Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erwartung

Zartbelaubte Buchenzweige breiten
Dämmerkühle Regungslosigkeiten
Ueber mich: seit unnennbaren Zeiten
Wart ich auf der Lichtung, wie gebannt,

Die ein tiefes Grün von allen Seiten,

Hoher Tannenwald mit dichtgereihten
Stämmen ernst, geheimnisvoll umspannt.

Und die Forste schweigen unverwandt,

Und verlieren sich in Dunkelheiten,

Als ob nie ein Schritt herüberfand.

Jäh ein heller, mächtiger Vogelschrei —
Fernher fühl ich's wie ein Flügelspreiten:
Wohl ein starker, riesenhafter Weih
Senkt sich, hoch vom Aeterreich. ans Land.
Mich durchrieseln Schauer, niegekannt:

Zu mir fliegt aus warmbesonnten Weiten
Leben, in die Einsamkeit gesandt!

Strahlen ziehen, wie zum Wegbereiten,

Durch der Tannen schlanken Sänlenstand:
Schweben seh ich Etwas, näher gleiten,
Leicht ein lichtes Frauenwesen schreiten
Auf mich zu, mit Blumen in der Hand.

Kamst auf Sonnenvogels Rücken,

Meine Sehnsucht zu belohnen,

Blütenbotin, hergetaucht?

Laß Dein Lächeln bei mir wohnen,

Deinen Wuchs die Lichtung schmücken,

Die ein sonnig Walten braucht.

Atme, hauche — Anemonen
Hast du weitum aufgehaucht.

Uebernimm die grünen Zonen:

Waldinmitten sollst du thronen,

Unter stolzen Buchenkronen
Wieg dich, schimmernd und erlaucht!

Josef Schänder!

Der fidele Kakaöu

Don Gustav Friedrich

Er hatte eine Reihe von Büchern geschrieben.
Keines war schlecht, es waren sogar feine Sachen
darunter. Jeweils erhielt er Zuschriften von
Lesern, die ihm das bestätigten und ihm be-
wiesen, daß sein Wirken nicht ohne Wirkung
blieb und sogar nicht ohne die Wirkung, die
er während des Niederschreibens gewünscht und
geträumt hatte. Aber es war kein Werk da-
runter, das durchschlug. Die Bücher gingen
schlecht ab. Die jeweiligen Berichte des Buch-
händlers waren nicht ermutigend, wenn auch
nicht entmutigend. Endlich entschloß er sich,
ein Lustspiel gewissermaßen hinter seinem Rücken
drauf los zu schreiben. Die ersten Szenen waren
auch sofort da, und der Titel ergab sich aus
der ersten Szene: „Der fidele Kakadu." Er
hatte beobachtet, daß, wenn man von einem
Stück den ersten Akt gesehen, von einem Roman
das erste Zehntel gelesen hatte, man in der
Regel Fortgang und Schluß erraten konnte.
Er sprach das als Mangel an. Bei seinem
Lustspiel war das jedenfalls unmöglich: Denn
er, der Verfasser, wußte, während er die eine
Szene schrieb, selbst nicht, was die nächste bringen
werde. Es ward ein tolles Stück. Als er es
persönlich einem Schauspieldirektor brachte,
warnte er ihn dringend vor der Annahme und
Aufführung. Der Herr las es trotzdem oder
vielmehr gerade deshalb. „Wissen Sie," sagte
er, „das Stück bringe ich. Ich kann sonst das
Unvernünftige nicht ausstehen, aber ich liebe

A. Wölfle (Paris;

Einer (Toten

JTIs du mir 5ehnlucht warft und fremd und weit,
Da schwebtest du in meinen Maienträumen
JTIs lichtes Wölkchen, das die 5terne säumen.

Da du mir Weib wardst und mein Ligen,

Tatst du so nah dich meiner Lrde neigen
Jn meines Sommers reifer Lrntezeit,

Da du mir 5eele warst und Blut und Brot
Und ich dich hielt im unbesiegten Jlrm.

Und nun um dich mein Leben ward so arm,
Jlrm wie ein 0ott um Menschlichkeit mutz werben,
Keck' ich aus meinem bangen, schweren Sterben
Der leeren Hände stumme Not
Nach deinem bleichen Bild im Jlbendrot.

Ren£ Pr£vöt

alles Vollkommene, und dies Stück ist — ver-
zeihen Sie, vollkommen unvernünftig. Ich
bringe es." Der Erfolg mar großartig. Das
Stück wurde durch ganz Deutschland gegeben
und — die Dummheit ist international — auch
in Frankreich, England und Italien anfgeführt.

Heinrich Schlüter hatte lange in Berlin ge-
lebt. So lange er seine guten Bücher schrieb,
hatte sich niemand um ihn gekümmert. Als
ihm aber das schlechte Stück gelungen war,
öffneten sich ihm alle Kreise; er wurde mit Ein-
ladungen überschüttet. „Schlüter kommt auch,"
sagte der jeweilige Gastgeber, und er sprach die
Worte mit einem wundervollen Unterton, als
habe er mindestens im Nebenzimmer gesessen,
als das herrliche Stück geleistet wurde. Wenn
dann Schlüter erschien, war die Heiterkeit da:
man dachte unwillkürlich an alle die zahlreichen
Stellen des „ffdelen Kakadu", bei denen man
gelacht hatte. Es war reizend.

