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Die -Liebeserklärungen der Marne

La France: „<D Gott, das mißratene Rind!
Moussieren soll es, und poussieren tut es!"

*

Oesterreichs Leid

O Unheil, das uns Armen raubt den Schlummer,
Wie 's seit der grauen Vorzeit nicht geschah!

O Schmach und Schande, Ungemach und

Kummer,

Wie sie die Welt seit Oedipus nicht sah!

Die Haare rauft der Tor sich und der Weise,
Die ganze Menschheit jammert spät und früh:
Vom ersten Juli ab erhöht diePreise
Die österreichische Tabakregie.

Der unglücksel'ge Tag, der erste Juli,

Bedeutet Unglück uns und Mißgeschick.

Wer Herr sich dünkte sonst, wird jetzt der Kuli,
Wird jetzt der Sklave der Tabaktrafik.

Wer jetzt noch raucht, läuft schnell und

immer schneller

Bis zu dem Oertchen, wo ihm Rettung winkt.
Wer künftig noch ein Kraut raucht für

zehn Heller,

Tut eine Tat, die, ach, zum Himmel stinkt.

Beim Rauchen schallten früher heitre Lieder
Und jeden Fremden lud man freundlich ein:
„Hier, wo man raucht, da laß dich ruhig nieder!"
Beim Qualm des Tabaks saß es sich gar fein. —
Fetzt schallt ans Trommelfell, ach, jedes Ohres
Der Schreckensruf: „Ihr Leute, sauve qui peut!
Nehmt euch in Acht! Hier raucht man

Stinkadores!

Und wer sein Leben lieb hat, apage!"

Was schert der Ausfall uns der Reichs-
tagswahlen

In Wien und in den Ländern weit und breit?
Der Niedergang der christlichen Sozialen?

Die Bankenfrage und der Sprachenstreit?

Ganz andre Sorgen stören jetzt die Kreise
Der bundesbrüderlichen Monarchie:

Vom ersten Juli ab erhöht diePreise
Die österreichische Tabakregie!

Frido

*

Taumel des Schaffens

Leute, die keinen Begriff vom künstlerischen
Schaffen haben, machten unlängst in den Blättern
schlechte Witze über die Entdeckung, daß Richard
Strauß in seinem Rosenkavalier aus Versehen
eine Regiebemerkung seines Textdichters für
einen Teil des Dialogs gehalten und mitkom-
poniert hatte.

Wie kleinlich, sich darüber zu moquieren!
Was hat der Wortlaut des Textes mit dem
eigentlichen dramatischen Ausdruck zu tun!
Lächerbar! Ich erinnere mich der Uraufführung
der Elektra. Die Heldin hatte eben die Chry-
sothemis verflucht, sah den Orest in der Hof-
tür stehen und schleuderte erregt ihm die Worte
entgegen:

Geehrter Herr! Ich mahne Sie so höflich
Als dringend um gefällige Bezahlung
Für den bewußten Winterüberzieher,

Den ich im Herbst vor einem Jahr geliefert.
Er kostet netto achtundvierzig Gulden

Und Wartezinsen, 5 per Eent und anno —
Macht weitere drei Gulden sechzig Kreuzer!
Bis Pfingsten will ich warten — ist bis dahin
Die Schuld nicht abbezahlt, so muß ich leider
Durch den Gerichtsvollzieher jene Summe
Erheben. Achtungsvoll Ihr Wenzel Culze.

Mit elementarer Wucht klangen die Worte
durch den Raum. Tränen der Ergriffenheit
trübten jedes Opernglas. Und doch gehörten
diese Worte nicht eigentlich ins Drama. Der
Abschreiber des Herrn von Hofmannsthal hatte
nur aus Versehen einen Brief jenes Inhalts
in der Abschrift liegen lassen und Meister Richard
Strauß hatte ihn im Rausch des Schaffens, ver-
führt durch den zufällig jambischen Rhythmus,
mitvertont. Die banausische Engherzigkeit der Ka-
pellmeister hat die Stelle leider, als jener Irr-
tum bekannt wurde, gestrichen! (Unerhört! D.R.)

* Pips

Zukünftiges Jubiläum

Paris, den \. Januar 1936. In diesem Jahre
wird ganz Frankreich das 25 jährige Jubiläum
der vorübergehenden Besetzung von Fez
feierlich begehen.

*

Wir sind solide in Berlin!

Man äußert oft, Berlin sei leicht
Und nicht solide — bitte schweigt:

Die Statistik hat festgestellt.

Daß es sich umgekehrt verhält.

In Preußen ward kein Ort gezählt,

Wo man sich so rapid vermählt.

Es ist doch besser, als es schien —

Wir sind solide in Berlin!

Und — ha, wer packt mich im Genick
Und stößt mich auf die Statistik,

Daß meine Nase, scharf gelenkt.

Sich auf die nächste Ziffer senkt!

