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otvet Geschichten
aus dem „Goldenen Spiegel"

(Erzählungen in einem Rahmen)
von Jakob Wassermann

k. Der Tempel von Apamea

Unter der Regierung der Söhne Konstan-
tins wurde allenthalben im römischen Reich,
namentlich aber in Syrien und Kleinasien das
Heidentum nach Kräften ausgerottet.

Es lebte damals in der Stadt Epiphaneia
ein Jüngling mit Namen Chariton. Er stand
völlig allein in der Welt; sein Vater, seine
Mutter und seine drei Brüder waren in einem
blutigen Gemetzel von den Christen erschlagen
worden. Er war noch ein Knabe gewesen, als
sich dies ereignet hatte, und ein nazarenischer
Priester hatte ihn gerettet und mit der heiligen
Taufe versehen.

Als er heranwuchs, neigte sich sein Herz
mehr und mehr den Göttern seiner Vorfahren
zu, und während er die Regeln des aufgedrun-
genen Glaubens dem Scheine nach befolgte,
war er im geheimen von Schmerz erfüllt über
die Schändung und Zerstörung der Tempel.
Nicht als Haß konnte man bezeichnen, was er
gegen die Religion des Heilands empfand, nicht
als Frömmigkeit, was ihn trieb, unablässig im
Lande herumzuwandern und die alten, geweih-
ten Stätten aufzusuchen; er war kein Held,
kein Krieger, er hatte nichts von einem Fana-
tiker, nichts von einem Prediger, er war ein
einfacher Mensch, schön allerdings wie ein Apoll,
aber das Besondere an ihm war, daß seine
Seele gleichsam im innersten Kern der Natur
wohnte. Der Wind sprach zu ihm mit Stim-
men; das Wasser war ein Wesen, der Baum
ein fühlendes Geschöpf, die Nacht hatte ein Ge-
sicht für ihn, und was seit tausenden von Jah-
ren die Fantasie der Ahnen, die Träume der
Hirten und Dichter an genienhaften Gestalten
erzeugt, das war für ihn wirklich, das lebte in
Busch und Fels, in den Blumen und in den
Wolken.

Sein liebster Aufenthalt war der Cypressen-
hain, in welchem der Tempel von Apamea lag;
tausende von Adern des reinsten Wassers, die
von jedem Berg niederrieselten, bewahrten das
Grün der Erde und die Frische der Luft, und
ein Strom von Prophezeiung, an Ruhm und
Untrüglichkeit mit dem delphischen Orakel wett-
eifernd, entsprang der castalischen Quelle der
Daphne. Der Tempel, obwohl längst verlassen
und beraubt, war eines der herrlichsten Gebilde
des götterfrohen Griechenvolkes, zart trotz seiner
Größe, von zauberischer Harmonie der Formen
und seltsam gelenkig, ja anscheinend belebt,
dank jener erlauchten Imagination und Schöpfer-
kraft, die eine Steinmasse in einen Organismus
zu verwandeln wußte.

Eines Tages nun zog eine Horde von mehr
als fünfhundert Mönchen von Antiochia heran,
in Vernichtungswut versetzt durch ihren An-
sührcr, der sich Bruder Simeon nannte, und der
sie in einer ekstatischen Rede aufgefordert hatte,
den altberühmten Tempel von Apamea der
Erde gleich zu machen. Es waren Zönobiten
und Anachoreten, jene frommen und rasenden
Schwärmer, deren Ehrgeiz es war, den Menschen-
leih in den Zustand des Tieres herabzuwürdigen,
deren Glieder unter martervollen Gewichten
von Kreuzen und Ketten abstarben, und deren
Sinne betäubt waren durch Wahnbilder, denn
sie glaubten die Luft von unsichtbaren Feinden,
von verzweifelten Dämonen bevölkert. Scheu
blickten sie an den schimmernden Marmorsäulen
empor, um deren Kapitäle kleine Vögel in laut-
loser Aengstlichkeit schwirrten. Architrav und
Fries waren einer riesigen Stirn ähnlich, über
die ein Schatten olympischen Unmuts zu schwe-
ben schien; die Rinnen zwischen den Metopen
sahen aus wie Zornfalten, und eine von der

G. ISroel

Abend

Dieses wundersame Wehn,

Wenn die Sterne sich entzünden!
Ueberall dies Heimwärts gehn
Nach des Lebens stillen Gründen!

Ich nur w andre fern allein,

Bin an jeden Weg verloren,

Bin verfallen jedem Schein
Und verirrt an allen Toren.

Rarl Schloß

Abenddämmerung umflossene Statue im Porti-
kus schaute verächtlich nieder auf den Haufen
verhungerter, bleicher, hohläugiger, halbnackter
Männer.

Diese legten nach kurzer Beratung Feuer
in die Cella; das Dachgebälk und alles was
den Flammen sonst Nahrung bot, verbrannte
während der Nacht, und am Morgen war der
Marmor der Säulen und Kranzleisten an vielen
Stellen geschwärzt, aber der ganze Bau stand
noch in gleicher triumphierender Wucht. Die
Mönchen zerhieben und zerschmetterten zunächst
alles, was sie noch an Statuen, Opfergeräten
und beweglichem Zierrat fanden, dann fällten
sie alle Zypressen und benutzten sie als Prell-
bäume, um die vierundsechzig Säulen zu stürzen.
Es war umsonst; keine der Säulen zitterte auch
nur unter ihren leidenschaftlichen Bemühungen,
vergeblich waren ihre Beschwörungen, ihre Bann-
flüche, ihre Gebete, das Schlagen mit den Aex-
ten, — es war, als ob Ratten eine Festungs-
mauer niederwersen wollten.