Der Erfolg des „fidelen Kakadu" lag aber
nun fünf Jahre zurück. Schlüter hatte stets in
der besten Gesellschaft verkehrt und uuaushörlich
mit den „gebildetsten" und geistreichsten Leuten
Berlins sowohl männlichen wie besonders weib-
lichen Geschlechts verkehrt: kein Wunder, daß
ihm gar nichts mehr einfiel. Er schrieb noch
dies und jenes, aber alles mußte er mühsam

durch Reflexion aus sich Herausquetschen. Die
Einladungen wurden seltener: das war noch
mehr ein Symptom als eine Tatsache. Er
fühlte, er wurde sacht deklassiert. Er hatte
manchen Schriftsteller, der eine Zeitlang die
Oeffentlichkeit beschäftigt hatte, in einer
Weißbierkneipe als Propheten vor fünf
Philistern enden sehen. Das schien auch
ihm bevorzustehen. Er bekam Angstzustände.
Das mußte eine verborgene Ursache haben:
denn er, der noch im besten Alter war,
fühlte sich sonst körperlich durchaus wohl,
er schlief gut, sein Appetit war vortrefflich.
Um so befremdender diese Zustände I Er
beschloß, Berlin mit seiner entnervenden Ge-
selligkeit zu verlassen und sich am Meere
anzusiedeln. Er liebte das Meer. Es wurde
ihm heimatlich zu Mute, wenn er nur das
Wort „Meer" aussprach, wenn er sich das
Rauschen der Wellen an sein Ohr dachte.
Er hatte immer drei Träume gehabt: eine
eigene Jacht, eine Villa am Meer und die
Frau, die er liebte. Er war jetzt nach dem
großen Erfolge des „fidelen Kakadu", der ihm
ein Vermögen eingebracht hatte, in der Lage,
den einen Traum, das Haus am Meere, zu
verwirklichen.

„Und die Frau, die er liebte." Vor

einer ganzen Reihe von Jahren war er in
Düsseldorf in einer Sommernacht gegen
11 Uhr über einen Platz gegangen. Da
kamen zwei Mädchen an ihm vorüber. Die
eine lachte: dies Lachen drang ihm bis ins
Innerste; er hatte nie so lachen hören. „Die
muß meine Frau werden," dachte er und ging
den beiden Mädchen nach. Das Haus, in
dem sie verschwanden, merkte er sich. Sie
war die Tochter eines kleinen Bankbeamten.
Sie verlor nicht, als er sie „bei Lichte besah".
Sie war 18 Jahre alt und hatte zu ihrem Lachen
noch den Reiz einer eigentümlich langsamen
Sprechweise, die ihn bezauberte. Sie heirateten
sich auf ihr Gottvertrauen, auf ihre Liebe hin.
Denn sie hatte nichts, und er hatte noch weniger:
er hatte hie und da kleine Schulden. Aber er
war überzeugt, und diese Ueberzeugung teilte
sich seiner Braut mit, einmal müsse es kommen.
Er brachte dem Mädchen ein großes Opfer, er
erschwerte sich seinen Lebensgang durch die
Heirat in einer ungeheuren Weise. Aber sie
rangen sich durch: es ging schließlich immer.
Er brachte es sogar fertig, einmal, als er ein
Honorar von 350 Mark erhalten hatte, das
Geld in seine Börse zn stecken und diese Börse
auf einem Ausfluge, den er mit ihr in der
Freude über das „viele Geld" unternahm, zu
verlieren. Sie bekamen das Geld trotz aller
Mühe nicht zurück. Er behielt seine Fassung.
In diesen Tagen sagte ein alter Freund, ebenso
armer Teufel und ebenso — zukunftssicher wie
er, zu ihm: „Siehst du, du Schafkopf, du hast
mir nie imponiert. Und das habe ich immer
bedauert: es fehlte etwas. Aber jetzt imponierst
du mir. Du gehst nicht unter. Es — wird
kommen."

Es war ja dann auch gekommen, freilich
anders, als Schlüter sich das vorgestellt. Denn
der „fidele Kakadu" war kein Reis von seinem
Stamme; das war irgend etwas anderes, etwas
Fremdes. Aber seine Existenz ruhte darauf.
Und auch jetzt verdankte er es dem Stücke,
daß er ans Meer ziehen konnte, ans Meer,
an das herrliche, das geliebte Meer. Er wußte,
seine Frau werde sofort auf seinen Vorschlag
eingehen. Sie hatte ja alle seine Sorgen mit
ihm geteilt. Sie hatte es dann sonderbarer Weise
auch verstanden, sich nach der Decke zu strecken,
als diese Decke — größer wurde. Das gelingt
nicht allen. Sie verkehrte in den reichen Fa-
milien, in die sie eingeladen wurden, mit einer
Sicherheit, die selbst größer war als die seinige:
ihre langsame Sprechweise, der ihre Manieren
entsprachen, wurde allgemein als vornehm
empfunden. Das imponierte ihm: das schien
seine sinnlose Wahl von damals noch einmal

672
Register
René Prévot: Einer Toten
Gustav Friedrich: Der fidele Kakadu
Alfons Wölfle: Vignette "Kuß"
Josef Schanderl: Erwartung
 
Annotationen