Was ist's, das meinen Blick umflort —
Was hat mein Riechorgan durchbohrt?
„In Preußen gibt's auch keine Stadt
Wo man so rasch sich über hat.

Die Ehescheidungsziffer — ..." Schluß!
Hinweg, hinweg, Statistikus!

Indes, je nun — wie man's auch nimmt:
Wer weiß, ob diese Ziffer stimmt!

Und wenn schon — immerhin und ob —
Wir sind solide — also stop! «ff «ss
*

Ein Streber

„Aber, Alois, Du wirst ja auf einmal ganz
verlegen! wir sind doch verheiratet!"

„Ja, weißt Du, mir fiel auf einmal ein,
daß ich nicht weiß, wie der Herr Studienrat
Dr. Aitter v. Orterer über so was denkt,

ich war nämlich am Luitpoldgymnasium —
und der könnte mir in Bayern meine ganze
Karriere verderben!"

Bethmann Hollweg: „Donnerwetter, wenn
nun die französischen Weindiftrikte zu Deutschland
kommen sollten, mutz ich schlietzlich für die Cham-
pagne auch noch eine Verfassung besorgen, — aber
das überlasse ich wohl lieber der „Rheinischen
Karnevals-Gesellschaft!"

*

St. Bürokratius als Wortschöpfer

Im preußischen Abgeordnetenhaus wird z. Z. ein Ent-
wurf betreffend die „Beschulung" blinder und taub-
stummer Kinder beraten.

O Menschenkind, bist du geboren.

Und ist dein erster Schrei verstummt.

Dann wirst du von den Staatsfaktoren
Amtlich verindividuumt!

Als Baby dann, das harmlos schäkert,
Verarztet schnell dich ein Agent,

Und bist du krank, verapothekert
Dich eine Kasse, die solvent!

Dann lernst du lesen, rechnen, schreiben
Und Religion mit viel Geduld,

Das heißt (um kurz im Stil zu bleiben):

Du wirst verseelsorgt und beschult!

Wenn ihr die Ehe auch verdammtet, —
Ihr haltet ihrem Reiz nicht Stand:

Dann werdet ihr verstau de samt et
Und teils beweibt und teils bemannt!

Dies schöne Deutsch, o Bürger mirk es
Für immer, es ist wohlgemeint.

Bis dich der Amtsarzt des Bezirkes
Definitiv beleichenscheint! «vckr»

*

Historische Worte moderner Helden

Der Corriere della Sera hat Beaumont, den
Sieger des Lustrennens Paris-Rom, interviewt.
Der drei spalten lange Bericht hebt folgender-
maßen an: „Dieser Beaumont ist wahrhastig
wundervoll! was, glaubt ihr wohl, ist fein erster
Gedanke gewesen am Abend dieses heldenhaften
Tages, der historisch genannt werden kann und
seinen Namen unsterblich machen wird?" —
„wünschen Sie etwas, mein Herr?" hat ihn der
Kellner voll Ehrfurcht gefragt. — „Ja," hat der
Held ihm geantwortet, „einen Barbier." — Nichts
andres forderte er in dieser seiner Ruhmesstunde,
als sich den Bart rasieren und die haare schneiden
zu lassen! Es ist ein Wort, das verdiente, historisch
zu werden wie der Tag!"

Dies ist auch unsere Ansicht. Es muß über-
haupt noch viel mehr historische Melden, Tage
und Worte geben. Man muß nur das wahrhaft
und im modernen Sinn historische zu erfassen
verstehen. Ich will durch folgende Notizen aus
meiner Erinnerung dazu beitragen:

Der erste Motorfahrer, der in unserem Dorf
anlangte, sagte: „verfluchtes Sauwetter!"

Der erste Automobilchauffeur fragte: „wo ist
hier der Abort?"

Auch ein Gutsbesitzer fällt mir ein, der sich
sein Lebetag rühmte, daß ein richtiger kaiserlicher
Prinz ein historisches Wort an ihn gerichtet hatte.
Der Prinz hatte während eines historischen Ma-
növers zu ihm gesagt: „Machen Sie, daß Sie
hier aus dem Wege kommen!"

Dies sind die Gedanken und Worte der wahren
Helden unsrer modernen Zeit. Man sollte sie
der verlogenen Phrase einer veralteten Welt als
leuchtende Vorbilder wahrhaft menschlicher Ein-
fachheit entgegenhalten.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Zukünftiges Jubiläum
[nicht signierter Beitrag]: Historische Worte moderner Helden
Beda: St. Bürokratius als Wortschöpfer
Pips: Im Taumel des Schaffens
Eff Ess: Wir sind solide in Berlin!
Monogrammist Frosch: Die Liebeserklärung der Marne
Monogrammist Frosch: Eine Cura posterior
Frido: Österreichs Leid
Julius v. Szeremley: Ein Streber
 
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