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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 16.1911, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 37
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https://doi.org/10.11588/diglit.4279#0296
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nackten Gliedern, ein Weib seinen Weg suchte —
mitten durch zitternde Kornhalme. Und dieses
Weib trug ihre Züge und dieses Bild war
unterzeichnet mit „Karl Windinger, München."

Sie kam heim und dachte an frühere Zeiten.
„Ob er mich zu sich nehmen würde, wenn ich
vor ihn träte? Sicherlich würde er es tun.
Denn er liebt mich noch. Wie hätte er sonst
dieses Bild malen können? Und auch ich liebe
ihn. Ich möchte ihm sagen, daß ich ihn liebe —
daß ich ihn allein die ganze Zeit geliebt habe.
Wir beide könnten noch glücklich sein. Warum
nicht? Wir sind jetzt alt genug dazu."

Und bevor noch der Notar heimkam, raffte
sie zusammen, was ihr gehörte, und fuhr nach
München. Sie erfuhr Karls Wohnung und
schrieb ihm. Er kam.

Kräftige Hände hatte er und eine gesunde
Gesichtsfarbe.

„Karl," sagte sie, „da bin ich wieder. Gelt?
Wir kehren dorthin zurück, von wo wir aus-
gegangen sind. Ja, ja."

„Du siehst gerade nicht so aus, als ob Du
Dir vom Leben was hättest abgehen lassen," be-
merkte er freundlich und tätschelte ihr das Knie.

„Sage, Karl: Du liebst mich noch?" Sie
kreuzte die Hände im Nacken. „Ich Dich auch,
Karl. Und wir beide könnten noch glücklich
werden. Alt genug sind wir dazu." Und sie
lachte.

„Ach Gott, was glaubst Du? Ich werde
mich doch nicht ein zweites Mal in eine Lieb-
schaft mit Dir einlassen. Zeus hüte mich davor!"

„Aber das Bild?" Und sie erzählte die Ge-
schichte von dem Bild.

„Das Bild? Das ist die Elisabeth Kern-
huber, die Tochter von dem bekannten Musik-
professor. O ja: wir haben uns gern und werden
bald heiraten. Die Elisabeth ist's," wiederholte
er sinnend. „Und sie schaut Dir wirklich ein
bissel ähnlich/'

„Erst seitdem ich studiere, führen die Eltern
'n richt'jes Leben; Mutter ist relijijs — Papa
Dejetariancr jeworden."

„Karl," rief sie. „Ich möchte uns beide
glücklich machen."

„Geh, sei gescheit! Ich werde doch nicht
die Elisabeth mit Dir betrügen."

„Karl, hörst nicht? Glücklich —I" Ihre
Stimme erstickte unter Tränen.

„Weißt Du was? Komm am Sonntag zu
uns. Wir erwarten Dich am Sonntag. Ist's
Dir recht?" — Sie weinte vor sich hin.

„Oder brauchst Du Geld?"

Sie schrie zu ihm auf, daß er sie verraten
und vernichtet habe und was sie jetzt brauche —
ihre Lebensunschuld — könne er ihr nicht mehr
zurückgeben. Schrill auflachend und mit den
Armen prahlerisch schlenkernd, verließ er sie. —

Dann kam sie nach Wien — spät im Herbst.
Sie ging vom Bahnhof zu Fuß nach Döbling

und hatte nichts in Händen als einen dünne»,
schwarzen Shawl. Ihre Sohlen schmerzten stc-
als sie die alte Wohnung betrat.

Und nun war es schön, von allen liebkost
zu werden, und es war schön, am Fenster z»
sitzen und über den braungoldenen Bäume»
draußen seine Traumnetze auszuspannen. UN»
Mutter geisterte noch immer umher und Batst
rief noch immer „Charlotte", wenn er die rewS
heimgekehrte Tochter bei sich haben wollte, um
die Gesichter der verschiedenen Onkel und Ta»'
ten bekamen dann wieder ihren heimliche»!
Glanz —- wie damals.

Und es war nicht lange darauf, daß Auguste
wieder ihre Stelle im Rechtsschutzbureau hatte
— wie damals, — weil sie nicht mehr zur»
Theater wollte, vor dem sie einen wahnsinnige»
Abscheu hatte.

Und daß sie an einem Winterabend all!
dem Heimweg von einem jungen Mann a»'
gesprochen wurde, der sie nun öfters begleitet«
und sie schließlich bat, sie malen zu dürfen.

„Bin ich denn so schön?"

„Schön? Nein: aber interessant."

Er hatte wehmütig dunkle Augen und st«
empfand Mitleid mit ihm. — Ihr Herz klopfte,
als sie in das Atelier hinaufstieg. Mit einer»
weltschmerzltchen Lächeln trat sie ein. Dort
war die Leinwand, dort der Spiegel und das
verschlissene Sofa. ;

Werner von Lieberau — so hieß er und
sein Vater war Abgeordneter — trat sogleich
auf sie zu und küßte ihr die Hand. Nötigte
sie, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und küßte
ihr den Nacken und die Schultern.

„Liebst Du mich?" flüsterte er und wurde rot

„Wie sehr!"

Die Leinwand, schien es ihr, hatte in dcl
Mitte einen blauen Fleck, der grünlich z»
schimmern begann. Es war ganz wie damals. -*;

Und doch nicht mehr ganz so. —

DANDY / GIB/ON GIRL
LA FLEUR DIVA

Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Uünchner Bezug zu nehmen.

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Julius v. Szeremley: Metamorphose
 
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