In der Nacht kam Chariton mit seiner Flöte
von den Bergen herab, und schon aus weiter
Ferne vernahm er das Geschrei der Mönche
und den Lärm ihrer Werkzeuge. Seit vielen
Tagen war seine Seele von Bangigkeit beladen,
der Schlaf hatte ihn geflohen, er spürte, daß
sich im Schoß der Erde geheimnisvolle Kräfte
sammelten, aber jetzt, während er dahinging,
schien es ihm, als ob er diese Kräfte zwingen
könne, als harrten sie nur seines Willens und
seines Wortes. Dieses Bewußtsein rief eine
stumme Verzückung in ihm hervor, und er war
von dem Glauben durchdrungen, daß ihn die
Götter mit der überirdischen Fähigkeit ausge-
stattet, um dem Zustand einer Welt ein Ende
zu machen, die sich nur noch im Leiden gefiel.

„Wie Prometheus einst das Feuer zu den Men
sehen getragen hat, so will ich es wieder zu eu«
zurückbringen, ihr Götter," betete er, und stw
ganzer Körper zuckte unter dem Einfluß da
dumpfempfundenen Gewalten, von denen da
Raum zwischen Himmel und Erde erfüllt ws>h
Doch regte sich kein Blatt, kein Gras, kem
Wolke, selbst die Mönche waren still geworden,
als er sich genaht und kauerten unheimlich u>»
den Tempel. Chariton trat lautlos unter d>l
Säulen; es war ihm bekannt, daß eine unta
ihnen hohl war, auch der Zugang war ihm vcr
traut; er hob eine Platte und verschwand unta
dem Boden, dann stieg er eine Treppe im Inner»
der Säule empor, bis er zu einer Oeffnung
langte, die von außen nicht sichtbar war, un»
die als Schallloch diente.

Nun fing er an, seine Flöte zu blasen; d>r
Mönche, von denen viele bereits schliefen, er-
hoben sich und folgten den Tönen, die lockend
und traurig waren. Es war ihnen unerklär-
lich, woher die Musik kam, nicht einmal über
die Richtung vermochten sie einig zu werden,
immer niehr strömten herzu, sie bekreuzten sich-
viele weinten und sanken auf die Kniee, und
plötzlich wurde die Dunkelheit zur tiefsten Fin-
sternis, das Firmament schien zu bersten, die
Säulen schwankten, ein furchtbarer Schrei brach
aus Hunderten von Kehlen, Quader um Quader
löste sich, die Blöcke polterten krachend herab,
und ein Steinmeer begrub sie alle, die gekoin-
men waren, um für den Gekreuzigten gegen
einen Tempel zu streiten.

Jahrzehnte-, jahrhundertelang betrat kein
menschlicher Fuß diese Trümmerstätte, auch
meilenweit im Umkreis war das Land wie
verzaubert. Die Wanderer, die in der Nacht
vorüberzogen, hörten Flötentöne aus den Ruinen
dringen, eine sanfte, melodische Klage, bei der
sie schauderten, und die nur die Tiere mit rät-
selhafter Gewalt anzog, den Wolf, den Schakal,
die Antilope und die wilde Katze. Und über
den gebrochenen Säulen entstand ein üppig
wucherndes Pflanzenleben, dergleichen man nie
zuvor und an keinem andern Ort gefunden,
und zu jeder Zeit des Jahres blühten die Ro-
sen in solcher Fülle, daß von dem Marmor
nichts mehr zu sehen war und die Hand, die
ihn hätte entblößen wollen, von den Dornen
zerfleischt worden wäre.

2. Der neue Graf von Gleichen

Herr de Lanka, ein Mann von großem
Reichtum, bewohnte in einem Villenort ein vor-
nehmes Haus. Er war seit zehn Jahren ver-
heiratet, die Ehe, aus der zwei Söhne ent-
sprossen waren, konnte eine glückliche genannt
werden, die Frau war ihm ergeben und hatte
einen ruhigen und heiteren Sinn. Eines Mor-
gens ging Herr de Lanka im Garten spazieren,
und als er an das Gitter kam, der das Nach-
bargrundstück von dem seinen trennte, sah er
drüben eine junge, schöne Person, die seinem
ehrerbietigen Gruß lächelnd dankte. Auf seine
Erkundigung wurde ihm berichtet, daß in jenes
Haus vor kurzem ein Witwer, ein pensionierter
Oberst, ein Mann in vorgerücktem Alter einge-
zogen und daß das Mädchen seine Tochter sei.

Herr de Lauda wandelte nun täglich zu der
Stelle, wo er das Fräulein zuerst gewahrt, es
war Sommer, das schöne Geschöpf weilte tage-
lang im Garten, aus flüchtigen Grüßen wurden
Gespräche, bald wandelte man gemeinsam über
die Wege des Landa'schen Parks, und ein stilles
Pförtchen erleichterte die Zusammenkunft; Herr
de Landa brachte Bücher, das Fräulein Joseph«
las sie, Herr de Landa bot sein Herz an, das
Fräulein Iosepha nahm es.

Zu Ansang des Herbstes starb der Oberst,
es stellte sich heraus, daß seine Vermögungs-
umständc zerrüttet waren, und Iosepha hätte
sich einen Brotverdienst suchen müssen. Da er-
klärte ihr Herr de Landa, daß er seine Familie

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Register
G. Brod: Apfelbaum
Jakob Wassermann: Zwei Geschichten aus dem "Goldenen Spiegel"
Karl Schloß: Abend
 
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