson-
ders gescheit tun willst, sprichst du gar von der
„Vergasung"). Dann wartest du untertänigst,
wie bei einer Audienz, auf die wohlgeneigte
Antwort.

Diese erfolgt knapp, herrisch, wie es für einen
Mann ziemt, der nicht gewohnt ist, Zeit zu ver-
lieren. Doch wenn der Gewaltige besonders gut
gelaunt ist, wofür du mit einer Havanna sorgen
kannst, überantwortet er dir vielleicht, mit der
Gebärde eines Königs, der ein Ministerxortefeuille
vergibt, die Handhabung der links angebrachten
Huppe. Du errötest tief vor Glück ....

Und nun fahr' zu! ... Fort durch namenlose
Dörfer, die entfesselten Straßen entlang, staubum-
wirbelt in die grünxrangende, blaugewölbte,
sonnenvergoldete Endlosigkeit des Raums, in die
nie zuvor erschaute Zeitlosigkeit des Alls! .. .

Du fühlst, unklar zunächst, wie sich alle Be-
griffe für dich wandeln, wie dein Weltgefühl
sich vergöttlicht im Bewußtsein solcher Ueber-
windung. Du hast kein Ziel mehr. Grenzenlos
wächst dein Verlangen. Jeder Moment ist dir
Ankunft und Abfahrt zugleich, und dein Traum
legt einen Reifen aus Kraft und Eile um die
kleine Erde: — — Schneller. . . immer schneller!

Hinter dem geschlossenen Visier der Staubbrille
keimt raubritterliche Kühnheit! Atemlos keucht
die Huppe unter deiner krampfenden Hand: du
bist der Herold einer neuen Majestät! wie ein
Torpedojäger der Landstraße kommst du daher-
gesaust, grad auf die Aermsten los, die da im
Staube wandeln, just wie der Sperber auf die
Maus. Und bist doch sonst ein ganz verträglicher
Mensch! Aber kaum fährst du eine Viertelstunde,
hast du bereits umdenken gelernt. Und da ver-
lieren mit einem Male so kleinliche Begriffe wie
„Mensch" oder „Staatsbürger" jede Bedeutung.
Du kennst nur noch „Fahrer" und „Fußgänger".
Solche, denen man kollegial ausweicht, und solche,
denen man im Feldwebelton entgegentutet, daß sie
selber zusehen müssen, nicht unter die Räder zu
kommen. — — —

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Register
Friedrich Wolf: Titanide
Heinrich Kley: Der gebändigte Vulkan
René Prévot: Die Kraft
 
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